Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Und jetzt? Ein Plädoyer für die Literatur

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Mit der Realität konnte ich mich noch nie anfreunden, in meinen bisherigen 25 Jahren war ich immer irgendwie zu dick, zu klein, zu weiblich, zu frech, zu laut und leider nie reich oder intelligent genug, um alle angestrebten Ziele zu erreichen. Als Kind hätte ich gerne ein Haus mit Pferd gehabt und wollte mit Feen reden, zwischendurch habe ich mal auf einer einsamen Insel gelebt und dort geheime Schätze gehoben und seit dem Ende meiner Pubertät haben sich meine Wünsche irgendwo zwischen Jeanne D`arc, Catwoman und Hillary Clinton eingependelt. Warum sollte ich auch niedrigere Ansprüche haben, wenn ich doch die Literatur habe und mit Büchern um die ganze Welt reisen und sämtliche Abenteuer erleben kann. Autoren lassen mich weinen, lachen, träumen und das Vergangene und die Gegenwart besser verstehen.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

In der U-Bahn dem Sitznachbarn mit Knoblauchfahne und seiner lautstarken Diskussion über die aktuellen Charts entfliehen, in „Die Stadt der träumenden Bücher“ ziehen und hoffentlich nicht wieder die richtige Haltestelle verpassen. Während dem Spaziergang an der Isar Christian Brückner und seiner Interpretation von „Moby Dick“ lauschen oder mit Ingrid Noll untreue Ehemänner ermorden. Ich weine um Anne Frank, die mit ihrem Tagebuch mehr Geschichte vermittelt als stundenlanger Unterricht es je könnte und kämpfe dank Sergej Lukianenko gegen die unheimlichen Gestalten der Unterwelt. Seit drei Jahren blogge und podcaste ich nun auch über meine Leidenschaft zur Literatur. Aus meiner anfänglichen Idee, ein bisschen Werbung für dieses angeblich so langweilige und angestaubte Medium Buch zu machen, ist ein völlig neues Leben und viele Kommentatoren sind zu Freunden geworden. Ich bekomme viele neue Buchtipps, Emails von anderen begeisterten Leseratten aus aller Welt sowie regelmäßige Anfragen von Verlagen, doch bitte über dieses oder jenes Buch zu berichten oder einen Autor vorzustellen. Die Bücher bekomme ich inzwischen längst umsonst, im Tausch für meine Meinung, die natürlich nicht immer positiv ausfällt, leider, denn schließlich könnte jedes schlechte Buch ein Grund gegen Literatur sein. Ich verdiene damit Geld, bisher allerdings noch zuwenig zum Leben und zuviel zum Sterben, aber es geht monatlich bergauf, so wie die Besucherzahlen. Neulich wurde ich zum ersten Mal bei einer Lesung angesprochen, eine Frau zog ein Buch aus ihrer Tasche, das ich empfohlen hatte. Sie hatte meinen Podcast auf ihrem Ipod und war sichtlich aufgeregt, ich dann auch. Dass meine Begeisterung für Literatur also tatsächlich ansteckend ist, bedeutet für mich Erfolg. Wer sich diesem Thema annimmt, wird in den seltensten Fällen viel Geld verdienen und von Luft und der Liebe zum Tun an sich kann man auch nicht leben. Aber noch bin ich zu jung und motiviert um aufzugeben, das habe ich mir von meinen Helden abgekuckt. Und jedes Buch, zumindest fast jedes Buch lässt mich wieder denken: „Das ist so gut, davon muss unbedingt jeder erfahren!“ Mein reales Leben ist sehr schön, aber ich bin einfach immer noch zu gierig, neugierig. Alles möchte ich haben, alles möchte ich erleben und sämtliche Grenzen überschreiten. Literatur verbindet die Großen mit den Kleinen, die Armen mit den Reichen und manchmal sogar die Frauen mit den Männern, Büchern fördern das Verständnis und die Toleranz anderen Weltbewohnern gegenüber und lässt einen hoffentlich am Ende klüger zurück. Ende.

  • teilen
  • schließen