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Die Verwandlung
Das Problem ist: Goethe hatte recht. „Der erste Eindruck hat keine zweite Chance“, schrieb er in seiner Farbenlehre, und dieser Satz hat nichts von seiner Gültigkeit eingebüßt. Das wichtigste Sinnesorgan des Menschen ist nun mal das Auge, es liefert uns Anhaltspunkte, wenn wir neue Situationen – oder unsere Mitmenschen – einschätzen müssen. Wenn wir am ersten Tag des Semesters in ein Seminar mit lauter wildfremden Menschen gehen und sich die Frage stellt, neben wen man sich am besten setzt, nehmen wir in Sekundenbruchteilen all die kleinen optischen Details wahr, die uns Hinweise darauf geben, ob uns jemand sympathisch sein könnte oder nicht.
Der Typ mit dem Ramones-T-Shirt hat vielleicht einen ähnlichen Musikgeschmack, das Mädchen mit der strengen Pferdeschwanzfrisur und der langweiligen Bluse ist vielleicht ein zuverlässiger Partner für die Referatsgruppe, sieht aber nicht aus, als könnte man mit ihr nach dem Treffen zur Vorbereitung dieses Referats noch einen netten Abend in der Kneipe verbringen. Diese Schlussfolgerungen mögen ungerecht sein; der Typ ist vielleicht ein Mitläufer ohne Ahnung von Musik, sie vielleicht der lustigste Mensch im ganzen Raum. Wirklich feststellen können wir das erst, wenn wir sie kennenlernen.
Im Seminar oder auf einer Party ist dieses Problem eigentlich kein Problem. An beiden Orten gibt es noch genug Chancen, sich kennenzulernen und eventuelle optische Täuschungen zu korrigieren. Zum Problem wird das vorschnelle Urteilen nur dann, wenn diese Chancen nicht bestehen – zum Beispiel bei einer Bewerbung.
Das Bewerbungsfoto ist meist das Erste, worauf sich der Blick desjenigen richtet, der darüber entscheidet, ob man eine Chance auf einen Platz im Unternehmen bekommen wird. Auch wenn eine Bewerbungsmappe noch viele andere Informationen enthält, die objektiv betrachtet weit wichtiger wären – oft macht das kleine Bildchen in der Ecke oben rechts den entscheidenden Unterschied aus. „Zwei Drittel aller Personaler treffen eine Vorauswahl aufgrund des Bewerbungsfotos. Das ist eine Tatsache, die mehrere Studien belegen“, sagt Robert Hörmann. Er ist Geschäftsführer des Unternehmens CheckYourImage, das sein Geld mit dem Bewerten von Bildern verdient. Auf der Webseite kann man ein Bewerbungsfoto hochladen, je 20 Personalexperten aus unterschiedlichen Altersgruppen und Branchen geben dann Urteile in mehreren Kategorien ab. Wirkt der Mensch auf dem Bild kreativ? Zuverlässig? Ausdauernd?
Welche Macht ein Bewerbungsfoto hat, kann auch Melanie Koschorek bestätigen. „Es ist sehr schwer, sich beim Lesen einer Bewerbung gar nicht vom Foto beeindrucken zu lassen“, sagt sie. Sie arbeitet in der Personalabteilung des Online-Geschenke-Dienstleisters Mydays. Das Unternehmen hat, zusammen mit großen Konzernen wie L’Oréal und Procter & Gamble, an einem Pilotprojekt der Antidiskriminierungsstelle des Bundes teilgenommen. Ein Jahr lang anonymisierten sie die Bewerbungen, sodass bei der ersten Ansicht weder Rückschlüsse auf Herkunft, Alter noch Geschlecht möglich waren. Auch ein Foto gab es nicht. „Wir haben das Projekt auch als Überprüfung für uns selbst gesehen, weil wir nicht sicher sein konnten, dass wir die Bewerbungen hundertprozentig objektiv und nur anhand der Qualifikationen bewerten“, sagt Koschorek. Erst als die Mydays-Personaler keine Bilder mehr bekamen, wurden sie sich deren Wirkung vollends bewusst. Koschorek erzählt von Bewerbern, die vielleicht nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden wären, wenn auf ihrer Bewerbung ein Foto gewesen wäre. Mydays versucht, Leute auszuwählen, die gut zur eigenen Unternehmenskultur passen. Fotos – das weiß Koschorek jetzt – können dabei manchmal trügen.
