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Junger Mensch sucht neue Heimat

Foto: Jakob Kielgaß

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Rund 180 Tage im Jahr ist Friedrich Herrmann, 29, auf Bühnen in ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz unterwegs. Der Autor aus Jena liest seine Texte auf Poetry Slams, reimt und erzählt, was ihn bewegt.  Das Unterwegssein gefällt ihm. Genauso gern kommt er aber auch immer wieder nach Hause zurück. „Hotelzimmer können ganz nett sein, aber da sind meine Bilder nicht an der Wand und meine Bücher fehlen mir“, sagt er. „Am wohlsten fühle ich mich immer in meiner Wohnung, wo ich mich genauso gern einigele wie ich Gäste empfange.“

 

Das warme Gefühl am richtigen Ort zu sein

Wenn er von einem seiner Auftritte zurückkommt, mit dem Zug wieder in das Tal fährt, in dem seine Heimatstadt liegt, und deren Silhouette sieht, dann ist da dieses warme Gefühl, am richtigen Ort zu sein. „Es ist eine wirklich hübsche Stadt“, sagt er. „Sie ist sehr grün, mit vielen Hügeln. Ich mag Jena, weil man hier alles zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichen kann. Und das Klima ist ziemlich angenehm, es hat so ein südliches Flair.“

Von dem Gefühl, das sein Zuhause in Thüringen für ihn ausmacht, erzählt Friedrich in dem Text und Video, das er für uns gemacht hat:

Die Annonce

 

  • Heute schnupfe und schniefe ich,
  • Das Wetter ist nebelig,
  • Durch triefende Lider bricht
  • Ermattendes Kerzenlicht.
  •  
  • Gestern habe ich alles eingepackt und in Umzugskisten gestopft:
  • Die staubigen Buchrücken, die flauschigen Fleecedecken,

Die traurigen Zimmerpflanzen, die lauschigen Plätzchen,

 

Die Töpfe, die Löffel, die Knöpfe,

Die Stapel an Gabeln und Fabeln,

Das Meer an gehorteten Teesorten,

Den Hausstand aus Zutat und Unrat.

 

Und als ich alles ein Mal quer durch die Republik gefahren,

  • Und wieder ausgepackt,
  • Und alles an seinen neuen Platz geräumt hatte,
  • Da fühlte sich alles vertraut,
  • Aber nicht wie Zuhause an.
  •  
  • Sie sind keine Hilfe,
  • Die “Ja ja klar, mach ich”-Telefonate mit Mama,
  • Die “Ja läuft bei mir”-Gespräche mit Freunden,

Die “Da bin ich super flexibel”-Schwärmereien mit wem auch immer.

Letztens sagte ich: “Aber selbstverständlich”,

Obwohl sich gar nichts verstand,

Vor allem ich mich nicht,

Und nicht nur weil die Musik zu laut war.

 

Deshalb habe ich eine Annonce aufgegeben:

Junger Mensch sucht neue Heimat.

Er hat keine mehr,

Irgendwo zwischen Kind und Doppelhaushälftenbesitz,

Zwischen frei und orientierungslos,

Zwischen den drei Fragezeichen zum Einschlafen.

Und den drei Fragezeichen hinter dem Wörtchen Zukunft,

Ist sie ihm abhanden gekommen.

Sie haben nicht zufällig Eine gesehen?

 

Die Anforderungen:

Morsche Rinde sollte hier mit Kräuterteedampf um die Wette duften.

Käuzchenrufe mit Herbstlaub Pirouetten auf Wanderwegen drehen.

Verwitterte Burgruinen von Hügelkuppen herab ihre Schlachtrufe schmettern.

Ein Auenland mit den technischen Vorzügen der Moderne.

Mindestens.

 

Jetzt schnupfe und schniefe ich,

Das Wetter ist nebelig,

Durch triefende Lider bricht

Ermattendes Kerzenlicht -

Und Bilder, die stückchenweise verblassen,

Ich hab sie ja schließlich zurückgelassen.

Mit seinen Texten will Friedrich keine Debatten lostreten – das machen schon so viele andere, meint er: „Die Slam-Bühnen quellen über vor Botschaften. Ich will den Leuten nichts erzählen, was sie eh schon wissen. Wichtig sind mir ein warmer Humor und Geschichten, die im Gedächtnis bleiben.“ Er reflektiert Themen, die ihn bewegen - und bewegt damit auch seine Zuhörer. „Eine junge Frau hat mir geschrieben, dass meine Texte ihr geholfen haben, besser mit einer depressiven Phase umzugehen. Ich schreibe nicht speziell mit diesem Ziel, aber ich habe mich natürlich darüber gefreut.“

 

Immer wieder neu beweisen

Die Universität in Jena bringt jedes Jahr viele Studenten in die Stadt, die meist für drei Jahre bleiben, bevor sie weiterziehen – eine Bachelor-Periode lang. „Als Kulturveranstalter ist das für mich spannend, weil ich mich immer wieder neu beweisen muss“, sagt Friedrich. „Es gibt hier nicht viel Vorgefertigtes, mir wird nichts abgenommen. Aber es gibtden Raum, um etwas auf die Beine zu stellen, man muss ihn sich nur nehmen. Und geil ist: Man legt irgendwo einen Flyer hin oder macht ein Facebook-Event auf – und die Leute kommen vorbei.“  

 

Spannend: Die Option zu scheitern

Was Friedrich auch will: Mit seinen Veranstaltungen Leute zusammenbringen. Längst steht er nämlich nicht nur auf der Bühne, sondern organisiert auch selber Events. Seit 2014 schreibt er eigene Texte. Damals hat ihn Elli, eine Freundin, dazu überredet, es doch mal zu versuchen. Die beiden starteten zwei Jahre später ein gemeinsames Projekt: Eine Ensemble-Lesebühne mit dem Namen „Sebastian ist krank“ in einem Café in Jena. Dort liest Friedrich seine neuesten Texte immer zuerst. Es ist ein ideales Testfeld, um zu sehen, wie sie beim Publikum ankommen. „Da kann ich auch mal neue Sachen ausprobieren und sehen, was passiert.“ Angst vor den Reaktionen des Publikums hat Friedrich nicht: „Ich habe lange Improtheater gespielt und dort gelernt, spontan zu reagieren und aus wenig etwas Gutes zu machen“, sagt er. „Und gerade die Option zu scheitern macht es spannend.“

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