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Wie die Universität mich enttäuscht hat. Zum Beispiel Nina

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Ich habe eine Freundin, nennen wir sie Nina. Nina ist so eine Art Berühmtheit, bei Youtube kann man sich Videos von ihr ansehen und in bekannten Studentennetzwerken wurden ihr zu Ehren Gruppen gegründet. Ihre Berühmtheit hat Nina sich genauso verdient wie ihren „Bahn.comfort“-Status, nämlich indem sie jedes Wochenende in Deutschland herumgefahren ist, um irgendwo auf einer Bühne Texte vorzulesen und Faxen zu machen. Nina ist allerdings nicht nur „Bahn.comfort“-Kundin und beliebte Lesebühnenautorin, nein, sie ist zu allem Überfluss auch noch Studentin.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Sobald Nina in ihrer raren Freizeit eine Hausarbeit schreiben muss, kommt sie einem Nervenzusammenbruch gefährlich nahe. Nichts kann man mit ihr unternehmen, ohne dass sie ihr Leid klagt. Wie viel sie noch zu tun habe! Und dass es ausgerechnet diesmal wirklich nicht zu schaffen sei! So geht es Satz für Satz, so geht es bei McDonalds in der Warteschlange und im Kino-Foyer. Am Ende ist eine Mischung aus Angstschweiß und katholischem Pflichtgefühl ihr Treibstoff und sie schnauft wie eine alte Dampflokomotive von Bibliothek zu Bibliothek, um sich Bücher zu kopieren. "Kopier doch nicht so viel", sage ich dann, "das liest du doch eh nicht alles." Aber Nina liest es alles, womöglich im Zug, auf ihrem Bahn.Comfort-Platz. Auf meine Ratschläge legt sie sowieso keinen allzu großen Wert, lieber unterstellt sie mir mangelnde Empathie: Ich, dem ja immer alles zugeflogen sei, könne ihr schweres Schicksal, ihr Hadern mit dieser Nervenzusammenbruchsmaschine Universität in tausend Jahren nicht verstehen. Meine lächerlichen Ratschläge kämen nur jemandem in den Sinn, der ein Lieblingskind jedes Professors sei. Ich dementiere das natürlich umgehend, denn selbstverständlich sehe ich das alles ganz anders. Ich bilde mir - das ist die Wahrheit und höchstens zu 50 Prozent Koketterie - nicht besonders viel ein auf irgendwelche vorgeblichen Erfolge an der Universität. Die paar lächerlichen Meldungen im Proseminar! Viel eher bin ich glühend neidisch auf Ninas Ruhm und ihren Bahn.Comfort-Status. Lieber hätte ich auch Faxen auf der Bühne gemacht, statt fragwürdige Erfolge in irgendeiner Wissenschaft zu feiern, die niemandem weiterhilft. Deswegen habe ich Ninas Sorgen um ihre universitäre Karriere nie verstanden. Wie kann sie nur verzweifeln darüber, so wenig Zeit für die Uni zu haben, wenn sie doch so gute Gründe dafür hat, wenig Zeit zu haben? Sie verbringt ihre Stunden eben mit Sinnvollerem, in vielerlei Hinsicht: Sie verdient Geld, lernt Menschen kennen und bastelt an ihrer Zukunft. Mehr könnte ihr doch auch keine Hochschule der Welt bieten. Höchstens weniger, wenn's nicht so gut läuft - und es läuft ja oft nicht so gut. Was will Nina überhaupt noch an, was will Nina von der Uni? In die entgegengesetzte Richtung scheinen mir Neid und Wunschdenken schon viel eher angebracht: Ich gönne Nina ihren Erfolg, doch mir würde ich ihn auch gönnen. So wenig ich ihren sehnsüchtigen Blick auf die Waschbeton-Fassaden meiner Uni verstehen kann, so heiß bin ich doch verliebt in die Literaturszene, deren Lieblingskind sie ist. Ich will auch lieber von distinguierten Menschenmengen bejubelt werden statt in fensterlosen Seminarräumen bei schlechter Luft zu versauern, während die Kommilitonen vor Langeweile stöhnen. Kurz: Ich will, was Nina hat, und Nina will, was ich habe. Dass wir uns gegenseitig so wenig verstehen, lässt sich vermutlich sehr schnell erklären, in nur einem Satz - und der ist auch noch alt und langweilig: Auf der anderen Seite ist das Gras immer grüner. Schlimm, dass dieser Satz auch auf die Universität zutrifft, die ja wohl alles sein soll, nur eben gerade nicht alt und langweilig. Aber man muss der Sache wohl ins Auge sehen: Auch die Uni ist nur eine Wiese, die je nach Perspektive mal mehr und mal weniger grün aussieht. Sie unterscheidet sich nicht sehr von all den anderen hochgeschätzten Dingen im Leben, von Ruhm, Sexappeal, Reichtum. Man kann weder ohne sie, noch mit ihnen. Das heißt, man kann schon mit ihnen, aber sie reichen einem dann lange noch nicht. Auch Studenten sind nur nimmersatte, ewig-unzufriedene Kühe auf der grünen Wiese. Selbst mit Bahn.Comfort-Status. Schade eigentlich.

Text: lars-weisbrod - Illustration: Eva Hillreiner

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