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Ewiges Statement: Der Markenturnschuh

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Der Turnschuh ist das Markenprodukt schlechthin. Nicht Jacken, nicht T-Shirts, nicht Rucksäcke konnten ihm in den letzten dreißig Jahren den ersten Rang als Alltags-Statussymbol abstreiten. Auch wer längst jenseits der Schulhöfe und ihrer Wertesysteme lebt, liest weiterhin die Symbolik eines Nike-Swooshs, eines Puma-Pumas und der Adidas-Streifen an den Füßen der anderen ab. Diese Label-Botschaften sind seltsam alterslos und ihre Absender-Firmen seit Jahrzehnten fast die gleichen, sieht man mal vom derzeitigen Wertverlust der Marke Reebok ab. Man dechiffriert diese Schuh-Logos noch heute reflexartig, während bei Hemden und Jacken, Jeans und Boxershortsbündchen doch schon längst ein eher egaler Pluralismus und eine No-Name-Toleranz Einzug gehalten haben. Aber No-Name-Turnschuhe gibt es immer noch kaum und der Blick auf die Marke am Sneaker-Fuß ist uns geblieben, als vielleicht einziger Atavismus der 90er-Jahre. Jener Zeit, in der es ein kleines Unternehmen aus Orgeon schaffte, Turnschuhe zu Reliquien zu machen. Nike hat die fragwürdige Adelung des Freizeitschuhs hin zur weltweiten Hehlerware und zum universellen Code der Street-Credibility beinahe im Alleingang vollbracht. Der Exklusiv-Vertrag mit Basketballer Michael Jordan, den Nike 1992 mit 20 Millionen Dollar besiegelte, war nicht nur ein Markteing-Scoop, der den Nike-Gründer Phil Knight letztlich zum siebenfachen Milliardär machen sollte, es war noch viel mehr: Der Auftakt für ein neues Ständesystem der männlichen Jugend, Grundlage einer globalisierten Cliquenordnung, es war die Geburt einer Konsumsehnsucht für eine ganze Generation heranwachsender Jungs. Aber es ebnete auch den Weg für die spätere Markenikonographie des Hiphop und etablierte das Superhelden-Sponsorship, das bis heute und bis in alternative Nischen wie die Skater- oder Snowboardszene hinein funktioniert.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die erste Sehnsucht hieß meist Air Jordan und war ein Basketballstiefel, der in der Sohle die Silhouette seines Namensgebers trug. Er war so teuer, dass Mütter den Preis für dieses paar Knabenturnschuhe schlicht nicht glauben wollten. Er wurde ständig in neuen Versionen vorgelegt, so dass man, hatte man ihn sich tatsächlich erspart, erbettelt oder geklaut, stets auch schon wieder das Menetekel des Auslaufmodells am Fuß hatte. Kaum legte einer in der Klasse mit dem neuen Model nach, begann das Habenmüssen wieder von vorne - dieser Schuh sollte wirklich im Museum des Kapitalismus einen Ehrenplatz bekommen. Er bereitete Klassenverbände mustergültig auf eine Welt vor, in der Abgrenzung durch Markenkonsum funktionieren sollte. Und wirklich hoben einen die Nikes für eine gewisse Zeit auf seltsame Weise in das Blickfeld derjenigen, die damals auf den Pausenhöfen das Sagen hatten, sie machten Unsichtbare sichtbar und Kleine ein wenig größer und diese krude Zauberkraft der „richtigen Marke“ implantierte sich in das noch recht weiche Hirn. Ästhetisch herleiten ließ sich die Hoheit dieser Basketball-Stiefel freilich nicht, klobige Dinger waren das, mit Ziernähten und ausgestanzten Lederteilen und nicht gerade leisen Farbkombinationen. Es verwundert auch nicht, wenn Michael Jordan in seiner Biographie schreibt „Ich wollte nie bei Nike unterschreiben. Die Schuhe hatten mir nie gefallen.“ Aber darum ging es ja damals gar nicht mehr, in den Schuhläden und Sportabteilungen, die zu Pilgerstätten geworden waren. Es ging längst um das schiere Erkennen der Marke und ihren Besitz. Klar, es kamen auch die anderen Firmen und irgendwann konnte man auch Reebook-Pump-Schuhe ganz gut finden (vielleicht weil man wusste, dass sie genauso teuer waren, wie die Nikes). Damit war aber noch keine Demokratie im Turnschuh-Wertesystem erreicht, sondern eher ein kalter Krieg der Sportartikel-Supermächte ausgebrochen. Sie inszenierten fortan im Großen, was sich auf den Schulhöfen längst im Kleinen abspielte, denn es ging dort nicht mehr nur um die Frage ob Markenturnschuh oder nicht, es ging um die aktuell beste Marke. 1997 gab es ein Rennen zwischen Donovan Bailey (Adidas) und Michael Johnson (Nike), über die Fantasiedistanz von 150 Metern. Der Sieger sollte 1,5 Millionen Dollar erhalten, die Siegerfirma versprach sich einen ungleich wertvolleren Kredibiltätsgewinn. Der Käuferschicht war der Turnschuh längst zum einzigen Bindeglied zu den Sporthelden geworden, die erst durch ihre Leistung und dann viel lauter durch die Werbepräszenz der Turnschuhfirma ihren göttergleichen Status untermauerten. Mit diesen Supermenschen hatte man nichts gemein – bis auf die Schuhe, denn die standen ja beim nächsten Intersport im Regal. Nicht nur das, die Firmen setzten zudem immer mehr auf das Versprechen eines tatsächlichen Technikvorsprungs. Adidas, so die Botschaft, gewann das Werbe-Rennen mit seinem Torsion-System und nicht der Läufer Bailey mit seinen übermuskulösen Oberschenkeln. Egal ob man den Turnschuhkult damals im teuren Cliquenzwang betrieb oder mit einem Paar zeitloser NewBalance-Treter davon kam - ein bisschen was versteht jeder seither von der Schuh-Ordnung, ganz einfach, weil sie sich vom Sport-Mainstream in allen anderen Bereichen der Jugendkultur ausbreitete. Die Skater und Boarder entwickelten ihre eigene, aber nicht minder strenge Schuh-Aristokratie. Die Chucks, die von Kurt Cobain oder Oasis getragen wurden, waren im Grunde nichts anderes als die Nikes an Michael Johnson, nur dass sich die Firmen erst später mit dem Subkultursponsoring befassten und die Bands die Schuhe unbezahlt trugen – aufmerksam nachgeahmt von ihren Fans. Auch auf diesen Ebenen hat der Turnschuh immer seine Signalwirkung behalten, hat viel direkter als Hemd und Hose immer gleich eine gewisse Haltung ausgedrückt. Der Turnschuh ist immer noch das, was man am Leichtesten nachmachen kann, noch vor Frisur und Attitüde. Selbst wer mit einem No-Name-Turnschuh, wie den auf Musikfestivals beliebten weißen Bundeswehr-Turnschuhen, auftritt, positioniert sich damit bis heute deutlicher als mit einem weißen T-Shirt. Es ist eben so: Sneaker sind Speaker. Man sieht ihnen am leichtesten an, worauf der andere steht.

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