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Schluss

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Dass ich studieren würde, stand bei mir in der Familie nie zur Debatte. Meine Mutter hat promoviert, mein Vater hat promoviert. Ohne Studium kann man gleich putzen gehen, dachte ich. Nach dem Abitur schrieb ich mich fürs Wintersemester ein. Ich grübelte gern darüber nach, warum Menschen bestimmte Dinge tun, mein Notenschnitt reichte, also wurde es Psychologie.

 Studium, das war zur Schulzeit ein großes Versprechen für mich. Freiheit. Endlich richtig schlau sein. Nur noch das lernen, was einen wirklich interessiert. Betrunken über Foucault reden, mit Rotweinflecken auf den Lippen, die man am nächsten Morgen nur noch mit der Zahnbürste abkriegt. Kommilitonen als Kollektiv von Geistesverwandten. Professoren, die mit Leidenschaft Wissen als Schatz an ihre intellektuellen Zöglinge weitergeben. 

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Es wurden sechs quälende Semester. Fensterlose Hörsäle. Stunden­langes Zuhören. Multiple-Choice-Klausuren. Notenkontoauszüge. Das Einswerden mit der Immatrikulationsnummer. Ich mochte das Studentenleben (viel schlafen, viel trinken, keine Pflichten) – ich mochte nur das Studium nicht. Erst dachte ich, das werde sich mit der Zeit bessern. Dann dachte ich, es liege am Fach. Nach drei Jahren – da hatte ich zwei Drittel meines Studiums hinter mir und die Zielgerade schon im Blick – fühlte ich mich immer noch wie ein Erstsemester.

Das Problem war nur, dass die echten Erstsemester den Eindruck machten, viel ernsthafter zu studieren und immer zu wissen, in welchem „Bib“-Ordner die wichtigen Seminarunterlagen hinterlegt waren, während ich es immer noch nicht auf die Reihe bekam, mir eine Karte für den Kopierer zu besorgen, weswegen ich einfach nichts kopierte. Ich fremdelte mit der bürokratischen Anonymität. Und, was es viel schlimmer machte: Ich wusste nicht, wozu das alles gut sein sollte. Einigen meiner Freunde ging es ähnlich. Sie beschlossen dennoch, es durchzuziehen (später machte ihnen die Uni tatsächlich etwas Spaß, und sie wurden mit einem Diplom belohnt). Ich nicht, ich ließ mich exmatrikulieren. Bereut habe ich die Entscheidung nicht. In der Zeit, als ich mich vor Vorlesungen und Hausarbeiten drückte, fing ich an zu schreiben, sogar für Geld, was ich bis dahin für ein Ding der Unmöglichkeit hielt. Fragen mich Leute inzwischen, was ich studiert habe, antworte ich wahrheitsgemäß, jaja, Psychologie an der Uni. Davon, dass man studiert hat, davon wird in meinem milieublinden Umfeld ausgegangen und auch davon, dass man dieses Studium selbstverständlich beendet hat. Ich lasse die Leute meist in dem Glauben und wechsle das Thema.

Kommen doch Anschlussfragen, sage ich, wie es ist. Die Antwort ist dann ein betretenes „Ah“, worauf ich mich ein bisschen schäme und in einer Art vorauseilender Empörung mein Gegenüber innerlich des Spießertums bezichtige, weil ich denke, er könnte mich für einen Drückeberger oder Versager halten. Aber, hey: Sind sechs Semester nicht auch was wert? Außerdem ist es nicht so, dass ich erschlichene Titel mit mir führe. Bildungspolitiker verbuchen die jährlich 55.000 Studienabbrecher unter der Rubrik „akademischer Misserfolg“. Grundsätzlich stelle ich den Sinn von Abschlüssen ja nicht infrage. Menschen ohne Staatsexamen dürfen mit gutem Grund nicht über Schuld oder Unschuld urteilen, und keiner würde sich freiwillig von einem Quereinsteiger operieren lassen. Mir aber fehlt nur ein Stück Papier, das meinen Lebenslauf makellos macht. Alles, was heute wichtig ist für meine Arbeit, habe ich außerhalb der Uni gelernt. Auch meine fertig studierten Freunde mit geisteswissen­schaftlich-kreativen Berufen sagen, dass es keinen Vorgesetzten wirklich interessiert, ob man für vergleichende Literaturwissenschaften, Geschichte oder „KW“ eingeschrieben war, und dass auch keiner wirklich danach fragt. Das Uniwissen braucht man im Job dann nie wieder, was den Normalabsolventen nicht stört, weil er sich später ohnehin nicht mehr an den Stoff erinnern kann.

Bin ich naiv, weil ich glaube, meine Ziele auch ohne Urkunden erreichen zu können? Ist es unverschämt von mir zu denken, ich könne es anders machen als alle anderen?

Natürlich graut es mir vor dem Moment, in dem mir ein Master of Irgend­was den Job wegschnappt. Wenn ich zu Ende studieren würde, dann, um nicht ständig aufs Neue beweisen zu müssen, dass meine universitäre Abschlussschwäche mich nicht zu einem geistigen Invaliden macht. Um mich nicht mehr dafür rechtfertigen zu müssen, dass es mit mir und der Uni nicht geklappt hat. Aber reicht das als alleiniges Studienziel? Ich glaube nicht.

Text: xifan-yang - JoeEsco / photocase.com

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