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Besuch im Zoo

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Angestrichen: Ein Tischtennisball kann nicht denken. Warum sollte es ein Straußenhirn dann tun? Es ist kein Stück größer. „Dieser Vogel ist die dümmste Kreatur in ganz Hagenbeck“, meint Tierpfleger Toni, „denn er unterscheidet nicht zwischen Freund und Feind.“ In diesem Fall zwischen Pfleger und Jäger und das – gepaart mit einigen anderen Charakterlosigkeiten – macht ihn zum gefährlichsten Tier im Zoo. Der Strauß ist gänzlich unberechenbar. Er greift an, wenn man es nicht erwartet. Und wenn man es erwartet greift er auch an. Wo steht das denn? Zoos sind in erster Linie was für Kleinkinder und allerhöchstens noch gelangweilte Rentner. Ein normaler Erwachsener hat dort nichts verloren. Denn erstens gibt es dort nichts zu tun, als Tiere am Rande des Nervenszusammenbruchs an zu glotzen. Und zweitens ist das für einen halbwegs mitfühlenden Menschen eine enorm bedrückende Tätigkeit. Hort des Unglücks und der Unterdrückung, ein Gefängnis für exotische Lebewesen – das ist meine Meinung von Tierparks und wer mir was anderes erzählen will, soll ruhig herkommen. Warum dann also ein Buch über Zootiere lesen? Weil Turbo-Abenteuerjournalist Helge Timmerberg das Thema in seinem Buch „Timmerbergs Tierleben“ entschieden positiver angeht. Er hat sehr viel Zeit in deutschen Tierparks verbracht und deren individuelle Bewohner – oder doch besser Insassen? – portraitiert. Herausgekommen sind insgesamt 32 Kapitel über Lebenseigenschaften und Charaktermerkmale verschiedenster Bären, Walrösser, Alpakas und Pinguine. Die Mischung aus sprachlicher Lässigkeit und zoologischen Fakten ist zwiespältig. So geht es interessant zu, wenn man erfährt, dass Riesenschildkröten nur im Wachzustand fähig sind, den Kopf in den Panzer einziehen können, und Schlaf für sie ein artgefährdender Zustand ist. Ärgerlich wird es, wenn etwa für einen faulen Löwen die reichlich abgegriffene Metapher „König der Kiffer“ verwendet wird. Überhaupt ist die antropomorphisierende Sprache Timmerbergs letztlich der Knackpunkt. So mutmaßt er, wie ein Pornomagazin aussähe, würde es von einer Paviansredaktion gestaltet. Oder ob der Berliner Eisbär Lars wohl ein Moslem ist, weil er ja so viele Frauen hat. An so einer Stelle ist Timmerbergs Nonchalance schon eher peinlich, und man möchte ihn gerne zu ein bisschen mehr Sachlichkeit mahnen. Andererseits funktioniert sein Buch auch nur genau wegen solchen Gedankenspielen. Denn sie geben den tierischen Verhaltensstudien erst eine Dimension. Immer wieder lässt Timmerberg die verschiedenen Pfleger der Tiere zu Wort kommen. Und die sind noch mal ein Kapitel für sich. Wenn der oben zitierte Toni von seiner Liebe zu Straußen und Zebras erzählt, oder der Eisbärenpfleger das Beziehungsgeflecht seiner Bären schildert, denkt man sich hin und wieder, dass man fast noch lieber ein paar Portraits von ihnen lesen würde. Immerhin hätten die auch selbst etwas zu sagen und wären in der Interpretation ihrer Persönlichkeit nicht nur auf die – zugegeben meist charmante – Deutung Timmerbergs angewiesen. Letztendlich holt „Timmerbergs Tierleben“ wohl das Beste heraus, was ein Zoo zu bieten hat. Weltbewegend ist das nicht gerade, aber es macht Spaß zu lesen. Und ist für Tierpark-Gegner wie mich eine gute Gelegenheit, die ganze Sache mal ebenso entspannt wie Timmerberg zu sehen. Steht im Bücherregal zwischen: „A Cooke’s Tour“ von Anthony Bourdain, einem weiteren, lässigen Nischenjournalisten, und der DVD „Die Wüste lebt“.

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