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Vier Würste für ein Halleluja: Weihnachten bei der Heilsarmee.
Meine Mutter engagierte sich viele Jahre bei der Heilsarmee. Da blieb es nicht aus, dass ich die Weihnachtsfeiern dieser Wohltätigkeitsorganisation besuchte. Ein Hauptmann und sein Gefreiter führten den Laden mehr schlecht als recht an einer lauten Ausfallstraße meiner Heimatstadt. Draußen war es kalt, drin­nen auf gewisse Weise kälter. Es gab einen unausgesprochenen Deal: Die Obdachlosen taten so, als ob sie die Predigt interessierte. Die Heilsarmisten taten so, als ob sie die Penner interessierten. Eigentlich wollten alle nur das eine: essen. Es gab Wiener Würstchen aus dem Glas mit Plastikdosenkartoffelsalat. Garantiert selbst aufgemacht. Das Ganze garniert mit vielerlei Gerüchen: mit billigem Schnaps, kaltem Rauch, Männerschweiß alter Schule, Urin in allen Aggregatzuständen sowie einem Hauch Verzweiflung de luxe. Und über allem schwebte nicht Gott, sondern knallhartes Neonlicht. Die von Alkohol und Drogen zerstörten Gesichter der Männer kamen da noch besser zur Geltung. Der Glühwein war alkoholfrei, die Stimmung dadurch stimmungsfrei. Mit einem Auge schielte man immer auf den Adventskalender an der kahlen Wand, in der Hoffnung, durch eine der 24 Türen entfliehen zu können. Halleluja!

Stille Nacht, stillgestanden: Weihnachten bei der Bundeswehr.
Was macht eine gute Weihnachtsfeier aus? Zunächst mal das Essen. Gibt es Ente? Und was als Sättigungsbeilage? Knödel? Rotkraut? Bei der Bundeswehr war es einfach: Vegetarier galten als äußerst seltene Form einer Geisteskrankheit. Dafür traten andere fleischliche Gelüste in den Hintergrund: Was Frauen anging, war auch unter quantitativen Gesichtspunkten wenig geboten. Die drei Mädels von der Sanitätsstation hätten jedenfalls bei Germany’s Next Topmodel nicht unbedingt eine tragende Rolle gespielt. Dadurch war man nicht abgelenkt und konzentrierte sich auf die wirklich wichtigen Dinge der Vorweihnachtszeit: Bier und Schnaps. Die Männer trugen Schnauzbart – nicht in dieser ironisierten Hipsterform, sondern ernsthaft. Die wenigen Frauen trugen es mit Fassung, bei dieser Veranstaltung Fremdkörper zu sein. Die Hierarchien waren, wie auch tagsüber, klar zu erkennen: Da saßen die Gefreiten, dort die Unteroffiziere, und die Offiziere lagen betrunken unterm Tisch. Die vertrugen meist nichts. Es wurden Männerlieder gesungen und mit kleinen Schnapsflaschen rhythmisch auf die Tische geklopft. Die Adventskränze standen dazu Spalier. Das Christkind sah man zu späterer Stunde zweimal. So war zwar nicht die Weihnachtsstimmung plötzlich doppelt so groß, aber der Kater danach. Man war froh, wenn man sich dann noch selbst den Befehl zunuscheln konnte: Abtreten!

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Rrummms: Weihnachten bei Werbern.
Werber sind ein Partyvolk. Der Job ist hart. Wenn es dann mal eine Möglichkeit gibt loszulassen, wird die auf Weihnachtsfeiern gern angenommen. Ich erlebte Kollegen mit durchaus hohem ästhetischem Anspruch, die zu Sexy von Marius Müller-Westernhagen ernsthaft die Mitarbeiterin aus der Buchhaltung antanzten. Auf der Tanzfläche kann man sich eben lächerlich machen oder einander näherkommen. Flache Hierarchien eignen sich hervorragend, um Hierarchien flachzulegen. Von der Praktikantin bis zum CEO und wieder zurück. Man ist per Du und per se zu allem bereit. Die Frauen sind vom wochenlangen Last Christmas-Hören weichgekocht, und bei den Männern macht es sowieso jederzeit WHAM! Auf diesen Weih­nachts­feiern wurden Ehen gestiftet und Ehen zerstört, denn ehe man sich versah, lag man mit einer Kollegin im Bett. Weniger schön waren Fehltritte. Früher dauerte es einige Tage, bis der Film der Weihnachtsfeier bei Photo Porst in der Fußgängerzone entwickelt war. Doch schon damals entwickelte sich die Schadenfreude der Kollegen in Echtzeit. Eben noch in die Ecke gekotzt, Sekunden später schon auf Facebook. Gerade bringt man seine Garderobe auf der Toilette in Ordnung, da vibriert das Smartphone in der Tasche und verkündet ein Erdbeben: „Du wurdest in einem Foto markiert.“ Die heutige Zeit gibt einem keine mehr. Null Besinnung. Der sanfte Schleier des Vergessens wird brutal hinweggefegt vom Sturm der Kommentare. Werber sind und waren gnadenlos. Nicht nur beim Feiern.

Hüstel: Weihnachten im eigenen Unternehmen.
Jetzt bin ich Chef mit einer eigenen kleinen Firma. Seit Wochen bin ich am Überlegen, wie meine Rede auf der Weihnachtsfeier wird. Zynisch, verklärend, selbstgerecht oder wie die meisten: belanglos. Ich feile an Standardgags, wie „Advent, Advent, das Controlling brennt“ oder übe Motivationssprüche: „Wir müssen nur gemeinsam an einem Strick drehen.“ Anstrengend. Eine Sorge habe ich aber weniger: Betrunkene Gespräche mit Vorgesetzten können mir nicht mehr gefährlich werden. Trotzdem ist die Bürohygiene wichtig. Eine moderne Firma ist ein kompliziertes Ökosystem: Da gibt es das Rudel der Konkurrenten, die nur darauf warten, dass der Kollege dem Chef nach diversen Gin Tonics mal so richtig die Meinung geigt. Oder das Alphamädchen. Eine Spezies, die sich immer stärker durchsetzt: Trinkt fast nichts, ist stets kontrolliert und sehr gut ausgebildet. Ihr Lebenslauf liest sich wie Poesie. Ich bin am Überlegen, ob ich auf der diesjährigen Weihnachtsfeier einfach mit mir selbst rede; mich beschimpfe, mir Honig um den nicht vorhandenen Bart schmiere oder Angst habe, überhaupt etwas zu sagen; dass ich am Tresen stehe und einfach zu mir finde in einem stillen Moment. Denn darum geht es doch an Weihnachten: zur Besinnung zu kommen durch Besinnlichkeit. Das würde vielen Menschen guttun. Ob in Bankentürmen oder in Kellerbüros. Und wenn das geschehen würde, wäre jede Weihnachtsfeier ein Erfolg. Egal wo.

Text: alf-frommer - Foto: Felix Krüger

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