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Wissenschaft als Hörbuch

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www.voland-quist.de Angestrichen: Dieses Hörbuch soll als eine Art akustische Landkarte dienen. Nicht aber um einen Ausweg auszuweisen, sondern um zurück zu uns zu finden. Schließlich sind wir es, die die Moderne bewohnen und uns immer neu in ihr einrichten müssen. Wo steht das denn? Im Booklet zum Hörbuch „intervalle - Lebensaspekte der Moderne“. Zehn Texte über Liebe, Reisen, Politik, Essen und andere Tätigkeiten, die der Mensch von heute so zu verrichten hat, werden darauf verlesen. Alle Autoren sind Sozial- oder Kulturwissenschaftler. Wer diese CD also in seine Anlage legt, darf mit gut 70 Minuten alles möglichen rechnen – abgesehen von besonders profundem Erkenntnisgewinn oder wenigstens launiger Unterhaltung. Dabei drehen sich gerade um den Begriff der Moderne viele der spannendsten Debatten der Geisteswissenschaft. Wo die Moderne ansetzt, welche Eigenschaften sie hat, ob sie global, abgeschlossen oder niemals erreichbar ist – das sind Fragen, mit denen sich jeder Historiker, Soziologe oder Sprachwissenschaftler auseinander setzen muss. Jemand, der sich für Gesellschaft und Medien interessiert, müsste sich also erfreut die Hände reiben, wenn er ein paar „wissenschaftlich-literarische Texte“ zu diesem Themenkomplex serviert bekommt, und dazu noch in der wenig arbeitsaufwendigen akustischen Form. Doch genau da fängt das Problem mit den „intervallen“ an. Nach einem unfassbar monotonen Intro, das dem Zuhörer die abgestandene Luft eines Vortragssaals geradezu ins Ohr zu pusten scheint, setzt der erste Autor mit seinem „Landschaftserleben eines beifahrenden Ehemanns“ ein und teilt uns seine Gedanken während einer Urlaubsfahrt mit. Dabei soll es um die Befreiung des Menschen durch Reflexion seiner Umgebung gehen. Doch viel mehr als der Name der Frau sowie die merkwürdige Gewohnheit von Klaus Köhnke, das Wort Distanz immer mit französischem Akzent auszusprechen, bleibt nicht hängen. Auch der eigentlich sehr interessante Zusammenhang zwischen „Demokratie und Depression“ erschließt sich kaum; dafür die scheinbar traurige Gemütslage des Verfassers Wolfgang Fach selbst. Vor lauter Hörerlebnis geht der Inhalt flöten. Eine Ausnahme bildet der Text „Der neoliberale Charakter“ von Ulrich Brieler. Er analysiert den „Imperativ der fortwährenden Hyperaktivität“, die das moderne Subjekt zwingt, sich selbst ständig als Ware zu verkaufen. Der globalisierte Mensch habe die Eigenschaft, „die eigene Verwertung autonom zu organisieren.“ Brieler formuliert seine Gedanken präzise und verwendet hübsche, ironische Bilder, um sie zu illustrieren. Sein Text ist vielleicht inhaltlich nicht besser, als die anderen. Doch ihm gelingt es, hörbar zu schreiben. Und das ist vielleicht der Grund, warum „intervalle“ nicht so funktioniert, wie es sich die Herausgeber vorstellen. Es ist schon nicht einfach, wissenschaftliche Texte zu lesen. Sie sich einfach nur anzuhören und dabei auch noch zu sich selbst zu finden, ist eindeutig viel verlangt. Dafür müsste man schon mit dem Notizblock vor den Boxen sitzen, und einen solchen Aufwand wiederum lohnen die Texte leider nicht. Der Trend, Literatur per Hörbuch leichter verdaulich zu machen, ist an sich schon fragwürdig. Dass er in der Wissenschaft definitiv nichts verloren hat, beweist dieser Band. Steht im Bücherregal zwischen: „Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne“ von Ulrich Beck und ein paar Sonic Youth CD’s.

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