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Alles bleibt anders

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Anne, 24, ist 2008 ausgezogen.  

Meine Eltern haben beide geräumige Arbeitszimmer und ein großes Wohn- und Esszimmer, die haben keinen Bedarf, hier etwas zu ändern. Außerdem ist es ihnen, glaube ich, wichtig, mir hier noch einen Wohlfühlort zu bieten. Der Punkt, an dem sie es wirklich mal räumen, kommt wahrscheinlich erst, wenn ich mich irgendwo richtig langfristig niederlasse, mit Familie und so. Gerade mache ich hier in der Nähe ein Praktikum, deshalb wohne ich wieder ein paar Wochen zu Hause. Insgesamt bin ich höchstens zwei Wochen im Jahr hier. Ich habe bei meinem Auszug nur einen Ikea-Sessel mitgenommen, sonst nichts. Ich fand es toll, in meinem WG-Zimmer in Bremen neu zu beginnen und mich ein Stück weit neu zu erfinden. Es ist schon etwas skurril, dass hier noch alles so ist, wie es früher war. Aber ich fände es doch auch komisch, wenn es nicht mehr so wäre. Wenn das plötzlich die Rumpelkammer meiner Eltern wäre, könnte ich damit erst einmal nicht so gut umgehen. Ich bin so ein Aufbewahrkind, ich habe unglaublich viele komische alte Sachen irgendwo liegen, Erinnerungen von Schüleraustauschen, Fotos, Zeichnungen von Freundinnen und Briefchen, ich sitze manchmal wirklich ganze Nachmittage vor meinen Schränken und entdecke das alles wieder neu. Das Wichtigste in diesem Zimmer sind meine Fotoalben und eine Urkunde von meinem Opa, auf der steht, dass er 20 Mark für jedes gezüchtete Fohlen bekommen hat.  



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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Jakob, 25, ist 2005 ausgezogen.  

Nach meinem Auszug habe ich das möblierte WG-Zimmer meines Bruders übernommen, deshalb ist hier alles so geblieben, wie es damals war. Meine Eltern haben genug Platz und finden es schön, uns unsere alten Zimmer zu bewahren. Außerdem sind wir auch alle ein bisschen zu faul, hier alles neu zu machen. Einmal hatten wir mein Zimmer sogar für ein paar Monate an jemanden aus der Nachbarschaft als Arbeitszimmer vermietet, den hat mein Kinder- und Jugendkram hier wohl nicht weiter gestört. Das meiste hier ist eigentlich Schrott, pure Staubfänger: alte Indie-Anstecker, leere Batterien, alte Kabel, Schulbücher, kaputte DVDs und alte CDs. Meine Jahrbücher und Hausaufgabenhefte aus der Schule sind auch noch hier, eine kleine Kiste mit Dingen von meiner Südamerika-Reise, außerdem eine Flasche Berliner Bier, das ich von einer Klassenfahrt mitgenommen habe und das seit 2005 abgelaufen ist. Es gibt noch einen Schuhkarton mit Liebesbriefen und das Blindentelefon meiner Großeltern. Vieles kann und sollte bestimmt weg, aber irgendwie hänge ich an allen Dingen ein bisschen, weil es lustige Erinnerungen sind. Wichtig ist der Totenkopf. Der ist echt, noch aus dem Ersten Weltkrieg. Oben in der Schädeldecke sieht man den Einstich eines Bajonetts. Er stand immer in der Arztpraxis meines Opas, dann wanderte er in den Keller, und irgendwann habe ich ihn mir ins Zimmer geholt. Ich bin ungefähr ein- mal die Woche hier draußen auf dem Land, wir wohnen am See, und ich genieße die Luft und die Aussicht. Wenn ich hier bin, bin ich auch immer wieder ein bisschen in Kinderstimmung zwischen den ganzen alten Sachen und habe Angst, dass gleich meine Mutter hereinkommt und mich wie früher beim Kiffen erwischt.  



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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Annika, 24, ist 2008 ausgezogen.  

Als ich ausgezogen bin, wollte ich in meinem WG-Zimmer nicht alles neu machen, da hätte ich mich irgendwie entwurzelt gefühlt. Ich habe Stück für Stück immer ein paar Sachen mitgenommen. Die meisten Möbel hier sind allerdings Einbaumöbel, daher sind sie geblieben. Ansonsten habe ich hier nur noch so eine kleine Ecke, in der Wegschmeißverbot herrscht, da stehen mein Saxofon, meine Bilder aus dem Kunst-LK, Töpferarbeiten und ein Karton mit Fotos. Ich liebe es, mir diese Dinge in gewissen Zeitabständen noch einmal anzusehen. Schon merkwürdig, wie sich die Vorstellung von dem, was man gemacht hat, über die Jahre verändert. Wenn ich ungefähr alle drei Monate mal zu Hause bin, ist mein Kinderzimmer zwar immer noch mein Zimmer, es wird durchgeputzt, ich kriege mein Bettchen gemacht, es steht eine kleine Blume neben dem Bett und eine Flasche Wasser, aber sonst wird eigentlich keine Rücksicht darauf genommen, dass alles so bleibt, wie es ist. Ich freue mich, wenn sich hier etwas verändert, wenn meine Mutter meinen Kleiderschrank vollhängt oder sich hier eine Sofaecke einrichtet. Ich finde es viel trauriger, wenn Eltern das Kinderzimmer so heilig behandeln, als wäre das Kind gestorben. Außerdem glaube ich, dass man manchmal auch einfach zum Wegschmeißen getrieben werden muss. Zu dem Didgeridoo, das hier steht, habe ich keine tiefe Beziehung. Ich habe es von meiner Gastmutter in Australien geschenkt bekommen, aber wenn ich es spiele, kommt nur ein längerer, trauriger Pups raus. Wenn ich hier bin, fühle ich mich immer sehr beschützt und behütet, ich schlafe auch viel tiefer und besser, weil es nur ein paar Vögelchen gibt morgens, keine Tram und kein Kindergeschrei wie in Berlin. Außerdem liebe ich meinen alten Bettalkoven mit dem Bullauge. Als ich zum ersten Mal in einer richtigen Wohnung wohnte und mein Bett da einfach so offen reinstellen musste, war das ganz schön gewöhnungsbedürftig. Immer so mitten im Zimmer aufzuwachen, keinen Schutz, kein Giebeldach über dem Kopf. Dieses Bett ist mir schon heilig - wenn das nicht mehr da wäre, wäre ich traurig. Aber wenn meine Mutter hier auf einmal ihren Schreibtisch reinstellen würde, würde ich trotzdem versuchen, mich damit abzufinden. Ich will mir hier überhaupt keine Rechte mehr einräumen. Das ist das Haus meiner Eltern, ich bin ausgezogen, die können und sollen daraus machen, was sie wollen.  



