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Französisch-deutsche Völkerverständigung

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Bild: Verlag Klaus Wagenbach angestrichen: Sie war aufgetakelt und frisiert wie 'ne alte geklaute Karre, was sie viel älter aussehen ließ. Olivier hatte kaum Zeit zu denken, daß sie bombig große Klasse hatte, da stand sie schon auf der Bühne, noch angezogen, und in dem Blick, den sie in die Runde warf, war Spott, sanfter Spott. In der nächsten Aufnahme sah man sie, wie sie einen Kerl sodomisierte, das war die Aufgabe des Tages, als „Debüt“ sodomisierte jedes Mädchen einen Kerl. Wo steht das denn? In „PornStar, the fucking Duel“, einer von 18 Kurzgeschichten aus dem Sammelband „Tour de France – Junge französische Literatur“: Lebemann Olivier lernt ein minderjähriges Mädchen kennen, bringt ihr sexuelles Können bei, mit dem sie sich dann in einer Pay-TV-Pornoshow prostituiert. Auf 19 Seiten formuliert Virginie Despentes ganz „Beigbeder-esk“ schlüpfrige Dialoge und skizziert Sexszenen, die einen beim Lesen ziemlich rot werden lassen. Die Figuren der anderen Autoren fragen sich, ob Tod durch Erhängen eine Erektion bewirkt, finden eine tote Giraffe im Vorgarten, lüften Geheimnisse, suchen die Liebe – aber auch immer wieder: den Tod. Kein Wunder also, dass bei der Nachwuchsliteratur Frankreichs oft von „Deprimismus“ die Rede ist – einer Strömung, die einst mit Michel Houellebecq begann. So verschieden sich die jungen Schreiber hier in ihrem Stil und ihren Themen zeigen, eines verbindet sie: eine bittere Melancholie in Zeiten abartigen Schönheitswahnsinns, perversen Reality-TVs und verloren geglaubter, wahrer Liebe. Toll, abgekratzte Giraffen? Wer nicht so auf verschrobenes, französisches Drama steht, sollte „Wieder vereinigt – Neue deutsche Liebesgeschichten“ lesen: Ein Sammelsurium von Texten, die alle nach dem Mauerfall 1989 und damit nach dem Ende einer kritischen Episode deutscher Geschichte geschrieben wurden. Die Kurzgeschichten handeln von gescheiterten Verführungsversuchen an Tischtennisplatten, Ehegatten-Diebstahl, den letzten Schuhen, traumatischen Kakerlaken oder auch dem Sommer des Lebens. Was nun das Buch von dem oben unterscheidet? Hier wird weniger hastig gelebt, weniger dreckig gevögelt, weniger krass getötet. Die Geschichten der 14 Schriftsteller sind langsamer, überlegter, spielen sich mal zwischen den Zeilen und mal retrospektiv in der Vergangenheit ab. Allgegenwärtig ist nicht etwa der Sensenmann, sondern die Trennung – zwischen Ost und West, damals und heute, ihm und ihr. Und es wird klar: Die Mauer ist zwar weg - aber leichter wird es mit der Liebe trotzdem nicht. Stehen im Bücherregal: getrennt voneinander. „Tour de France“ stilecht zwischen französischen Revoluzzer-Manifesten wie „39,90“ von Frédéric Beigbeder, „Elementarteilchen“ von Michel Houllebecq und dem aggromäßig vollgekritzelten Französischbuch aus der 9. Klasse. „Wieder vereint“ macht sich am besten neben „Zonenkinder“ von Jana Hensel und „Deutsches Theater“ von Benjamin von Stuckrad-Barre. „Tour de France – Junge französische Literatur“, herausgegeben von Anette Wassermann, 188 Seiten, 9 Euro 90. Erschienen im Verlag Klaus Wagenbach. „Wieder vereinigt – Neue deutsche Liebesgeschichten“ , herausgegeben von Margit Knapp, 155 Seiten, 9 Euro 90. Erschienen im Verlag Klaus Wagenbach.

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