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Wie die Universität mich enttäuscht hat. Zum Beispiel Professor Hochmuth
Ich habe einen Professor, nennen wir ihn Hochmuth. Man erzählt sich, Professor Hochmuth habe einmal in einer Vorlesung die gesamte postmoderne Philosophie widerlegt, von Foucault bis Deleuze, und das alles in einem einzigen Unterpunkt eines seiner berühmten Skripte. Ich weiß nicht, ob die Geschichte stimmt. Aber ich habe im ersten Semester einen Logik-Kurs bei Professor Hochmuth besucht. Nach der ersten Sitzung war ich erfreut und überrascht, nach der zweiten fasziniert und nach der dritten ihm und seiner Art, Wissenschaft zu betreiben, verfallen. Ich wusste plötzlich: Das war genau das, was ich jahrelang vermisst hatte, in der Schule, in der Zeitung, überall! Alles, was er sagte, war klar und leuchtete ein - und wenn es einmal nicht einleuchtete, war klar, wieso es nicht einleuchtete. Es war nicht dieses wabbelige und vage Zeug, das einem alle Lehrer jahrelang vorgesetzt hatten (außer vielleicht die aus dem Mathe- und Physikunterricht), es waren keine aufgeblasenen Metaphern, deren Verschwurbeltheit irgendwer mit gedanklicher Brillanz verwechselt hatte. Es war einfach Wissenschaft. Man müsse sich eben entscheiden, sagte Professor Hochmuth einmal, ob man Wissenschaft betreiben wolle oder Märchen erzählen. Ich war begeistert, dass jemand so dachte. Ich muss mich so gefühlt haben wie ein Teenager, der das erste mal im Ausgehviertel der großen Stadt ist, und hätte am liebsten bei jedem von Hochmuths Worten „Ja! Ja! Ja!“ gerufen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Ich habe in den nächsten Semestern keines seiner Seminare und keine seiner Vorlesungen ausgelassen. Immer wieder habe ich versucht, mir mit irgendwelchen Gesprächsbeteiligungen sein Lob einzuheimsen. Es hat nicht funktioniert. Meldete man sich und legte dar, was man sich überlegt hatte, richtete er seinen Blick kurz zur Zimmerdecke und dachte nach, mit einem ernsthaften, aber gleichzeitig vergnügten Gesichtsausdruck, so als sei Denken das Schönste auf der Welt. Dann widerlegte er meist, was der Seminarteilnehmer gesagt hatte, in einem Feuerwerk der Struktur und Argumentation. Dabei sprach er in einem Tonfall, als seien die komplizierten Gedankenschritte, die er gerade tänzelnd ging, doch absolut offensichtlich und es höchst seltsam, dass der Student nicht von selbst darauf gekommen war. Er meinte das aber nie böse. Es war vermutlich nicht einmal Absicht, dass er so klang. Es war wohl einfach der Tonfall, der zu seiner Art des Denkens gehörte. Ich hatte schließlich eine kleine Obsession entwickelt, was Hochmuth anging. Kommilitonen, denen ich von ihm vorschwärmte, machten sich bereits lustig über mich. Ich war ein wenig wie der junge Arzt John Dorian und schwärmte für einen Dr. Cox, den ich mir zum Vorbild erkoren hatte. Das Beste an Hochmuths Veranstaltungen war aber die einfache Tatsache, dass man dort das so seltene Gefühl hatte, man würde tatsächlich etwas lernen. Etwas Neues womöglich sogar.
Irgendwann kam es aber, wie es immer kommen muss. Hochmuth hatte mich endlich gelobt und mir sogar ein Thema für eine schriftliche Arbeit überlassen, das, wie er sagte, er selbst gerne bearbeitet hätte, ihm fehle bloß die Zeit. Ich setzte mich also hin, las die Texte, klappte mein Notebook auf und fing an zu schreiben. Dann las ich die Texte noch mal, löschte alles, was ich geschrieben hatte, und malte tausend Skizzen in meinen Block, die ich dann auch alle wieder wütend durchkritzelte. Je mehr ich mich mit der Materie beschäftigte, desto verwirrender fand ich alles. Nichts war mehr einleuchtend und klar und es war auch nicht einleuchtend, warum es nicht klar war. Trotzdem musste ich aber die Arbeit abliefern, irgendwann.
Ich schaltete in den Modus, den man immer braucht, um geisteswissenschaftliche Arbeiten zu schreiben. Ich nenne ihn "Wissenschaftssimulation". Hauptsache, am Ende klingt es so, wie wissenschaftliche Texte klingen. Ob es richtig ist oder falsch, weiß ja eh kein Mensch. Alles reine Stilübung. Und eigentlich machte mir das auch bald nichts mehr aus, man findet sich an der Universität ja relativ bald damit ab, dass man seinen Ansprüchen oder den Ansprüchen der Wissenschaft doch nur schwerlich genügen kann.
Mein schönes Bild von Professor Hochmuth und der Wissenschaft, es ist nach meinem vergeblichen Versuch, in dieses Bild zu passen, irgendwie dahin.
Jetzt frage ich mich nur noch, was wird, wenn er mich für die Arbeit lobt?
Text: lars-weisbrod - Illustration: Eva Hillreiner