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Unterwegs mit den digitalen Fahrkartenkontrolleuren

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Eine Flasche Cola und ein Glas Milchkaffee – mehr Privates ist in dem schmucklosen Büro nicht zu finden. In der Mitte des kahlen Raumes sind mehrere schlichte Schreibtische zusammengeschoben worden, darauf stehen sechs Monitore. An einen Arbeitsplatz hat Gilles die Getränke neben den Bildschirm gestellt. Gemeinsam mit ihren fünf Kollegen – alle Mitte 20 – wird die blonde Frau in den nächsten Stunden hier in Online-Tauschbörsen nach Musik suchen und die Songs anschließend herunterladen. „Wir arbeiten in Schichten von vier oder acht Stunden, von morgens um sieben bis spät in die Nacht“, erklärt Frank Lüngen, während er hinter ihr stehen bleibt und beobachtet, wie sie den Song „Ohne Dich“ der Band Silbermond aus der Tauschbörse Bearshare lädt. Fahnder und Kopierer Gilles und ihre Kollegen surfen hier nicht zum Spaß. Der stämmige Frank Lüngen bezahlt sie dafür; wieviel will er allerdings nicht verraten. Er ist bei der proMedia zuständig für die so genannten Online-Ermittler, die im Auftrag der Musikindustrie tun sollen, was die staatlichen Ermittlungsbehörden vermeintlich nicht ausreichend erledigen: Urheberrechtsverstöße in Tauschbörsen aufspüren. Dazu laden die bezahlten Downloader Lieder aus dem Netz, an denen die Labels, die die proMedia beauftragen, ihnen die Rechte übertragen haben – um so Verstöße gegen das Urheberrecht zu dokumentieren.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Im Visier der Ermittler: Screenshot der Tauschbörse Bearshare Im Flur des Hamburger Büros hängen auf mehreren roten Pappen Fotos der rund 100 zumeist nebenberuflichen Mitarbeiter der proMedia, darauf sind gewöhnliche Menschen zu sehen, die Baseball-Caps tragen oder Haarreifen. Die meisten sind Mitte 20, sie sehen aus wie jene Menschen, für die die Musikindustrie die Bezeichnung „Raubkopierer“ oder „Online-Piraten“ erfunden hat. Wenn die Mitarbeiter der proMedia aber Songs aus dem Netz kopieren, dann ist das im Sinne der Phonowirtschaft. Stefan Michalk ist deren stellvertretender Geschäftsführer und Pressesprecher, er erklärt: „Nachdem verschiedene Aufklärungsaktionen wenig bewirkt haben, haben wir uns 2004 entschlossen, Urheberrechtsverletzungen auch in Tauschbörsen aktiv zu verfolgen.“ Wichtigstes Werkzeug dabei ist die „Gesellschaft zum Schutz geistigen Eigentums“ wie die proMedia offiziell heißt. Deren Geschäftsführer ist der Hamburger Rechtsanwalt Clemens Rasch. Er ist Überzeugungstäter wie er selber sagt. Da er Musik studiert habe, sei ihm besonders am Schutz des geistigen Eigentums gelegen. „Die Menschen würden doch auch kein Fahrrad klauen“, erklärt er, „bei Musik denken sie aber das geht.“ Deshalb soll seine Firma mithelfen, den Wert geistigen Eigentums zu heben – durch Abschreckung. „Mein Ziel ist es“, sagt der Rechtsanwalt, der früher Justiziar bei den deutschen Phonoverbänden war, „dass jeder jemanden kennt, der einen kennt, der erwischt wurde.“ Abschreckung, so Pressesprecher Michalk, zählt zur 3-Säulen-Strategie, mit der die Musikindustrie auf die Herausforderungen der Digitalisierung reagieren will: Aufklärung und Schadensersatzforderungen sind die Säulen zwei und drei. So glauben die Verantwortlichen von Musikindustrie und proMedia angemessen auf die in allen Gesellschaftsgrupppen verbreitete Nutzung von Tauschbörsen zu reagieren. Zahnärzte laden aus Tauschbörsen genauso wie Hartz-IV-Empfänger, erzählt Rechtsanwalt Rasch: „Das sind keine Berufsverbrecher.“ Deshalb vergleicht er die Tätigkeit seiner Firma – für die er keinen polizeilichen Auftrag hat – mit der Arbeit von Fahrkarten-Kontrolleuren im Bus. Er will unter den digitalen Fahrgästen seine Botschaft verbreiten: Urheberrechts-Verletzungen sind kein Bagatelldelikt. Wer Musik auf einer CD oder digitale MP3s im Internet kauft, darf diese nur zu privaten Zwecken kopieren – etwa zur Sicherung oder weil er seine Lieblingslieder auch im Auto hören will. Es ist allerdings nicht legal, die Musik in Tauschbörsen allen Internet-Nutzern zugänglich zu machen, die sich die Dateien dann kostenlos kopieren können. Deshalb sind die digitalen Kontrolleure immer auf der Suche nach so genannten Uploadern, Nutzern also, die in hohem Maße Songs zum Download anbieten. Wer also – wie die Mitarbeiter der proMedia – in seinem Tauschbörsen-Programm den Zugriff auf die eigenen Dateien ausgeschaltet hat („nicht teilend“ heißt das bei Bearshare), fällt nicht in das Raster der Kontrolleure. „Wenn niemand mehr anbietet, gibt es auch keine Tauschbörsen mehr, weil sie dann austrocknen würden“, erklärt Rechtsanwalt Rasch. Auf der nächsten Seite: Wie Tauschbörsen-Nutzer darauf reagieren und warum ein Gericht in Offenburg anderer Meinung ist als Rechtsanwalt Rasch.


