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Schuldenberg und schnelles Geld

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Angestrichen:
Bezogen auf alle Studienberechtigten 2008 mit definitivem Studienverzicht hat bei 84 % zumindest ein finanziell restriktiver Aspekt eine einflussreiche Bedeutung für die Verzichtsentscheidung.

Was heißt das?
Geldsorgen spielen eine wichtige Rolle, wenn es um folgende Frage geht: „Studieren oder nicht studieren?"

Wo steht das denn?
In einer kürzlich erschienenen Studie des Hochschulinformations-Systems (HIS). Die Untersuchung mit dem Titel „Studienentscheidung im Kontext der Studienfinanzierung“ wurde von Bundesbildungsministerin Anette Schavan in Auftrag gegeben.

Das HIS hat Abiturienten des Jahrgangs 2008 gefragt, welche Faktoren ihre Entscheidung für beziehungsweise gegen ein Studium maßgeblich beeinflusst haben. Das Ergebnis: Wer keine Uni besucht, verzichtet meist aus finanziellen Gründen. Die meisten Abiturienten schreckt der Gedanke ab, mehrere Jahre in ihre Hochschulausbildung investieren zu müssen, bevor sie anfangen, Geld zu verdienen: 79 Prozent der Befragten, die auf ein Studium verzichteten, sagten, dass sie möglichst schnell selber Geld verdienen wollen. Eine Ausbildung scheint ihnen dafür wesentlich geeigneter als ein paar Jahre in Hörsälen zu verplempern. Die Autoren der Studie vermuten, dass auch mangelnde Wertschätzung des Bachelor-Abschlusses eine Rolle spielt: „Eine mögliche Erklärung könnte sein, dass sich hierin die anhaltende Schwierigkeit, die Arbeitsmarktchancen von Bachelorabschlüssen einzuschätzen sowie die unterstellte zu geringe Akzeptanz des Bachelorabschlusses auf dem Arbeitsmarkt ausdrücken.“ Möglichst schnell auf eigenen Füßen wollen vor allem die Abiturienten stehen, deren Eltern keine Akademiker sind. Dazu passt eine andere Zahl: Die meisten Befragten (66 Prozent) finanzieren ihr Studium nicht über einen Job oder einen Kredit, sondern bekommen Geld von Mama und Papa.

Es geht aber nicht nur darum, schnell eigenes Geld zu machen. Sondern auch um das, was die Autoren der Studie mit „restriktivem Aspekt“ meinen: das Problem, einfach nicht genug für ein Studium zu haben. Wer einen Uni-Abschluss will, braucht Geld – dieser kausale Zusammenhang ist der zweithäufigste Grund, sich gegen ein Studium zu entscheiden. 76 Prozent gaben an, dass „das Fehlen der erforderlichen finanziellen Vorraussetzungen“ sie davon abhalte, sich an der Uni einzuschreiben. Dazu kommt die Angst vor einem Schuldenberg (71 Prozent) und der Belastung durch Studiengebühren (69 Prozent).

Der letzte Aspekt ist allerdings nicht ganz so eindeutig, wie es die Zahl vermuten lässt. Er ist nur ein Grund unter vielen, aber bei Weitem nicht der alleinig ausschlaggebende: Nur drei Prozent sagten, dass Gebühren der wichtigste Faktor für die Entscheidung gegen ein Studium gewesen sei, und sechs Prozent gaben an, deswegen noch zu zögern. Auch die Flucht vor Bezahlunis – in der politischen Debatte ein oft ins Feld geführtes Argument – scheint kaum stattzufinden: Die Forscher konnten wie schon Verfasser früherer Studien keine „relevante Abwanderung der Studienberechtigten aus den gebührenpflichtigen Ländern“ feststellen. Wichtiger für die Wahl der Uni ist den Befragten ein passendes Angebot, die Nähe zum Heimatort und der Ruf der Hochschule. Und das, obwohl das Modell Studiengebühren zur Zeit der Befragung noch kein auslaufendes war. 2008 wurde noch in sieben Ländern kassiert, mittlerweile sieht es anders aus: Hessen und das Saarland sind haben den Gebührenausstieg hinter sich, Nordrhein-Westfalen soll ab Herbst folgen. Der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz hat das Ende der Gebühren für das Wintersemester 2012/2013 angekündigt, und die grün-rote Koalition in Baden-Württemberg will Hochschulbildung schon zum Sommersemester 2012 umsonst anbieten. Die letzten gallischen Gebührendörfer werden dann Bayern und Niedersachsen sein.

Und was sagt eigentlich Bildungsministerin Schavan zu der Studie, die ihr Ministerium in Auftrag gegeben hat? „Die Befragung zeigt, dass die jungen Menschen klar verstanden haben: Die Ressource dieses Landes ist Wissen. Wer in Wissen investiert, sichert die eigene Zukunft – und gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands“, wird die Ministerin in einer Pressemitteilung zitiert. Dass finanzielle Ängste junge Leute vom Studieren abhalten, wird darin nicht thematisiert. Es finden sich nur die positiven Zahlen. Das veranlasste Swen Schulz, den bildungspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion zu dem Vorwurf, dass Schavan die Ergebnisse der Studie „schamlos“ verdrehe: „Es ist grotesk, dass Frau Schavan bejubelt, dass für 70 Prozent der Studierenden die Kosten keine oder nur eine geringe Rolle spielen, und somit gleichzeitig die Probleme der Schwächeren vollkommen ignoriert.“

Text: christian-helten - Foto: 1100 / photocase.com

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