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Mit dem Himmelreich, das muss man wissen, ist es wie mit einem Mann, der auf Reisen ging. „Er rief seine Diener und vertraute ihnen sein Vermögen an. Dem einen gab er fünf Talente Silbergeld, einem anderen zwei, wieder einem anderen eines, jedem nach seinen Fähigkeiten.“ So fängt das Gleichnis von den anvertrauten Talenten aus dem Matthäus-Evangelium an. Und wenn man es auf Georg Dietlein überträgt, dann ist er der Diener mit den fünf Talenten. Oder mit noch mehr. Deshalb muss man die Kölner Kranhäuser besuchen, um Georg zu treffen: Glas-Stahl-Türme, die in der Form viel zu großer Hafenkräne auf den Rhein hinausragen. Büro-Bestlage, und ganz oben residiert eine der größten internationalen Wirtschaftskanzleien, in der Georg gerade einen heiß begehrten Praktikumsplatz besetzt. Dabei ist er erst 18 Jahre alt. Das sieht man ihm sogar trotz Anzug, Einstecktuch und sehr erwachsener Brille an. Und das Praktikum im Kranhaus ist nicht das Einzige, was Georg bisher erreicht hat.

„14-Jährige macht Abitur mit Note 1,0“, „Doktorand mit 18“. Man liest diese kleinen Überfliegernotizen hin und wieder in der Zeitung. Meist bleibt nicht mehr zurück als ein kurzer Schauer der Bewunderung. Dabei stellt man sich als normaler Mittellageflieger beim Lesen doch ein paar Fragen, auf die man gern Antworten hätte: Was macht der frühe Erfolg mit einem? Macht er einen alt? Oder weise? Zu einem Vorbild? Oder zu einem Symptom? Vielleicht hilft es ja weiter, sich in die Kranhäuser zu begeben und mit Georg zu reden. Er war schließlich auch mal so eine Zeitungsnotiz, vor zwei Jahren in der Welt. 16 war er damals, er studierte allerdings nicht Physik oder Informatik, wie man es von Teenager-Hochbegabten erwartet, sondern Theologie, und hatte gerade sein erstes wissenschaftliches Buch veröffentlicht: Macht und Allmacht Gottes bei Wilhelm von Ockham. Konsequenterweise wolle Dietlein nach dem Abitur auch direkt ins Priesterseminar einziehen, hieß es damals noch. Stattdessen ist er jetzt in einer Wirtschaftskanzlei gelandet. Aber was heißt bei Georg schon „gelandet“?

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Eigentlich war man mit ihm ja auf der Dachterrasse verabredet, Aussicht auf den Dom genießen. Aber das geht jetzt nicht – wegen der geheimen Dokumente dürfen nur Mitarbeiter die Büros betreten. Also setzt man sich in das Café zwischen den Kranhäusern, das Georg vorgeschlagen hat – das sei „ganz süß“. Georg sagt das oft, vieles findet er so: ganz süß. Bei ihm klingt das aber nicht zynisch, als sei er irgendeine Yuppie-Karikatur. Ganz im Gegenteil, alles Aufgeblähte ist ihm fremd. Vom ersten Moment an findet man ihn überaus freundlich, interessiert, neugierig und sym­pathisch. Und engagiert natürlich. Noch vor dem Abi­tur hat er ein Jurastudium begonnen. „Bei Theologie hat man am Ende auch ein bisschen raus, wie’s klappt, und was Neues fand ich dann auch mal spannend, gerade als 16-Jähriger.“ Auch das sagt er in diesem „Ganz süß“-Ton, der ausschließt, dass man ihm solche Sätze als Arroganz auslegen würde. Oder als Überheblichkeit gegenüber 16-Jährigen, die vor allem An-die-Decke-Starren spannend finden. Das mit dem Priester sei ihm dann doch „zu viel Abenteuer“ gewesen. Immerhin hat er es als Ministrant in den Kölner Dom geschafft. Das muss man ja auch erst mal hinkriegen.

Georg mischt mittlerweile in der Politik mit, CDU, Junge Union und RCDS, dessen Vorsitz im Kölner Studentenparlament er in diesem Jahr übernommen hat. Die Bitte, doch ein paar Sachen mitzubringen, die er so gemacht hat, übererfüllt Georg sehr gern. „Hier, ich hab dir noch was mitgebracht, das ist ganz süß“, sagt er und legt einem einen Haufen Papiere hin. Mit Freunden zusammen entwickelt er gerade eine Legal Clinic, in der Jurastudenten unentgeltlich bei kleineren Rechtsproblemen weiterhelfen. Ein Essay zur politischen und juristischen Dimension der Frauenquote, mit dem er gerade einen Wettbewerb gewonnen hat, ist in dem Papierstapel und ein politisches Manifest, das er mit Freunden geschrieben hat, Der Einfachstaat. Es geht um bedingungsloses Bürger­ein­kommen und Konsumsteuer. Es ist schwer, mit Georg nicht direkt ins Gespräch zu kommen, so viel, wie er gemacht und zu sagen hat, und so unprätentiös, wie er einem begegnet. Man spricht mit ihm über Politik und Religion, über das Studieren und die Theologie, und bald wird einem dann klar: Georgs Neugier und sein Interesse sind groß. „Man will eben was wissen“, sagt er über den Antrieb zu seinem frühen Studium. „Man will einem Geheimnis nach. Man will wie Prometheus den Kampf mit den Göttern aufnehmen“, sagt er sogar. Und: „Man will mehr wissen als alle anderen.“

