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Textmarker: Nylon Road

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Angestrichen: Ab und an veranstalteten wir Ausstellungen bei uns zuhause, um unseren Komilitonen und Freunden zu zeigen, was wir gemacht hatten. Wir hätten die Institutsräume nehmen können, aber das hätte bedeutet sämtliche Regeln einzuhalten - inklusive dem Zensieren unserer Bilder. Dazu kam noch, dass wir uns an der Universität nicht frei mit Jungs hätten unterhalten können. Ohne Schleier machte es mehr Spaß mit ihnen zu sprechen. Wo steht das denn? In „Nylon Road“, dem autobiografischen Comic der Iranerin Parsua Bashi. Die Grafikerin immigrierte 2004 aus Liebe zu einem Mann in die Schweiz. Vor kurzem ist ihre Autobiografie im Schweizer Kein&Aber-Verlag erschienen. Sie schildert dort, wie sie es schafft, in ihrer neuen Welt ihre Vergangenheit zu bewältigen. Sie gerät in der Schweiz immer wieder in Situationen, die sie an wichtige Ereignisse im Iran erinnern. Bei diesen Erinnerungen begegnet sie den Personen, die sie einst war und gerät in einen Dialog mit ihren alter Egos.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Dabei streitet sie oft mit sich selbst, weil sie im Laufe der Jahre ihre Ansichten geändert hat. Manchmal geht dabei der Streit von der alten Parsua von damals aus. Für die ist es dekadent, sich bei einem guten Essen in der Schweiz über Trüffelöl, Kleidermarken und den nächsten Urlaub zu unterhalten, während es in ihrem Land, im Iran noch nicht einmal die Milch für die Kinder gibt. Für die neue Bashi sind diese Vorwürfe gegenüber der Schweizer Gesellschaft aber ungerechtfertigt. Stattdessen will sie die Freiheiten und Vorteile dieses liberalen und reichen Landes genießen. Durch diese Dialoge wird Nylon Road also auch zu einem Vergleich zweier Gesellschaften. Die Szenen, die Bashi in der Schweiz wieder erlebt, sind Momentaufnahmen der iranischen Geschichte. Die Tochter liberaler Eltern muss miterleben, wie ihre Brüder und Freunde nach der islamischen Revolution das Land verlassen. Auch Parsua soll nach dem Willen ihrer Eltern auswandern. Doch die damals 18-Jährige weigert sich, zu emigrieren. Zum einen, weil sie an der Universität von Teheran Kunst studieren will. Zum anderen, weil sie eine Auswanderung auf Grund ihrer patriotischen Einstellung ablehnt. Bald kommt die Zeit des Iranisch-Irakischen Krieges, die von großen Entbehrungen gekennzeichnet ist. Schließlich mündet alles in der bleiernen Herrschaft der Mullahs, die alles Fortschrittliche und Liberale verbieten. Die Moralwächter kontrollieren auf der Straße, ob Frauen ihren Schleier vorschriftsmäßig tragen oder ob unverheiratete Männer und Frauen miteinander sprechen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Bei aller Kritik an dem fundamentalistischen Regime der Mullahs unterlässt Bashi es aber, den Islam als solches zu verdammen. Ihrer Meinung nach benutzen die Machthaber im Iran die Religion als ideologische Waffe, um ihre autoritäre Politik zu legitimieren. Gleichzeitig sieht Bashi auch, dass konservative Politiker in Europa ihre Kritik am Islam dafür nutzen, ihre Abschottungspolitik gegenüber Flüchtlingen und ihre religiöse Intoleranz rechtfertigen. Für Parsua Bashi ist die gängige Kritik am Islam ein zweischneidiges Schwert. Es dient den iranischen Hardlinern zur Legitimation ihrer reaktionären Politik. So können sie die Propaganda vom permanenten Krieg gegen die „ungläubigen Imperialisten“ aufrecht erhalten. Resümee: Die Ausdrucksform des politischen Comics ist keinesfalls neu. Der Zeichner Art Spiegelmann hat 1992 den Pulitzer-Preis für seinen Comic-Band Maus erhalten. In diesem grafischen Roman in zwei Bänden erzählt der Zeichner, wie seine jüdischen Eltern den Holocaust überlebt haben. Parsua Bashi ist auch nicht die erste Iranerin, die ihre Autobiografie in Form eines Comics niedergeschrieben hat. Vor ihr hat bereits Marjane Satrapi seit 2000 mit den Persepolis-Bänden autobiografische Comics veröffentlicht. Im Gegensatz zu Bashi immigrierte Satrapi aber schon 1984 mit Mitte Zwanzig nach Wien. Bashi hat mit ihrer Autobiografie bewiesen, dass das Comic vielleicht sogar wegen seiner illustratorischen Elemente ein gutes Medium ist, um harte Themen aufzugreifen, weil es die abstrakte Schriftsprache mit seinen Bildern belebt und dadurch Ereignisse umfassender ausdrückt. Ihre Geschichte hat Bashi in sanften roten und grauen Schattierungen gezeichnet, was ihren Bildern eine dezente Lebendigkeit verleiht. Bashis Buch ist nicht alleine lesenswert, weil sie einen Einblick in den Iran gibt. Das spannende an ihrem Buch ist ihre Geschichte – die Geschichte einer starken Frau, die trotz aller Rückschläge immer wieder aufsteht. Steht im Bücherregal zwischen: Phoolan Devi. Die Legende einer indischen Banditin von Veena Kade-Luthra und den Memoiren einer Tochter aus gutem Hause, der Autobiografie von Simone de Beauvoir. Nylon Road von Parsua Bashi, 127 Seiten, 19,90 Euro. Erschienen bei Kein&Aber

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