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Gibt es ein Leben nach den Smiths?

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Wo steht das denn: In dem Roman des New Yorker Dramatikers und Musikjournalisten Marc Spitz „Wann nur wenn nicht jetzt“. Als ich die ersten paar Seiten dieser Liebeserklärung an die Smiths gelesen habe, dachte ich spontan: Oh Gott! Wieder einer dieser nicht erwachsen werden wollenden Rockjournalisten um die 30 als Protagonist (diese Sorte Mensch scheint sich wirklich nur in der männlichen Ausprägung zu finden), der sich darüber beklagt, dass jetzt auch andere, vor allem jüngere Menschen, die „damals, als alles anfing“ noch nicht dabei waren, die Smiths für sich entdeckt haben. Einer, der mir in jammerndem, aber eigentlich ironisch gemeinten Tonfall auf 400 Seiten beschreibt, was seine Plattensammlung mit seinem verkorksten Leben zu tun hat.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Und Joe Greens Leben ist verkorkst: gelegentlich nimmt er ein sehr viel jüngeres Mädchen nach Hause, war heroinsüchtig, säuft und sein Job bei der Zeitschrift „Headphones“ ist der erste, den er länger als sechs Monate durchgehalten hat. Dennoch interessieren ihn die Bands, die er interviewt, nicht mehr wirklich. Seine Stimmung schwankt zwischen Selbsthass und Selbstmitleid. Doch dann beschreibt Joe Green, wie er überhaupt zu seiner Rock’n’Roll-Seele kam, und ab diesem Moment gewinnt der Roman Seite um Seite. Joe Green wächst in den Reagan-Jahren in der gepamperten Vorstadtidylle auf Long Island und dennoch jeden Tag am Rande eines Atomkriegs auf. Er versucht sich zunächst der herrschenden Mehrheitskultur anzupassen, trägt wie alle JAPs („jüdisch-amerikanische Prinzen“) pastellfarbene Ralph-Lauren-Polohemden und weiße K-Swiss-Turnschuhe und engt seine Weltsicht so weit ein, „bis sie nur noch eine Reihe von Bäumen umsäumter Blocks aus großen, weißen Schindelhäusern mit glänzenden Cadillacs in der Auffahrt einbezog“. Mit Beginn der Pubertät merkt Joe, dass er einfach nicht dazu gehört, ohne sagen zu könne, wohin er sonst gehört. Bis – ja bis er die Smiths entdeckt: „Diese Songs ließen Einsamkeit, Traurigkeit und Empörung so cool wirken, dass ich noch einsamer und trauriger und empörter sein wollte. (...) Alles, was ich an mir hasste, wurde innerhalb einer Stunde zu dem, was ich an mir liebte.“ Morrissey wird Joe Greens Held und Vorbild, die Smiths seine Heilsbringer – und gleichzeitig zerstören sie sein Leben. Denn so, wie sie ihre Musik Joes Leben einen Sinn gegeben hat, kommt ihm genau dieser abhanden, als sich die Band auflöst. „Die Smiths waren alles, was ich besaß, und auch sie hatten mich verlassen.“ Selbst mit fast 30, als er längst sein wildes Leben als Rockjournalist lebt, ist er immer noch nicht darüber hinweg und möchte die Zeit zurückdrehen, als er zum ersten Mal die Smiths gehört hat. Doch dann tritt Mikki in sein Leben, genauso aufgewachsen wie er, ebenfalls von den Smiths gerettet und wieder in einen Abgrund der Einsamkeit gestoßen. Sie beschließen, ihrem Leben wieder einen Sinn zu geben, indem sie die Smiths wiedervereinigen. Denn dann, so glauben sie, dann wäre endlich alles wieder gut. „Wann nur wenn nicht jetzt“ ist Gott sei dank kein Buch über die Plattensammlung eines alternden Rockjournalisten geworden, auch wenn es immer mal wieder in diese Richtung zu kippen droht. Es ist ein Buch über Kindheit, Jugend, Sex. Darüber, dass einem verdammt noch mal niemand gesagt hat, wie schwer es ist, erwachsen zu werden. Und vor allem über die Erkenntnis, dass Selbstmitleid leider nicht weiterhilft, sondern nur die Einsicht, dass das Leben eben ganz oft kompliziert und einsam sein kann. Aber erst dann kann man anfangen, damit umzugehen. Steht im Bücherregal zwischen: "High Fidelity" von Nick Hornby und all den anderen "Coming of Age"-Büchern, die sich im Laufe der Jahre angesammelt haben. Wann nur wenn nicht jetzt von Marc Spitz, ist im Rockbuch Verlag erschienen, hat 384 Seiten und kostet 14, 90 Euro.

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