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"Umziehen. Ankommen. Auspacken."

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[b]Angestrichen:[/b] Umziehen. Ankommen. Auspacken. Oder auch nicht. Ich bin überall, irgendwie, und doch nirgendwo zuhause. Schon am ersten Abend weiß ich, wie mein letzter Abend aussieht. Ich kenne Städte, und doch lebe ich nicht in ihnen. Reisen ist für mich kein Abenteuer mehr. Es ist ein Ritual. [b]Wo steht das denn?[/b] Im ersten Kapitel, erster Absatz, von Sebastian Christs Roman „… und wünschen Ihnen für die Zukunft alles Gute! Ein Leben als Praktikant.“ Laut Klappentext handelt es sich dabei um die mir bislang entgangene literarische Gattung eines „Praktikumsromans“, was aber natürlich nicht an meiner literarischen Unbewandertheit liegt, hüstel, sondern daran, dass laut Goldmann-Verlag noch niemand „so ehrlich und authentisch (…) die Situation gut ausgebildeter Berufseinsteiger dargestellt“ habe, wie Sebastian Christ. Ein großer Trommelwirbel also an dieser Stelle für den ersten! authentischen! Praktikumsroman! Ich müsste mich davon eigentlich angesprochen fühlen, denn was ich hier bei jetzt.de gerade mache, ist – Tatsache – ein Praktikum und zwar – Moment, kurz nachzählen – mein mittlerweile sechstes seit dem Abitur. Damit komme ich dem Autor dieses Büchleins gefährlich nahe, der laut Klappentext sieben Praktika im Lebenslauf stehen hat und diese genau wie ich, genau wie sein Protagonist Jan Hesse, irgendwo in den Medien absolviert hat. Um den Inhalt dieses Buches nachzuerzählen, könnte ich also schlicht einen Schwank aus meinem eigenen Leben servieren, aus dem meiner Freunde, aus dem des halben jetzt.de-Kosmos’, wie ich unwissend annehme – denn sind wir nicht alle diese ominöse „Generation Praktikum“, der Sebastian Christ mit seinem Erstlingswerk offenbar eine Stimme verleihen wollte? Um die Nicht-und-noch-nie-gewesenen-Praktikanten in der Runde nicht auszuschließen, sei hier dennoch der Plot zusammengefasst: Jan Hesse, Mittzwanziger, ist seit Jahren unterwegs von der Schule an die Uni nach München, von dort zum Entwicklunghilfe-Projekt nach Südamerika, zum Auslands-Praktikum in die USA, zu diversen weiteren Praktika von Stadt zu Stadt zu Stadt. Als er bei einem seiner zahlreichen Praktika in Hamburg auf Anne trifft, wird ihm klar, dass dieses „Umziehen. Ankommen. Auspacken.“ eigentlich mal ein Ende haben müsste und dass er seit der Schulzeit nur noch gute Bekannte und etwa 200 Facebook-Freunde angehäuft hat. Was folgt ist ein weiteres Praktikum beim „Kinomagazin“ in Hamburg (um in Annes Nähe zu sein, die dort aber nicht mehr wohnt), das natürlich unterbezahlt ist und voller arroganter Medien-Heinis, die Jan mit Schikane-Aufgaben ausbeuten. Weil Jan das alles plötzlich so sinnlos vorkommt, sinniert er des Öfteren darüber, erinnert sich an früher oder bespricht die Praktikanten-Sorgen mit anderen Praktikanten oder Bekannten. Das hört sich dann ungefähr so an: [i]„Hey Lena, alles klar bei dir?“ „Geht so.“ „Gibt es Ärger mit Jasmin?“ „Nein, nicht wirklich.“ „Mit Schmäler?“ (Anm.: der „Kinomagazin“-Chef) „Ach nein, der ist doch schon lange nicht mehr bei uns gewesen.“ „Ist es die Arbeit hier? Ich habe doch gesehen, dass sie dich mit immer neuen Sinnlosaufträgen zukleistern. Die haben sie doch nicht mehr alle…“ „Wahrscheinlich hast du recht. Schön ist das nicht mehr. Weißt du, seitdem ich hier bin, frage ich mich, wo das alles hinführt.“ „Bist du schon zu einem Schluss gekommen?“ „Noch lange nicht. Aber eins weiß ich sicher: Ich brauche dieses Praktikum, es öffnet Türen.“[/i] Das alles ist ganz nett geschrieben, liest sich glatt runter und hat streckenweise hohen Wiedererkennungswert: Denn auch ich habe schon in kaum eingerichteten, zwischen gemieteten Wohnungen gehaust und beim Griff zur Fernbedienung bemerkt, dass es noch nicht mal einen Fernseher gibt in diesem Loch. Ich kenne das Gefühl, dass man mit einigen Leuten unterwegs gerne tiefere Freundschaften aufgebaut hätte und sie dann doch irgendwo im Handyspeicher abgelegt und aus den Augen verloren hat. Es stimmt, manchmal wohnt und arbeitet man an einem Ort nur, statt zu leben, weil die Energie für ein ordentliches Eingewöhnen gerade nicht reicht (ja, das gilt in meinem Fall auch für München). Aber was ich als Praktikantin aus Sebastian Christs Praktikumsroman ziehen soll, weiß ich nach dem Lesen der ersten und Durchblättern der zweiten Hälfte dennoch nicht so recht. Weder jubiliert es in mir: „Endlich hat es mal einer ausgesprochen!“ noch vermag ich mich den Selbstzweifeln des Protagonisten anschließen und das Praktikanten-Nomadentum der letzten Jahre grundsätzlich in Frage stellen. Vielleicht taugt es in einsamen Stunden als Gutenacht-Lektüre, wenn man in fremden Städten in fremden Betten liegt und sich zu vertrauten Menschen in vertraute Städte wünscht. In diesem Falle ist es sicherlich unterhaltsam, aufmunternd oder irgendwas dazwischen. Greift nur gerade gar nicht, denn bei mir heißt es am Freitag "Umziehen. Ankommen. Auspacken."

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

[i]Sebastian Christ: "... und wünschen Ihnen für die Zukunft alles Gute! - Ein Leben als Praktikant" ist bei Goldmann (Random House) erschienen und kostet 7.95 Euro.[/i]

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