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Textmarker: In der Hölle, Richtung Finsternis

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Angestrichen: Ich denke viel zu weit voraus, was in Afrika der erste Schritt auf dem Weg zum Chaos im eigenen Kopf ist. Wo steht das denn? In der Hölle. Der Schriftsteller Denis Johnson hat sie bereist, die Hölle, genauer gesagt ihre Filialen in Afrika, Liberia zum Beispiel oder Somalia, im Auftrag amerikanischer Magazine. Sie wollten wissen, was die Bürgerkriege dort treibt, sie wollten wissen, wer dieser General Aidid ist oder dieser Charles Taylor, warum junge wilde Männer mit Maschinengewehren dort ganze Staaten aus den Angeln heben, warum Menschen dort die Glieder abgehackt werden, wieso, weshalb, warum, das alles wollten sie wissen. Doch Denis Johnson kommt zurück aus der Hölle und weiß nur eines: etwas wissen, etwas wirklich wissen, verstehen und begreifen, das geht in der Hölle kaum.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Johnson fährt nach Liberia, das einst als Staat nach Afrika zurückgekehrter Sklaven aus Amerika gegründet wurde, und er sieht dem Wahnsinn verfallene Soldaten, die in Duschhauben und Hochzeitskleidern Krieg führen, wenn man Krieg führen nennen kann, was sie tun: mit frisierten Mercedes durch die Stadt fahren, in der Gegend herum ballern, wahllos Menschen töten und ihre Leichen am Strand auf Haufen werfen. Es ist Ende September 1990, Johnson trifft den neuen Präsidenten dieses Landes, der ihm einen Video zeigt, wie er den alten Präsidenten foltert, während er Budweiser trinkt. Dann spielt der Präsident, gelbe Krokodilstiefelletten an den Füßen, mit seiner Reggae-Band „Rivers of Babylon“, and there we wept, singt er, when we remembered Zion. Johnson fährt nach Somalia, es ist Ende Februar 1995, kurz vor dem Abzug aller UN-Blauhelme in diesem Land, Johnson will, so ist sein Plan, den Abzug aller Truppen verfolgen und dann letzter amerikanischer Journalist im Land sein. Ein Kontaktmann bringt ihn von Äthiopien aus ins Land, einen einzelnen Amerikaner, in einer wahnwitzigen Reise, unter falschem Namen: „Der Amerikaner, eine Art Schriftsteller, gibt sich im Moment für einen deutschen Brunnenmechaniker aus“, schreibt Johnson. „Die Somalier mögen Wasser, und sie mögen die Deutschen. Sehr viel lieber als die Amerikaner jedenfalls.“ Johnson wartet, wartet, wartet auf dieser Reise: darauf, dass es weiter geht, darauf, dass man weiter fahren kann, darauf, dass etwas passiert, er wartet und wartet, es macht ihn irr und zornig. „Ich denke viel zu weit voraus“, das versteht er schließlich, „was in Afrika der erste Schritt auf dem Weg zum Chaos im eigenen Kopf ist.“ Johnson fährt schließlich nach Liberia, noch mal, denn es gibt wieder einen neuen Präsidenten, Charles Taylor. Johnson hat alles geplant, er hat einen Kontaktmann, er hat eine Route, einen Plan und ein Ziel, doch kaum kommt er in der Elfenbeinküste an, dem Nachbarstaat Liberias, geht alles schief, läuft alles anders, wird alles furchtbar. Johnson reist mit verrückten italienischen Farmern und noch verrückteren liberianischen Pressesprechern, erlebt Angriffe von Alphajets, die zugedröhnte Kindergarde Charles Taylors und besoffene Generalmajore mit der Mission, die transatlantischen Beziehungen verbessern zu wollen, jetzt sofort, er erlebt den Schock eisgekühlter Coca-Cola in der Mitte des Nichts und den Schock eines Menschen, der dem Horror des Todes so nahe ist, dass er um Gnade fleht oder wenigstens um eine schnelle Kugel, jetzt sofort. Denis Johnson erlebt eine Reise in das Herz der Finsternis. Und er erfährt, dass er dem nicht gewachsen ist. „Ich war hierher gekommen, an diesen Ort“, schreibt er, „und war nicht intakt genug oder hatte nicht genug reale Substanz, um seine Bedingungen zu akzeptieren.“ Er schließt: „Warum war ich nach Liberia gefahren? Was hatte ich mir dabei gedacht, was wollte ich dort, was? Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht.“ Steht im Bücherregal zwischen: „Die Erde ist ein gewalttätiges Paradies“, den gesammelten Reportagen des großen Reporters Ryszard Kapuscinski, und natürlich „Herz der Finsternis“ von Joseph Conrad.

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