Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Die Jugend auf der Couch

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

(Bild: Campus-Verlag) Angestrichen: Wieso entwickeln die Jugendlichen keine revolutionären Zukunftsutopien mehr? Warum ist der Generationenkonflikt und damit der Motor gesellschaftlicher Weiterentwicklungen abgewürgt? Wo steht das denn? Der Psychologe Stephan Grünewald befasst sich mit dieser Problematik in seiner epischen Befindlichkeitsstudie „Deutschland auf der Couch.“ Seine Erkenntnisse stammen aus vielen, so genannten Tiefeninterviews, die Grünewald im Verlauf der letzten Jahre im Auftrag für Industrie und Medien durchgeführt hat. Nicht irgendeine vorschnell fabrizierte Studie also. Zwei Stunden nehme man sich Zeit für jeden, der mit seinen Problemen auf der Couch liegt. Und das ist doch ziemlich beachtlich, heutzutage, nachdem sich die Leute „systematisch stillgelegt und vom wirklichen Leben entfremdet“ haben. Also liegt es an Grünewald, dem Land mit gestrengem, deswegen jedoch nicht minder gutmütigen Psychiaterblick den Puls zu fühlen. „Überdrehte Erstarrung“, so lautet schließlich seine Diagnose. Das klingt dramatisch – das Land und seine Leute oszillieren zwischen hektischer Betriebsamkeit und lähmender Orientierungslosigkeit. Reformstau, eine sich rasch wandelnde Demographie und Sabine Christiansen jeden Sonntagabend. Kurz gesagt, Grünewald diagnostiziert die ganze Malaise des modernen Menschen. Klar, dass das auch auf die Jugend nicht ohne Auswirkungen bleibt. Deren Idealvorstellung vom Leben, meinte Grünwald letzte Woche in einem Interview mit dem Stern, sei es, „gemeinsam mit Freunden im Schlafanzug auf dem Sofa zu sitzen und DVDs zu gucken.“ Die jungen Menschen ergeben sich also dem Eskapismus, anstatt sich der ihnen zugedachten Funktion zu widmen. Revolution nämlich, oder wenigstens ein wenig Aufbegehren gegen überkommene Strukturen. Nur mediales Kuscheln also, nur das Handy sei noch wichtig, für die „Nestwerkbildung“ in dieser wirren Welt. Der Wert dieser Erkenntnis kann als gering bezeichnet werden. Zu oft schon, haben uns eifrige Trendforscher erzählt, dass unser Mobiltelefon in Wirklichkeit als eine Art soziale Plazenta fungiert. Die einzige Möglichkeit mit unserer Umwelt in Kontakt zu bleiben. Und wenn die Kurznachrichten ausbleiben „spüren Jugendliche echte Beklemmungen.“ Nichts Neues, vorerst. Der Vorwurf ist bekannt, unpolitisch sei die Jugend, werde „nicht mehr von höheren Werten getrieben.“ Was Grünewald und andere Jugendversteher nicht verstehen – die Herausforderungen, die den meisten jungen Menschen heutzutage in ihrem Alltag begegnen, sind viel weniger abstrakt, als die rote Gefahr oder Pershingraketen. Deshalb nehmen sie auch viel mehr Aufmerksamkeit in Anspruch und erfordern rascheres Handeln. Die Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren oder gar nicht erst einen solchen zu bekommen. Ob es klappt, mit dem Praktikum in den Semesterferien. Banal sind ihre Bemühungen deswegen noch lange nicht. Mit seinem obigen Zitat jedenfalls enttarnt sich Grünewald selbst. Es geht ihm nicht um die Sache, sondern nur darum, der Gesellschaft eine Frischzellenkur zu verpassen. Vielleicht hat die Jugend wirklich genug von den bieder-totalitären Fixsternen wie Klassenkampf und anderer revolutionärer Erwartungen, die an sie gestellt werden. Gesellschaftliches Engagement findet aber auch heute noch statt. Im Mikrokosmos der jungen Leute und ihrer Umwelt. Die einen gehen deshalb mit Attac demonstrieren, andere arbeiten in einem Jugendbegegnungszentrum in Lima oder Caracas. Eigentlich, und das ist ja nichts Schlechtes, geht es der Jugend also um anständiges Verhalten. Um Ehrlichkeit und den Wunsch, durch eine Entwicklung der eigenen Persönlichkeit den einen oder anderen Sinn des Lebens zu finden.

  • teilen
  • schließen