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"Feiert man eigentlich exzessiver, wenn der Terror näher ist?"

Foto: Philipp Mattheis

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Ich habe den Knall nicht gehört. Dabei passierte es nur 15 Minuten von meiner Wohnung entfernt. Hätte ich doch hören müssen. Dieses Mal war es vielleicht eine kleine Bombe. Beim Anschlag im Januar auf der anderen Seite des Goldenen Horns hätte man einen "unfassbar lauten Knall" gehört, sagt Andrea, meine Nachbarin. Ich bin erst zwei Tage später nach Istanbul gezogen.

Vielleicht hat der Täter ja eine andere Sorte Sprengstoff benutzt? Oder es war einfach weniger? Sind deshalb dieses Mal weniger Menschen gestorben? Dieses mal waren es fünf, im Januar 17. Vielleicht dämmen die Häuser einfach den Knall? Über das Wasser fliegt der Schall ja ungehindert. Das sind Fragen, die aufkommen, wenn in zwei Monaten vier Bomben explodieren. Seltsame Fragen.

Istanbul, dann zwei Mal Ankara, heute wieder Istanbul. Dreimal irgendwie weit weg, unwirklich, und plötzlich ganz nah. Dass irgendwas passieren könnte, vermutete man. Seit Donnerstag waren das deutsche Generalkonsulat und die deutsche Schule geschlossen. Man habe sehr konkrete Hinweise auf Anschlagspläne, hieß es im Beamtendeutsch. Oder so ähnlich.

Die ersten SMS aus Deutschland: Bist Du ok?

Es ist elf Uhr. Vor einer Stunde ist die Bombe explodiert. Ich gehe aus meiner Wohnung, die steile Straße vom Galata-Turm hinauf zur Istiklal

Die Istiklal ist eine 1,5 Kilometer lange Einkaufsstraße im europäischen Teil der Stadt. Vergleichbar mit der Kaufinger Straße in München, bloß mit mehr Leuten. Am Ende liegt der Taksim-Platz und daran grenzt der Gezi-Park, wo sie 2013 protestierten. Rechts von der Istiklal liegt Cihangir, das verwinkeltes Viertel mit teils verfallenen, teils gentrifizierten Art-Deco-Bauten. Überall Bars, Cafés, Restaurants. Lockerer als München, schöner als Berlin, authentischer als Barcelona.

 

Nurdan schreibt: Das Essen für heute Abend ist abgesagt. 

 

Ich muss an gestern Nacht denken. Ich war bei Freunden in Cihangir eingeladen. Journalisten, die einmal die Woche einen Podcast aufnehmen. Sie machen sich ein bisschen über die Regierung lustig und interviewen Leute, die mal mit einem Kamel von Damaskus nach Jordanien geritten oder gerade aus Aleppo zurückgekehrt sind. War ein netter Abend. Nudeln, Rotwein, Rauchen auf dem Balkon, klare Nacht, Blick auf Asien. Der Podcast heißt tatsächlich: "IstanBoomBoom".

 

Die Istiklal ist abgesperrt. Davor stehen ein paar TV-Reporter. Die Cafés und Restaurants sind leer. Das Wetter ist wie bestellt für so einen Tag: Grau, mit gerade so viel Regen, dass man gerade noch mit schlechter Stimmung draußen sein kann, ohne nass zu werden.

 

Dilan ruft an. Sie wolle endlich weg aus diesem Scheißland. Was soll ich sagen? Ich bin gerade erst angekommen. Ich kenne keine schönere Stadt: Das Licht, das Meer, die Sesamkringel.

"Ja, Istanbul ist wunderschön. Aber die Türkei ist fucked up."

Dilan ist 25 und macht irgendwas mit Medien, und hasst wie alle Hipster die AKP-Regierung.

 

Feiert man eigentlich exzessiver, wenn der Terror näher ist? So als gäbe es im Leben eine Taste für "Kontrast aufdrehen"? Der Tod rückt näher und das Leben wird heller, die Partys verrückter? Funktioniert Tel Aviv so?

Zumindest Dilans Ecstasy-Konsum würde für die These sprechen. Aber daraus eine Korrelation abzuleiten, ist etwas gewagt. Im Moment sehen alle eher so aus, als sei gerade die Oma gestorben. Oder Schlimmeres. Was ja auch stimmt.

 

"Du wirst es leicht haben mit den Frauen", sagte mir mein türkischer Freund Levent, bevor ich nach Istanbul zog. "Dein Pass ist goldwert". Aha. Ja, geil. Irgendwie auch nicht, denn für seinen Pass geliebt werden, ist für das Selbstwertgefühl in etwa so bedeutend wie für seine Brüste geschätzt zu werden. Levent hatte die Türkei vor 15 Jahren verlassen. Weil ihn die Polizei bei einer Demonstration verhaftete und folterte. Dabei verlor er die Liebe zu seiner Heimat und eine Niere.

 

Das war vor Erdogan. Erdogan, das vergessen wir oft, war nicht immer der autoritäre Präsident, der er jetzt zu sein scheint. In den Anfangsjahren seiner Regierung wurde die Todesstrafe abgeschafft, die Folter eingedämmt, demokratische und wirtschaftliche Reformen vorangetrieben. Vor allem schien der Kurdenkonflikt so gut wie gelöst zu sein. Es war nicht alles schlecht.

 

Alex schreibt auf WhatsApp, seine Frau habe die Geburtstagsparty heute Abend abgesagt. "Wir holen es irgendwann die Woche nach."

"Fuck Terrorism".

 

Dann kam Gezi und spätestens seitdem ist Erdogan zur Hassfigur für die säkulare Jugend geworden. Nennt man in den Bars und Cafés von Cihangir seinen Namen, ist aggressives Augenrollen noch die netteste Reaktion. Erdogan hat den Kurdenkonflikt wieder eskalieren lassen, er ließ erst vor ein paar Tagen Zaman, die auflagenstärkste Zeitung des Landes, beschlagnahmen. Außerdem, und das nervt die meisten schließlich am meisten: Immer weniger Bars bekommen eine Lizenz zum Alkoholausschank. Irgendwie wird auch jetzt Erdogan wieder die Schuld dafür bekommen. Oder halt einfach alle, die gerade so Ärger machen in der Türkei.

 

"Fuck you PKK, Fuck you ISIS, Fuck you DHKP/c, and some others that I can't say", bringt es Ahmet auf Facebook auf den Punkt.

 

Ich gehe Richtung Taksim, wo ich mit dem Leiter einer deutschen Stiftung zum Mittagessen verabredet bin. "Sie tragen Schwarz", sagt er. "Das passt ja gut." Wir lachen und fühlen uns ein bisschen sicherer. Galgenhumor.

 

Wir reden über Verkehrstote. Die Wahrscheinlichkeit, im Istanbuler Straßenverkehr zu sterben, ist ja viel höher als von einem Selbstmordattentäter in die Luft gejagt zu werden. Klar. Wozu also Angst haben? Bringt doch nix. Mal ehrlich, denk doch mal nach: Wozu?

 

Nur ist Angst ein Gefühl, und die Anzahl der Verkehrstoten im vergangenen Jahr eine Tatsache. Gefühl sticht Tatsache. Und deswegen funktioniert Terrorismus.

 

Was hilft? Angst ignorieren. Weitermachen, als sei nichts geschehen.

 

Um 17.30 Uhr schreibt Alex: Die Party findet doch statt.

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