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Stilogramm: Der CO2-Rechner

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Recht genau ein Jahr ist es her, dass British Petroleum Menschen in Werbespots nach ihrem persönlichen CO2-Fußabdruck fragte. Die Antworten sind noch heute auf der Internetseite des Ölförderers- und verkäufers nachzusehen und beschränken sich salopp gesagt auf die Äußerung „Hä?“. Zwölf Monate, einen Herbst zu nennenden Winter und einen UN-Klimabericht später poppen im Internet CO2-Rechner auf wie Spam-Meldungen im Mail-Account. Per Mausklick gibt man einem Programm die gefahrenen Autokilometer, die vorhandene Heizung, die geflogenen Meilen zur Kenntnis und bekommt eine überschlagene Tonnenzahl an CO2 präsentiert. Die wird eingeordnet (der gemeine Deutsche, zur Orientierung, hinterlässt jährlich zwischen zehn und 13 Tonnen CO2), dann schließen sich die schon aus den 80er Jahren bekannten Spartipps an (mit dem Auto zum Bäcker, Standby etc.)

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Angebote wie der CO2-Rechner entstehen in einer eigentlich lobenswerten Reaktion auf eine abstrakte Debatte. Die Botschaft „Unser Planet stirbt“ ist so groß, so mächtig, sie macht den Konsumenten ohnmächtig. Dabei brauchen wir doch als Reaktion auf diese Botschaft handlungsfähige und motivierte Bürger! Also wird jeder Einzelne darauf aufmerksam gemacht, dass er einen mit menschlichen Sinnen nicht registrierbaren aber immerhin bezifferbaren Einfluss auf dieses Klimadings hat. Jede Ziffer, jede ermittelte Zahl der jährlich emittierten CO2-Tonnen ist Zeichen und Beweis für a) die eigene Existenz (samt einhergehender Ausscheidungen) und b) für die jeweils persönliche Mitschuld an der in 13 Jahren dräuenden Katastrophe. So wird leichter verständlich, warum ausgerechnet British Petroleum die Menschen nach den CO2-Hinterlassenschaften ihres Lebens fragte. Mit der Kampagne mahnte der Konzern die Verantwortung der Verbraucher an und schob nebenbei den Zeigefinger beiseite, den der Privatmensch für gewöhnlich auf die Industrie richtet. Diese Individualisierung der Schuld hat vielleicht das Brimborium der vergangenen Wochen erst möglich gemacht. Aus Wir sind alle schuld wurde, nicht zuletzt durch die Existenz des Klimarechners und von Begriffen wie CO2-Fußabdruck, ein ICH bin schuld. Eine Erkenntnis, die die Ohnmacht des Einzelnen aufhebt und ihn irgendwie handlungsfähig zu machen scheint. Sowas von handlungsfähig, dass einzelne CO2-Rechner schon den Lebensfaktor „Ernährung“ in die Kalkulation nehmen. „Mischkost“, so ist es auf einer Homepage zu lesen, stehe je Jahr für eine Hinterlassenschaft von 900 Kilogramm CO2-Äquivalenten. Danach folgt der Hinweis, dass bei der „Herstellung von Fleisch“ nicht nur CO2, sondern auch Methan entstehe, also Kuhwinde. "Ein Molekül Methan entspricht in seiner Wirkung bis zu 30 CO2-Molekülen". Womöglich ist es nur noch eine Frage der Zeit, ehe Produktverpackungen mit der Angabe der bei ihrer Produktion entstandenen CO2-Mengen versehen sind. Dann rücken CO2-Äquivalente endgültig in den Rang von Kalorien, dann beginnt die echte Erbsenzählerei. Die Gefahr, die dann übrig bleibt: Dass wir dereinst vor lauter Bewusstsein über unseren eigenen CO2-Frevel vergessen, dass der Klimawandel am Ende doch nur langsamer vonstatten geht, wenn ganze Nationen ihren CO2-Rechner anwerfen. Ob es dazu nochmal kommt?

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