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Wie die Universität mich enttäuscht hat. Zum Beispiel Anna, Lena und Sarah

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Ich habe drei Kommilitoninnen, nennen wir sie Lena, Anna und Sarah. Lena, Anna und Sarah studieren auf Lehramt. Sie sehen gut aus, tragen DaKine-Rucksäcke und Samstags gehen sie manchmal aus, zusammen natürlich. Wenn dann "Walking on sunshine" läuft, kreischen sie und stürmen die Tanzfläche. So stelle ich es mir zumindest vor, ich bin ihnen Samstagabends bisher noch nie begegnet. In Seminaren sind die drei hauptsächlich damit beschäftigt, hektisch mitzuschreiben und Texte mit verschiedenen bunten Textmarkern so lange zu bearbeiten, bis sie jeden Sinn der Arbeitstechnik des Unterstreichens pervertiert haben, weil nun die wenigen nicht unterstrichenen Wörter ins Auge fallen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Manchmal stellt eine der drei auch eine Frage. "Also ich studiere ja nach der alten LPO", fängt Lena dann an zu erzählen, "war aber letztes Semester mit Erasmus in Lettland und weiß jetzt nicht, welchem Modul ich dieses Seminar zuordnen kann, wenn ich vielleicht nächstes Semester Prüfung in Alt-Griechisch machen will." Der Dozent weist sie meist darauf hin, mit solchen speziellen Problemen doch lieber nach der Veranstaltung zu ihm zu kommen, was Lena mit einem wütenden Blick quittiert, den sofort, aus Solidarität, auch Anna und Sarah auflegen. Meldet sich eine der drei und trägt keines dieser Also-gestern-ist-meine-Katze-gestorben- und-da-wollte-ich-mal-fragen-Probleme vor, sagt sie stattdessen mit neunzigprozentiger Wahrscheinlichkeit einen der folgenden fünf Sätze: "Das ist doch alles Definitionssache." "Jeder Mensch ist doch unterschiedlich." "Letztlich muss das jeder für sich selbst entscheiden" "Aber ein Gedicht soll doch auch schön sein!" "Also mein Freund studiert ja Informatik/Physik/Wasserbau und der hat gesagt ..." Ich würde viel dafür geben, keinen dieser fünf dummen Sätze je wieder an der Uni hören zu müssen. Nicht weil sie so falsch wären (vermutlich stimmen sie ja sogar), sondern weil sie so offensichtlich sind und trotzdem immer und immer wieder gesagt werden, meist auch noch im Tonfall des Rebellisch-Erkenntnisreichen. Ich habe Lena einmal versucht zu erklären, was an den Sätzen nicht stimmt, aber sie hat dann nur diesen wütenden Blick aufgesetzt. Ich glaube, für sie und Anna und Sarah hat die Schule nie aufgehört. Die drei lernen sehr gerne Tabellen und Listen auswendig und wenn der Dozent irgendetwas gesagt hat, das sie nicht mitbekommen haben, blicken sie erschrocken auf und flüstern sich nervös zu. Lena, Anna und Sarah kommen aus der Schule und gehen später wieder dorthin. Damit sie sich zwischendurch nicht umstellen müssen, ist ihnen die Uni auch nur eine normale Schule, bloß mit mehr "Schülern" und seltsamen Unterrichtsthemen. Ich weiß, dass es ungerecht ist, Pauschalurteile über Lehramtstudenten zu fällen. Man wird damit zu einem Hochschul-Mario-Barth, der olle Klischees bedient. Es ist ja keineswegs so, dass Magister nie etwas unterstrichen oder ein uninteressantes Privatproblem vor dem gesamten Kurs ausgebreitet hätten. Oft studieren die schlausten Leute, die man an der Uni kennen lernt, auf Lehramt. Aber Lena, Anna und Sarah sind ja nicht nur Studentinnen, sie sind auch Symptome. Es wird ihnen nicht besonders schwer gemacht, derart unemanzipiert zu studieren. Ja, es wird an den brandneuen, umstrukturierten Universitäten sogar gefördert und erwartet. Lena, Anna und Sarah sind die Zukunftsmodelle, leuchtende Beispiele, die uns vorangehen sollen: So bitte in Zukunft studieren! Darüber kann man dann schon traurig werden. An einer Uni, wie ich mir sie vorstelle, dürfte das Schulespielen nicht so einfach funktionieren. Da würde den dreien jemand die bunten Textmarker zum Unterstreichen wegnehmen und sie auffordern, lieber mitzudenken oder wenigstens während des langweiligen Dozentenmonologs ein gutes Buch zu lesen. Stattdessen dürfen Lena und Anna - die beiden haben den Dozenten neulich extra mitten in der Sitzung gefragt - jetzt auch ihre Hausarbeit zusammen schreiben.

Text: lars-weisbrod - Illustration: Eva Hillreiner

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