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Am Ende seiner beruflichen Laufbahn war Herbert Henzler Europachef der Unternehmensberatung McKinsey. Am Anfang seiner beruflichen Laufbahn war er der König der Welt. „Als ich mit 27 Jahren bei McKinsey einstieg“, erzählte Henzler im Frühjahr der Wochenzeitung Die Zeit, „war mein erster Kunde ein großes Pharmaunternehmen. Mein Kollege und ich arbeiteten direkt mit dem Vorstand zusammen. Wir fühlten uns bärenstark. Hätte man uns gesagt, wir sollen helfen, ein Krebsmittel zu erfinden – wir hätten geantwortet: Das schaffen wir. Das war natürlich Unfug.“  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Mit dem letzten Satz kassiert Henzler, 71, noch schnell die Hybris, die er in jungen Jahren spürte. Die großen Unternehmensberatungen sind auch heute noch gut darin, ihren Angestellten ein Gefühl der Stärke zu vermitteln. Sie füllen die Trolleys ihrer jungen Mitarbeiter mit Selbstbewusstsein und schicken sie in fremde Unternehmen. Dort suchen die Berater die Welt nach neuen Märkten ab und entwickeln, tatsächlich, komplette Geschäftsstrategien. Dort sollen sie nachsehen, ob das vorhandene Personal sinnvoll eingesetzt wird oder nicht wenigstens zu zahlreich ist.  

Das Personal selbst rollt mit den Augen, wenn Unternehmensberater an die Bürotür klopfen. Immer wieder fördern die Berater in ihren Projekten Erkenntnisse zutage, die im jeweiligen Haus durchaus schon vorhanden sind, die man in der Chefetage aber lieber aus dem beredten Mund der bezahlten Gäste hört. Viele Chefs sind gierig nach der Arbeit der Berater. Der Bundesverband der Deutschen Unternehmensberater hat notiert, dass der Branchenumsatz im Jahr 2012 wohl um die 22 Milliarden Euro betragen könnte. Vor zehn Jahren waren es nur gut 12 Milliarden Euro. Und die Arbeit wird nicht weniger.  

Gerade ist wieder von einem „Boom“ die Rede. Die Nachfrage nach neuen Beratern ist so groß, dass wieder einmal die superkapitalistische Formulierung vom „war for talents“ zur Anwendung kommt. Die Unternehmensberatungen führen angeblich einen „Krieg“ um die besten Absolventen der Natur-, Ingenieurs- und Wirtschaftswissenschaften. So kommt es, dass sich mindestens unter den Absolventen der BWL-nahen Studiengänge Neid regt, wenn Kommilitonen bei einer der großen Beratungen unterkommen. Manchmal betragen die Einstiegsgehälter 4000 Euro im Monat oder sogar mehr. Dafür müssen die Neulinge sehr viel arbeiten, werden aber – das hat sich seit Herbert Henzlers Berufseinstieg nicht verändert – mit direkten Kontakten zu den Chefs jener Unternehmen belohnt, die sie in ihren Projekten betreuen. Jeder Berater lernt in kurzer Zeit eine ganze Reihe von Unternehmen kennen. Er lernt, auch wenn das keiner so ausdrücklich zugeben darf, potenzielle Arbeitgeber kennen.  

Einer ungefähren Rechnung zufolge kündigen drei von vier Beratern nach spätestens fünf Jahren. Herbert Henzler sagt, dass bei McKinsey die meisten Mitarbeiter schon nach drei oder vier Jahren wieder verschwinden – weil ihnen der Austritt nahegelegt wird oder weil eben ein Angebot auf den Tisch flattert. Unternehmensberatungen sind Transitorte. Von dort hat man eine wunderbar klare Sicht in die Jobwelt. Dort kann man noch ein letztes Mal darüber nachdenken, wohin das Leben eigentlich gehen soll. Manchmal lässt allein die Gestaltung der Büros den Schluss zu, dass Berater sich im Niemandsland bewegen. Die Boston Consulting Group etwa hat die Arbeitsräume an ihrem Münchner Sitz in 13 Dörfer aufgeteilt. Jeder, der freitags für seinen Office-Tag ins Haus zurückkehrt, geht in sein Dorf und setzt sich dort an einen freien Platz seiner Wahl. Er tippt einen Code in eines der Telefone, und schon ist das Telefon sein Telefon. Der Platz ist, ganz bewusst, ein Platz auf Zeit. Diese Organisation hat in erster Linie wahrscheinlich praktische Gründe – man hält nun mal keine Büros mit Namensschildern vor, wenn an vier von fünf Tagen gar niemand drinhockt. Aber sie übermittelt, wenn auch sehr leise, doch auch eine Nachricht: „Du bist noch nicht angekommen. Du bist im Transit.“  

Die Reisetätigkeit von Beratern ist immens, manche verbringen mehr als 200 Tage und Nächte im Jahr außerhalb Deutschlands. Diese Reisen sind für manche wie eine Bestätigung der Tatsache, dass sie etwas erreicht haben. Wer ohne Unterlass von seinem Arbeitgeber durch die Welt geschickt wird, der muss, so geht noch immer die Erzählung, gut sein. Das Leben im Transit ist ein herber, durchaus reizvoller Kontrast zum Leben zwischen Mensa oder Wohngemeinschaft. Und der Flughafen ist sowieso eine wunderbare Heimat für jene, die noch nicht entschieden haben, wohin sie wollen. Dort steht die Welt ganz namentlich auf der Abflugtafel, und wer Fantasie genug hat, sieht hinter jeder Ortsangabe eine andere Zukunft.  

Vielleicht bezieht mancher Jungberater sein Selbstbewusstsein gar nicht aus dem schieren Umworbensein und aus dem Blick auf sein Konto. Vielleicht freut er sich, zumindest in den ruhigeren Momenten, an einem Berufsleben, in dem noch nichts festgelegt ist. Denn erst am Ende des Transits, wenn er sich für eine Biografie entschieden hat, da beginnt das echte Leben. 

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