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Wie die Universität mich enttäuscht hat. Aber meine Mutter nicht

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Meine Mutter hat mich neulich schon wieder gefragt, ob ich denn trotzdem ins nächste Semester kommen würde, obwohl ich nur so wenige Veranstaltungen besucht habe. Ich habe ihr dann, schon wieder, erklärt, dass man an der Uni immer ins nächste Semester kommt; dass ja gerade das das Problem der Langzeitstudenten ist, die schon das 15. Semester überschritten haben. Dass es also keineswegs so wie in der Schule ist, wo man sitzenbleibt. Ich vermute allerdings, in den nächsten Semesterferien wird meine Mutter mir trotzdem wieder die gleiche Frage stellen. Meine Mutter hat nicht studiert. Ich bin eines dieser von allen geforderten Nicht-Akademiker-Kinder an der Uni. "Wir wollen junge Leute aus allen gesellschaftlichen Schichten für ein Hochschulstudium motivieren", hat Annette Schavan neulich erklärt. Ich denke bei solchen Sätzen immer an hungrige kleine Buben mit rußverschmierten Gesichtern, die darauf warten, dass ihr Vater aus der Kohlegrube zurückkehrt. Aber vermutlich meint Annette Schavan auch mich. Wenn ich mich richtig erinnere (man weiß ja immer erschreckend wenig über seine eigenen Eltern), wollte meine Mutter in einer fernen Vergangenheit, vor meiner Geburt, als zum ersten Mal auch für junge Frauen vom Dorf alles möglich schien, Deutschlehrerin werden, auf dem zweiten Bildungsweg. "Zweiter Bildungsweg", das klingt heute lustig, aber damals muss das für sie und andere eine tolle Sache gewesen sein. Hin und wieder finde ich in unserem Wohnzimmerschrank alte Klassikerausgaben und wundere mich. Die müssen noch aus dieser fernen Vergangenheit stammen, ich habe meine Mutter nämlich noch nie ein Buch lesen gesehen. (Vergangenes Jahr Weihnachten hatte sie sich "Ich bin dann mal weg" gewünscht und als ich sie die ersten Abende mit dem Buch in der Hand sah, habe ich mich etwas gegruselt, so als gäbe es meine Mutter nicht mehr und sie wäre durch eine andere Person ersetzt worden.)

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Das mit der Deutschlehrerin hat nicht geklappt, ich glaube, am Ende fehlte es ihr an Unterstützung, ohne die es nicht geht, selbst wenn alles möglich scheint. Es kamen dann eben die Kinder, der Haushalt und all die Quälereien. Sie hat später wieder angefangen, im Reisebüro zu arbeiten, und so habe ich meine Mutter auch seit meiner Kindheit in Erinnerung: als Angestellte, die nachmittags müde nach Hause kam, mir Essen gekocht hat und sich meine Klassenarbeiten angesehen hat. Selbst die in Latein später, mit denen sie eigentlich nichts hat anfangen können. Sie fragt auch heute noch nach meinen Hausarbeiten zur kontrafaktischen Analyse der mentalen Verursachung. Ich spreche auch in der Gegenwart meiner Mutter oft schlecht über mein Studium: über die Kommilitonen, über das Blabla, das sie da für Wissenschaft halten, über die nervigen Seminardiskussionen und den geringen Ruhm, den man ernten kann. "Gar nichts kann ich mir von meinem Abschluss kaufen, Mama", sage ich, wenn ich gerade besonders enttäuscht bin. "Ich lerne da doch nichts, das mir im wirklichen Leben irgendetwas helfen würde." Meine Mutter reagiert darauf meist sehr entsetzt. "Wofür zahlen wir" - meine Mutter sagt immer "wir", wenn es um die Uni geht - "Wofür zahlen wir denn die Studiengebühren, wenn dich das alles nicht interessiert?" Wenn es darum geht, sich für Praktika zu bewerben, ins Ausland zu gehen oder sonstigen Lebenslaufschnickschnack zu machen, ist meine Mutter immer skeptisch: Ich soll mir bloß nicht zu viel vornehmen. Aber die Uni nimmt sie so ernst und schätzt sie so sehr wie kaum ein Student, den ich kenne. Mich hat die Uni enttäuscht. Meine Mutter nicht im geringsten. Vermutlich weil die Universität immer eine große Hoffnung gewesen ist. Der Hörsaal stand stellvertretend für einen Traum von einem besseren Leben, in dem man die Dinge um einen herum versteht - und, ja, sie sich auch leisten kann. So ist es eigentlich heute auch noch. Deswegen muss man die Uni ja ganz unbedingt daran erinnern, dass sie die Pflicht hat, diesen vielen Hoffnungen gerecht zu werden. Deswegen muss man aber wohl auch die Studenten ermutigen, sich nicht ganz so schnell enttäuschen zu lassen wie ich. Mehr zu sein wie meine Mutter, vielleicht.

Text: lars-weisbrod - Illustration: Eva Hillreiner

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