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Ein Gedicht aus dem Dschungel

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Jede Generation hat ein Gedicht, das sie eint. Allan Ginsberg schenkte der Beat Generation in Howl ein poetisches Werk, das noch deren Enkel so bewegt, dass sie es gerade in den Kinos anschauen können. In dem Film Trainspotting spricht Ewan McGregor eine Startsequenz, die zum Ausdruck eines Protestgefühls Mitte der 1990er Jahre wurde und noch heute Menschen bewegt.

Diesen popkulturellen Bogen muss man aufspannen, um zu verstehen, was RTL am Montag abend (hier zum Nachschauen) aus dem australischen Dschungel sendete. Versteckt zwischen als Dschungelprüfungen bezeichneten Ekel-Aufgaben und kleinlichem Gezänk angeblich prominenter Menschen verbreitete der Sender ein poetisches Werk, das die im Ruhrgebiet geborene Casting-Kandidatin Sarah Knappik unter Tränen vortrug.

Es handelt sich vordergründig um die Klage eines Models (8. Platz in der dritten Staffel von Germanys Next Topmodel). In Wahrheit sind diese poetischen Worte aber eine Anklage gegen die Leistungsgesellschaft, gegen das System (in Knappiks Worten "die Brangsche") und den permanenten Druck, der sogar gesundheitliche Schäden ("irgendwelche Explosionen") billigend in Kauf nimmt.

Knappik kontrastiert dies mit einem utopischen Gegenbild, das sie aus einer nahezu einsamen Individualität ("Ich mach jetzt mein eigenes Ding") herleitet und bewusst gegen die repressiven Strukturen positioniert: "Ich habe mich für ein anderes Leben entschieden" ist so nicht zufällig der Titel dieses Textes, den man als Manifests der jungen Bochumerin lesen muss:

Ich scheiß aufs Geld.

Ich scheiß aufs Fernsehen.

Ich scheiß auf alles.

spricht die 24-Jährige gestressten G8-Schülern genauso aus der Seele wie all jenen, die sich für einen Beruf in den Medien (Brangsche) entschieden haben. Denen gelten die folgenden Zeilen wohl im Besonderen:

 

Es ist einfach so, dass ich mich für das Leben entschieden habe.

Ich habe mich für ein anderes Leben entschieden.

Ich will vielleicht gar nicht mehr in dieser Brangsche arbeiten

Weil ich hab kein Bock, danach irgendwie schwerkrank

irgendwelche richtigen Explosionen

(watt weiß ich)

im Körper zu haben.

 

Vordergründig sind das Zeilen, die sich auf eine verpatzte Ekel-Aufgabe im Dschungel beziehen. In Wahrheit aber spricht hier unter Tränen die Stimme des Protests:

 

Ich entscheide jetzt gerade für mich:

Leckt mich alle am Arsch!

Ich mach jetzt mein Ding.

So.

Ich geh meinen Weg und

Ich werd jetzt das machen,

was mein Herz mir sagt.

 

Anschließend geht Sarah Knappik zurück in den Dschungel und würgt in der folgenden Prüfung vergorende eklige Speisen herunter.

 

Ein Symbol für die Dialektik ihres Protests?

 

Mehr zum Dschungelcamp auf jetzt.de: Das Interview mit Felix, der vor ein paar Jahren den Dschungel vor der Sendung testen durfte.

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