Besonders für junge Leute, die gerade von der Uni kommen oder sich während des Studiums für ein Praktikum bewerben, ist das Bewerbungsfoto eine Herausforderung. Bislang waren Jeans und T-Shirt für sie als „Arbeitskleidung“ vollkommen in Ordnung. Jetzt sollen sie sich plötzlich den branchenüblichen Dresscodes anpassen. An der Uni war das Äußere auf die Bezugsgruppe Kommilitonen abgestimmt, jetzt müssen sie sich Gedanken machen, was ein vollkommen fremder Personalchef denkt, wenn er in seinem Büro sitzt und das Foto vor sich liegen hat. Die Absolventen müssen sich verwandeln. Auf dem Bewerbungsfoto herrscht der Ernst des Arbeitslebens, bevor dieses Arbeitsleben überhaupt begonnen hat.
Man soll jemanden darstellen, der man (noch) nicht ist. Die Bewerber kommen gleich mit mehreren Outfits ins Fotostudio, auf dem Tresen dort liegen Visitenkarten professioneller Visagisten – nicht selten kann das Make-up gleich dazugebucht werden. Am Ende sehen sie – hoffentlich – so aus, wie der Personaler es erwartet. Sich selbst erkennen viele dann allerdings nicht wieder. Fast alle Studenten, die wir für unsere Fotostrecke zum perfekten Bewerber umgestylt haben, fühlten sich verkleidet und irgendwie unwohl. Keine optimale Situation, findet Robert Hörmann von CheckYourImage: „Ein guter Personaler merkt, wenn sich jemand verkleidet fühlt. Das kann dem Bild seine Wirkung nehmen.“ Vielleicht ist das auch der Grund, dass die Bewerbungsfotos von Damon und Media, die wir durch den CheckYourImage-Test jagen, zwar überdurchschnittlich gute Bewertungen erhalten, aber nicht mit „Sehr gut“ abschneiden. Damon bekommt 7 von 10 möglichen Punkten. Seine größte Stärke ist, dass er kommunikativ wirkt, die niedrigsten Werte gaben ihm die Personaler in der Kategorie Kreativität (6,4 Punkte). Media erzielt 7,2 Punkte, ihre größten Stärken und Schwächen sind dieselben wie bei Damon.
Vielleicht werden solche Zahlen in Zukunft aber an Bedeutung verlieren. Die Antidiskriminierungsstelle meldete zur Halbzeit ihres Pilotprojekts, das anonymisierte Bewerbungsverfahren bewähre sich, auch für die Firmen. Die endgültige Evaluierung ist noch nicht abgeschlossen. Bei Mydays zumindest scheint man sich die Bewerbungsfotos nicht zurückzuwünschen.
Die Bilder vom Umstyling findest du auf den nächsten Seiten!
Damon
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Damon, 28, studiert Volkswirtschaftslehre. "Ich mag die Klamotten schon, würde aber nicht immer so rumlaufen wollen"
Daniel
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Daniel, 28, findet, das Bewerbungsfoto vermittle "einen seriösen Eindruck".
Media
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Media, 27, studiert Medienkultur, BWL und Soziologie in Hamburg. "Ich fühle mich verkleidet", sagt sie nach ihrer Verwandlung.
Tasia
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Tasia, 24, Mediengestalterin: "Ich würde das Bewerbungsfoto nicht benutzen, weil ich mich in so konservativen Klamotten nicht wohlfühle.
Tristan
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Tristan, 27, ist Medientechniker und gefällt sich auch nach dem Umstyling: "Ich könnte nicht seriöser wirken, und die Klamotten stimmen"
Yildiz
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Yildiz, 30, hat Krankenschwester gelernt und studiert jetzt Türkisch und Geografie auf Lehramt. "Es ist schön, sich mal von einer anderen Seite zu zeigen - solange ich den Blazer auch wieder ablegen darf."
Text: christian-helten - Fotos: Felix Krüger