Hat ihn denn das frühe Studium verändert? Georg gibt zuerst die Antworten, die man erwartet hat: Es gibt einem Souveränität, es macht einen früher zu einer eigenen Persönlichkeit. Klar, es existiert auch diese Standardbefürchtung, Leute wie Georg hätten etwas verpasst. Auch die kennt er natürlich: „Es gibt die Gefahr, dass man vereinzelt, dass man nur so ein Milieu hat, wo man drinsteckt.“ Bei ihm sei das aber nicht so extrem gewesen. Die frühen Erfahrungen und Errungenschaften, sagt Georg, helfen ihm, „die Vielfalt der Lebenszusammenhänge zu erkennen“. Er interessiere sich viel mehr „für andere Themen, andere Ansichten, Denkweisen, andere Menschen“. Es stimmt, das kann Georg gut – alle miteinbeziehen, jeden mitnehmen. Wenn er vom „Konservativen“ redet, ist das nichts, was einen abschreckt, und mit ihm kann man sich auch schnell auf das bedingungslose Bürgereinkommen aus seinem Einfachstaat einigen. Und vergisst ganz zu fragen, wie hoch es eigentlich sein soll. Irgendwann kommt das Gespräch auf Angela Merkel und den Vorwurf, sie sei zu wenig konservativ. Georg, der Christ, Georg, der auf sei­ner Internetseite angibt, seine Hobbys seien die Jagd und die Pflege des Brauchtums („Süß, ne?“), sagt dazu: „Vielleicht ist sie ein bisschen zu wenig konservativ.“ Der Politiker, sagt Georg, sei eben einer, der Demokrat sei und auf Leute höre und aus dem Gehörten seine Meinung ziehe.

Vielleicht heißt „Vielfalt der Lebenszusammenhänge erkennen“ andersherum auch: Es fällt jemandem wie Georg schwer, noch seine eigene Meinung zu vertreten und sich einmal nicht im Geringsten darum zu scheren, ob er seinen Kontrahenten gerade versteht. Es fällt ihm schwer, etwas zu sagen, das den anderen vor den Kopf stößt, und es nicht mit „ganz süß“ zu relativieren. Vielleicht muss man für die Ignoranz, die man braucht, um nicht jedem gerecht werden zu wollen, eben ein paar Jahre an Decken gestarrt und an Bushaltestellen rumgehangen haben. Einmal erwähnt man, nur so, als Klischee-Platzhalter dafür, was Jugendliche so tun, das Playstation-Spielen. „Playstation spielen, das habe ich auch gemacht“, sagt Georg sofort, „keine Angst, keine Angst.“ Deswegen ist es so passend, dass Georg sich auch in die Politik gestürzt hat. Er kann Konsens. Er kann jeden mitnehmen. Es ist eines seiner vielen Talente, dass er jeden verstehen kann.

Am Ende überreicht Georg seine Visitenkarte: In verschnörkelter Schrift steht darauf sein Name, darüber ein Lilienemblem und darunter der Satz: „Was ich bin, bin ich euch schuldig.“ Bevor man auch nur damit beginnen kann, Georg für diese Visitenkarte ein bisschen seltsam zu finden, bevor es also eine Ecke gäbe, an der man sich stoßen könnte, hat Georg Emblem und Karte schon so erklärt, das man alles abnicken möchte. Als er die Karten machen ließ, da habe er einfach geschaut, was es da Schönes gibt an Symbolen. „Irgendeinen Stein, irgendeinen Punkt. Und dann fand ich so eine Lilie einfach ganz süß.“ Und der Satz? Den soll man, das ist Georg wichtig, auf zwei Arten verstehen: „‚Was ich bin, bin ich euch schuldig‘ heißt so viel wie: Ich komme immer nur von anderen Leuten. Was man lernt, lernt man von anderen Leuten. Aber“, und das ist die andere Art, ihn zu verstehen, „was wir haben, müssen wir auch umsetzen. Das ist wie in dem Gleichnis von den Talenten.“ Denn zwei der Diener wirtschaften mit ihren Talenten und machen Gewinn, der dritte aber „ging und grub ein Loch in die Erde und versteckte das Geld seines Herrn“. Als der Herr dann zurückkommt, feiert er die ersten beiden Diener, auf den dritten aber, der nicht eingesetzt hat, was er hatte, ist er sauer: „Sein Herr antwortete ihm: Du bist ein schlechter und fauler Diener!“ Für Georg heißt das: Seine Fähigkeiten, seine Talente, was er kann und was er weiß – daraus muss er etwas machen. Und damit hat er eben so früh wie möglich angefangen.



Text: lars-weisbrod - Foto: Tanja Kernweiss

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