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Wenn Urban Gardening Leben rettet

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Urban Gardening, das klingt erstmal nach einem netten Hobby. Nach etwas, das Großstädter tun, wenn es ihnen in ihrer Zweizimmerwohnung zu eng wird und sie sich wieder nach einer Tätigkeit „mit den Händen“ sehnen. Und deshalb anfangen, auf Supermarktparkplätzen Gurken anzubauen. Das wäre das Klischee.

Um zu verstehen, dass Urban Gardening, also das Gärtnern in der Stadt, sehr viel mehr sein kann, muss man nun ein paar Minuten dem Syrer Wassim zuhören. Und die Fotos anschauen, die der 27-Jährige nach Berlin-Kreuzberg mitgebracht hat. Fotos von Menschen, deren Bäuche unter dem Brustkorb unwirklich tief nach innen gehen. Von Kindern mit großen Augen und sehr dünnen Beinen. Fotos von Menschen aus Wassims Heimat, dem Yarmouk-Viertel in Damaskus. Seit dem Krieg in Syrien hungern die Menschen dort. Und deshalb hat Urban Gardening manchen von ihnen das Leben gerettet. Und damit Wassim genau diese Geschichte auch in Deutschland erzählen kann, hat die Nachbarschaftsakademie der Prinzessinnengärten, einem Urban-Gardening-Projekt aus Berlin,  eingeladen. 

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert
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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert
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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert
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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert
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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert
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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

In Yarmouk säubern sie in Fußballstadion, das bis dahin noch als Müllkippe genutzt wurde, um dort einen Acker einzurichten.

Die Geschichte von Wassim beginnt im Jahr 2012. In Yarmouk, einem ehemaligen palästinensischen Flüchtlingslager im Süden von Damaskus, leben zu diesem Zeitpunkt mehr als 120.000 Menschen, viele von ihnen engagieren sich in der Bürgergesellschaft und gegen Machthaber Assad. Es kommt zu schweren Gefechten, Bomben fallen, viele Menschen müssen flüchten. Im Frühjahr 2013 gewinnt Assads Armee die Kontrolle über Yarmouk.

Das Viertel wird systematisch abgeriegelt, Checkpoints errichtet. Ab dem Sommer kommt niemand mehr raus oder rein. Wer es trotzdem versucht, wird von Scharfschützen erschossen. Sieben Monate wird diese Belagerung andauern. Und dass nichts mehr raus oder rein kommt, bedeutet auch: keine Lebensmittel , keine Medizin für die 30.000 Menschen, die zu diesem Zeitpunkt noch eingeschlossen sind. „Sie hatten eine neue Waffe gefunden – uns auszuhungern!“, sagt Wassim während hinter ihm ein Video anspringt, in dem ein ausgemergelter Mann erzählt, dass er heute nur eine Suppe aus Wasser, Salz und Kräutern gegessen habe. Kurz darauf sieht man Bilder eines anderen Mannes im Leichensack.  

Yarmouk ist ein urbanes Viertel ohne viele Grünfläche. Wassim arbeitete dort vor dem Krieg in einem Medienberuf. „Aber wenn Hunger herrscht ist es egal, was du vorher getan hast. Dann musst du überall anpacken“, sagt er. Und so wurden Wassim und viele Einwohner Yarmouks zu Gärtnern. Hinter dem jungen Syrer werden nun Bilder von Grünflächen in Städten auf die Leinwand geworfen. Man sieht Dachterrassen voller Gemüse und kleine Äcker inmitten gepflasterter Plätze. Alles Bilder aus Syrien. Unter anderem säuberten sie in Yarmouk ein Fußballstadion, das bis dahin als Müllkippe genutzt wurde, um dort einen Acker einzurichten.

In Syrien kann Gärtnern allerdings gefährlich werden. Samen und Wasser mussten während der Belagerung unter Lebensgefahr eingeschmuggelt werden. Und es fordert Geduld. Geduld, die schwierig wird, wenn die Menschen um einen herum am Hunger sterben. NGOs schätzen, dass es während der Belagerung mehr als 150 Hungertote in Yarmouk gab. Trotzdem können Wassim und seine Freunde erst 2014 das erste Mal ernten. Der Ertrag wir fair aufgeteilt, nicht verkauft. „Tatsächlich haben sich da alle dran gehalten, niemand hat geklaut“, sagt Wassim.

"Es gibt dort Frauen, die in die verschiedensten Ecken der Stadt einzelne Pflanzen setzen, damit die Scharfschützen nicht erkennen, wo die Äcker sind“  

Die Freude währt nicht lange. Im Frühjahr 2015 wird Yarmouk vom IS überrannt, Firas Al Naji, einer der Initiatoren des Urban-Gardening-Projekts und Freund von Wassim, wird vom IS getötet. Wassim entscheidet zu fliehen, seit Herbst vergangenen Jahres lebt er in Deutschland. Doch seine Arbeit für Syrien endet hier nicht. Gemeinsam mit Landwirten aus ganz Europa ist er Teil eines Netzwerkes, das sich für die Ernährungssouveränität von belagerten Städten in Syrien einsetzt. Aus Sicherheitsgründen darf der Name dieses Netzwerkes hier nicht stehen, für die Menschen in Syrien wäre das zu gefährlich. Aber auch Landwirte aus Berlin und Brandenburg sind daran beteiligt, unter anderem Julia, die gemeinsam mit einem Kollektiv einen Hof in Brandenburg betreibt.

 

Julia sitzt heute neben Wassim auf der Bühne in Kreuzberg. Sie war selbst bereits in Syrien um dort zu sehen, wie man den Menschen am besten helfen kann. „Es gibt dort zum Beispiel Frauen, die in die verschiedensten Ecken der Stadt einzelne Pflanzen setzen und unauffällig gießen, damit die Scharfschützen des Regimes nicht erkennen können, wo genau die Äcker sind“, erzählt Julia. Ihr Resultat von der Reise: Den Menschen mangelt es vor allem an Saatgut. „Vieles, was sie in Syrien bekommen, ist Hybrid-Saatgut. Es überlebt also nicht länger als eine Saison. Wenn wir wollen, dass die Menschen sich langfristig selbst versorgen können, brauchen sie allerdings welches, das robust und wiedervermehrend ist.“ Solches Saatgut wird nun in dem internationalen Netzwerk gesammelt, Leute wie Julia geben auch Ackerbau-Kurse an der türkisch-syrischen Grenze. Denn auch in Syrien ist natürlich nicht jeder zum Farmer geboren. „Und wenn wir für die Menschen dort eine Ernährungssouverräntität ermöglichen wollen, ist das der einzige Weg“, sagt Julia.

 

Wassim hofft, dass seine Arbeit auch von Deutschland aus weitergehen kann. Er sagt: „Nur so können wir es vielleicht schaffen, einen Ort voller Tod wieder mit Leben füllen."

 

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