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Ein Herz und keine Seele: Der Comic „Lost at Sea“

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Angestrichen: “Ich glaube ich habe keine Seele. Ich habe lange darüber nachgedacht und ich glaube wirklich, dass das so ist. Absolut keine Seele. Ich hatte eine, als ich klein war, aber jetzt ist sie weg und ich bin sicher, dass ich weiß, wohin. Es ergibt alles einen Sinn, aber es ist schwierig, das zu erklären. Meine Gedanken ergeben nicht immer Sinn und ich bin nicht gut darin, die Dinge in die richtige Reihenfolge zu packen. Aber vielleicht könnt ihr euch ja Notizen machen und es selbst zusammenfügen.“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Wo steht das denn? Im Kopf der achtzehnjährigen Raleigh. Raleigh ist verwirrt und denkt viel nach. Sie hat auch genug Zeit dafür, während die verschwommene Landschaft draußen vor dem Fenster vorbeirauscht. Raleigh sitzt im Auto zusammen mit drei Klassenkameraden, die sie kaum kennt. Sie fahren zu Beginn der Ferien nach Hause - den langen Weg von Kanada durch einige US-Bundesstaaten. Raleighs Leben fühlt sich nicht mehr echt an, seit sich einige Dinge in ihrem Leben geändert haben. Sie weiß aber nicht genau, was eigentlich der ausschlaggebende Punkt dafür war. Der Wegzug der besten Freundin, die Versetzung in die uncoole Klasse für begabte Kinder, die Scheidung der Eltern oder etwas ganz anderes. Alles was sie weiß ist, dass mit ihr irgendwas nicht mehr stimmt. Und weil Raleigh ihr Leben lang ungute Erfahrungen mit Katzen gemacht hat, ist sie sich ganz sicher, dass eine Katze ihre Seele gestohlen hat. Raleighs Erinnerungen und Gedankenspiele werden immer wieder vom echten Leben unterbrochen: Von Pausen bei Raststätten, von den beiden Jungs, die vorne im Auto typische Teenagergespräche führen oder von der quirligen Stephanie, die neben Raleigh sitzt und all das darstellt, was Raleigh gerne wäre.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

„Ich schaue in den Spiegel und merke ich gehöre nicht dahin. Ich sehe mich selbst und sehe total verkehrt aus. Stephanie sieht keck und munter und frech und normal aus. Und ich irgendwie anders. Zu lang, zu sehnig, zu zäh, zu quadratisch, irgendwie unmenschlich. Was ist es, das mich nicht in diese Welt passen lässt? Und ist es in der Welt oder in meinem Kopf?" Die verschlossene Raleigh wird auf der langen Fahrt allmählich lockerer und lernt, dass es in Ordnung ist, dass jeder Mensch etwas anders ist. Das die Eigen- und die Fremdwahrnehmung nicht immer gleich sein muss. Auf der drögen Reise durch Nordamerika entsteht mit der Zeit etwas, was sie nicht für möglich gehalten hätte: Eine Freundschaft mit Stephanie. Die Sache mit der Katze und der verlorenen Seele kommt bald auf den Tisch und endlich auch das, was Raleigh im tiefsten Herzen am meisten beschäftigt: Ihre Fernbeziehung mit einem Jungen aus Kalifornien, deren weiterer Verlauf sie nicht abschätzen kann und vor lauter Angst und Selbstzweifel auch nicht abschätzen will. Schnell wird für Stephanie und die Jungs klar: Raleigh braucht ihre Seele zurück. Auch wenn das zunächst bedeutet, nachts vor einem Motel ein paar streunende Katzen einzufangen. „Lost at Sea“ ist eine klassische Coming of Age-Geschichte. Raleigh entwickelt sich auf ihrer Heimreise, wird reifer und kommt als eine Andere zuhause an. Bryan Lee O´Malley schafft es, die Gegensätze und Gemeinsamkeiten der Jugend und der frühen Erwachsenenwelt in seinem Comic einzufangen. Seine cartoonhaften Zeichnungen könnten zwar auch in einer Anime-Sendung auf RTL II vorkommen, treffen aber auf spannende Gedankengänge von Leuten, die noch nicht wissen, was sie mit sich und der Welt anfangen sollen. Auch wenn der Kontrast zwischen Zeichenstil und Raleighs Gefühlswelt am Anfang etwas störend wirken kann, hat er dennoch seinen Sinn. „Lost at Sea“ ist ein Comic über Veränderungen, Akzeptanz und Hoffnung im Leben und ist daher für alle zu empfehlen, die sich zwischendrin mal unsicher und unwohl fühlen. Soll ja vorkommen. Steht im Bücherregal zwischen: „Die Tage müssen anders werden, die Nächte auch“ von Erlend Loe und „Vielleicht lieber Morgen“ von Stephen Chbosky “Lost at Sea“ von Bryan Lee O`Malley , 168 Seiten schwarzweiss, erscheint bei Modern Tales und kostet 14,90 Euro.

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