Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Im Schaufenster nackt; winkend

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Als ich die Botschaft von der Redaktion las, mich hier vorzustellen, befand ich mich in einer Art Schock. Zwei Stunden zuvor stürzten in der Severinstraße in Köln das Stadtarchiv und mehrere Häuser ein. Drei Jahre habe ich dort gelebt, in dieser Straße. Drei von fünf Jahren Köln. Ein Ort voller Geschichten und Bilder verschwand. Mein Ort voller Geschichten und Bilder ist hier. Und jetzt? Meiner ehemaligen WG geht es gut. Man müsste allerdings, wenn man dort auf die Straße tritt, den Trümmerberg sehen. In der Severinstraße entstand im November 2005 die jetzt.de-Identität herzschlag_ins_gesicht. Ein Wortspiel, das mir bei der Anmeldung eingefallen war, um aufzufallen.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Es brauchte jedoch seine Zeit, bis ich anfing, Texte zu schreiben. Ich würde gerne tolle Geschichten erzählen. Von Personen, die so gut erfunden sind, als würden sie existieren. Es gelingt mir zu selten. Weil: Eigentlich immer, wenn ich anfange zu schreiben, lande ich bei mir. Das zu akzeptieren habe ich mittlerweile gelernt. Gelernt, dass dieses Aufschreiben meinen Gedanken eine Struktur gibt, eine Ordnung, eine Orientierung. Dass ich sie hier veröffentliche, ist nicht nur Eitelkeit. Ich brauche jetzt.de, um überhaupt zu schreiben. Alle meine Texte entstanden hier. Am Stück und geraderaus. Momentaufnahmen meines Lebens. jetzt.de ist für mich wie ein Café voll von interessanten Leuten. Manchmal setzt du dich zu ihnen, und unterhältst dich, oder hörst nur zu. Manchmal stehst du an der Bar und schaust dich um. Manchmal sitzt du alleine an einem Tisch; trinkst ein Bier oder fünf und schreibst. Manchmal stimmt es mich traurig, dass ich meine besten Texte betrunken schrieb. Und manchmal bekomme ich ein bisschen Angst, wenn ich das Geschriebene später lese. Ich habe dann das Gefühl, als würde ich mich nackt ausziehen, und, als würde das noch nicht reichen, in ein Schaufenster setzen. Und statt beschämt auf den Boden zu schauen, winke ich den Menschen auch noch zu. Jubel Trubel Eitelkeit. Als mein Vater starb, schrieb ich darüber. Das habe ich mittlerweile gelöscht. Als meine Beziehung blühte, schrieb ich darüber. Als sie in die Brüche ging, auch. Das habe ich nicht gelöscht. Er verließ uns, ich verließ dich, und der Kreis schließt sich dennoch nicht. In der Severinstraße gab es schon mal einen Trümmerberg. Allerdings tötete der keine Menschen, und blieb den ganzen Anwohnern verborgen. Ich trage ihn noch immer ab. Du siehst es nicht. Aber du kannst davon lesen. Hier, auf jetzt.de.

  • teilen
  • schließen