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Bonjour Tristesse, Goodbye Tristesse

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Cover: Tropen Verlag Angestrichen: Der Mann, der keine Luft bekommt, öffnete seinen Hemdkragen. Er versuchte, sich auf den weichen Mauern der Neuen Architektur der Vereinigten Welt abzustützen. Dann begann er zu rennen, bog in eine der vielen Alleen. Er wollte in die Vororte, er hoffte, dort würden die Mauern alt und brüchig sein. Doch stattdessen gelangte er in einen absurden Themenpark, in dem Subcommandante Marcos Nougateis verkaufte, Che Guevara mit dem Joystick ein Computerspiel spielte und Karl Marx im ersten Wagen der Geisterbahn saß. Wo steht das denn: Der Mann, der sich da so schwer mit Luft holen tut, nennt sich Camille de Toledo und schrieb ein Buch namens „Goodbye Tristesse“, das von der Kritik bereits als das „Megaphon unserer gebrochenen Seele“ gelobt wurde. Der Grund für den Riss im Äther-Ich: Die Ökonomie vereinnahmt beständig jeden revolutionären Ansatz, es gibt also kein „Außerhalb“ mehr, von dem aus Kritik möglich wäre. Deshalb auch die Atemnot. Die eigentliche Tragödie ist, dass der Autor durch seine Vorgeschichte selbst in der Wirtschaftswelt stecken bleibt. Auflagenwirksam verkündete sein Verlag, dass es sich bei de Toledo, der im wahren Leben Alexis Mital heißt, um den Millionenerben eines französischen Großkonzerns handelt, der eben dieses Erbe und damit ein besseres Leben ausgeschlagen hat, um sich den wirklich wichtigen Sachen zu widmen: Revolution und so. Mital bzw. sein Alter ego beklagt deren Unmöglichkeit in Zeiten, in denen schon in Existenzgründungsseminaren gelehrt wird, subversiv zu sein, um ein wenig Risikokapital aufzutreiben. Eine Utopie ist nicht in Sicht, soweit so gut und eben auch altbekannt. „Goodbye Tristesse“ ist „die leidenschaftliche und politische Antwort auf Generation Golf“, meinte das SZ-Magazin. Zwei Eigenschaften, die man dem Jungautor nicht absprechen kann. Seine Antwort ist vorerst auch weniger weinerlich als das Illies-Opus, eher wütend. Mit einer ansehnlichen Menge von Fußnoten-Sidekicks betreibt er eine Ideologie-Retrospektive der letzten vierzig Jahre. De Toledo meint, drei Stadien der Revolte ausmachen zu können und baut analog dazu sein Buch auf; These, Antithese, Synthese, zur Einführung jeweils ausgestattet mit einem quasi biographischen Text. Die Ästhetik des Äusseren der achtziger Jahre ist die These, das Ende der Geschichte in den Neunzigern die Antithese und die sogenannte „Romantik der offenen Augen“ die Synthese. Leider kippt das bis dahin sehr lesenswerte Buch zur Mitte dieses Dreisprungs. De Toledo verbringt das zweite Kapitel größtenteils damit, verbal auf Deleuze und dessen Verflüssigungstheorien einzuprügeln. Der Bezug zum eigentlichen Thema lässt sich für den Leser nur schwerlich erschließen. Trotz der teilweise verwendeten wissenschaftlichen Methodik versteht sich „Goodbye Tristesse“ als Generationsbuch: In diesem Fall ist es die „Generation des Doppelkollaps“, sozialisiert zwischen dem Fall der Berliner Mauer und 11. September. Die Hybris solcher Bücher ist, dass immer ein Wir benutzt wird, welches sich vor allem aus der Biographie des Autors konstituiert und aus dieser heraus Forderungen stellt. Hier heißen diese zum Ende hin: „Wir wollen nichts weiter als in Ruhe gelassen werden.“ Der Weg zur Subversionsstrategie für das 21. Jahrhundert führt also über die Negation. Wir müssen wieder unschuldig werden, sagt de Toledo, und fordert oben genannte Romantik der offenen Augen. Diese decke „das ganze Spektrum des Gefühls“ ab. Und „der Glaube an Eleganz“ beschütze unsere stille Revolte immer wieder vor der Resignation. So wird Politik aber wieder nur zu Pop und Pathos. Was bleibt? Eine Dialektik des „Whatever“. Steht im Bücherregal zwischen:Das Kapital von Karl Marx und Heinrich von Ofterdingen von Novalis Goodbye Tristesse von Camille de Toledo, 191 Seiten, 18 Euro 80. Erschienen im Tropen Verlag.

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