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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Flo, 24, ist vor neun Monaten ausgezogen.  

Ich habe nach dem Abi relativ lang zu Hause gewohnt. Ich bin kein Stadttyp, ich mag die Ruhe im Vorort. Irgendwann war es doch Zeit, selbstständig zu werden und in eine WG umzusiedeln. Aus meinem alten Zimmer habe ich meine Gitarren mitgenommen, den Computer, zwei Bilder, die meine kleine Schwester mir gemalt hat, und mein Bett. Das hatte ich gerade erst zum Geburtstag bekommen. Ursprünglich habe ich im Zimmer nebenan gewohnt, meine Schwester hat kürzlich einfach mein Zeug in ihr Zimmer geräumt und ihres in meines. Die Fototapete im Hintergrund ist noch von ihr, ein kitschiger Kontrast zu meinem alten Zimmer. Ich bin ungefähr ein- oder zweimal die Woche hier. Obwohl ich mich in meiner WG langsam echt heimisch fühle und auch „zu Hause“ dazu sage, fühle ich mich hier immer noch am wohlsten. Der Stress und die Anspannung aus der Uni verflüchtigen sich, wenn ich hier im Wald joggen gehen kann. Meiner Familie ist es wichtig, dass ich hier ein eigenes Zimmer behalte und mich immer willkommen fühle. Mir ist es egal, wenn Freunde meiner Schwester in meinem Bett schlafen oder sie mein Zimmer als Abstellkammer nutzt - sie hängt zum Beispiel ihre Dirndl hier herein oder schiebt alte Kartons rüber. An all den Dingen, die hier herumstehen, hängen Erinnerungen. Die Modellautos im Regal habe ich als Kind gesammelt. Meine Taufkerze steht hier. Außerdem habe ich noch einen Tennisball, den ich mal in Wimbledon gefangen habe.



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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Rebecca, 26, ist 2007 ausgezogen.  

Mein Zimmer war früher orangefarben, sonst hat sich seit meinem Auszug nicht viel verändert. Manchmal schlafen Freunde meines Bruders hier, aber jedes Mal, wenn ich komme, sieht es aus, als wäre ich die Letzte gewesen, die hier drin war. Als ich zum Studieren nach Maastricht zog, habe ich mich dort ganz neu eingerichtet. Die Möbel hier sind noch meine Kindermöbel. Mein Bett war früher mal ein Hochbett, das haben wir einfach abgesägt, als ich Hochbetten nicht mehr cool fand. Ich weiß gar nicht, wann ich die ganzen Dinge hier zum letzten Mal wirklich berührt habe. Vieles weiß ich trotzdem noch ganz genau, zum Beispiel, dass in der linken Schublade meiner Kommode alle meine Erich-Kästner- und Drei-Fragezeichen-Kassetten liegen. Die alten Kuscheltiere lagen schon in meiner Krippe, den Sand und die Muscheln auf der Fensterbank habe ich vom Segeln und von Reisen in der Kindheit, und an den Afri-Cola-Flaschen auf der Fensterbank oder den Jack-Johnson-Postern an der Wand erkennt man die Phase, in der mein Zimmer cooler werden sollte. Wichtig sind mir besonders die alten Fotos - von meinem Bruder, von meiner ersten Jugendliebe, von Leuten, die ich aus der Kindheit kenne und die immer noch große Rollen in meinem Leben spielen. Das sind Heilig-tümer. Ich bin ungefähr zwei-, dreimal im Jahr zu Hause. Ich genieße die Vertrautheit, aber ich komme mir immer auch ein bisschen zu groß darin vor, irgendwie herausgewachsen. Meine Mutter hat mich kürzlich vorsichtig gefragt, ob sie vielleicht allmählich ein nettes Zimmer für sich daraus machen könnte. Klar, habe ich gesagt, solange nichts weggeschmissen wird und ihr alles in Kisten packt, ist das kein Problem. An dem Zimmer an sich hänge ich nicht.   



Text: mercedes-lauenstein - Fotos: Juri Gottschall

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