Das wissen aber auch die Nutzer der Tauschbörsen. Deshalb weichen sie seit ein paar Monaten zunehmend auf so genannte Sharehoster aus. Sites wie das bekannteste Angebot Rapidshare bieten günstig Speicherplatz im Netz, der über einen gewöhnlichen Link im Webbrowser aufgerufen wird. Dort finden die selbsternannten Ermittler immer häufiger urheberrechtlich geschützte Dateien. „Im Juli haben wir 80 000 Links allein bei Rapidshare löschen lassen“, erklärt Frank Lüngen und öffnet eine Excel-Datei, in der Adressen von 75 weiteren deutschen Sharehoster aufgelistet sind, bei denen die Mitarbeiter der proMedia ebenfalls vorstellig werden. Um diese Links zu finden, sitzen in einem anderen Raum in dem kahlen Büro Menschen, die unter falschen Namen in Foren und Boards nach Rapidshare-Verweisen suchen. taz-lesende Ermittler Ein Zimmer weiter nutzen drei junge Männer das Tauschbörsen-Angebot BitTorrent und suchen dort nach Urheberrechtsverstößen. Auf dem Tisch vor einem Online-Ermittler liegt die taz, auf seinen Ohren trägt er einen großen Kopfhörer. Er hört die Musik, die er gerade aus dem Netz geladen hat. „Wir müssen natürlich kontrollieren, ob die Namen der Dateien auch mit dem Inhalt übereinstimmen“, erklärt Lüngen, der Chef der Online-Ermittler. Ist sichergestellt, dass die Datei auch den genannten Inhalt trägt, schaltet die proMedia die Polizei und Staatsanwaltschaft ein. „Wir arbeiten eng mit den Ermittlungsbehörden zusammen“, lobt Lüngen. Diese Zusammenarbeit ist für Rechtsanwalt Rasch und die proMedia auch notwenig. Denn die Daten (siehe nebenstehender Kasten), die die Online-Ermittler in Tauschbörsen ermitteln können, führen sie nicht direkt zu den Nutzern. Über die so genannte IP-Adresse kann die proMedia lediglich den Provider, also den Anbieter, herausfinden, der den Zugang zum Internet zur Verfügung stellt. Namen und genaue Adresse des Nutzers weiß aber nur der Provider und der gibt sie – wenn er sie überhaupt speichert – nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft heraus. Um an die Daten der Nutzer zu gelangen, muss Rechtsanwalt Rasch im Namen der Rechte-Eigner also Strafantrag stellen. 30 000 Mal hat er das in diesem Jahr nach eigenen Angaben schon getan. Das Branchenportal heise zitiert dazu einen Staatsanwalt, der sich über diese hohen Anzahl mit den Worte beschwert: „Da bleibt die Ermittlung schwerer Straftaten auf der Strecke, weil wir uns mit diesen Bagatellgeschichten herumschlagen müssen.“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Leitet die Staatsanwaltschaft Ermittlungen ein, muss der Provider - so er diese überhaupt noch gespeichert hat – die Daten des Anschlussinhabers herausgeben. Erst dann entscheidet die Staatsanwaltschaft, ob sie ein Verfahren einleitet. Seitdem Rasch und die proMedia im Jahr 2004 auf diese Art zu ermitteln begannen, ist es nach ihren Angaben bei 50 000 Anträgen bisher zu 60 Verurteilungen gekommen. In etwa 400 Fällen habe sich die Kanzlei Rasch im Namen der Rechte-Eigner mit den Tauschbörsen-Nutzern auf einen Vergleich geeinigt. „Dabei geht es uns nicht darum, jemanden wirtschaftlich zu ruinieren“, beschwichtigt Pressesprecher Michalk, meist schlage man ein Vergleichsangebot von rund 3000 Euro vor. Dabei ist Michalk ebenfalls wichtig zu betonen, dass dieses Vorgehen kein Geschäfsmodell der Musikindustrie sei. „Wir investieren die Schadensersatzzahlungen im Gegenteil in die musikalische Grundbildung.“ Ende Juli scheiterte die Kanzlei Rasch allerdings erstmals in ihrem Vorgehen. Ihr Antrag, Ermittlungsmaßnahmen gegen denjenigen einzuleiten, der am 28.12.2006 um 17.20 Uhr die Lieder „Have yourself a merry little Christmas“ von Sarah Connor sowie von Yvonne Catterfield „Erinnere mich dich zu vergessen“ zum Herunterladen angeboten habe, wurde vom Amtsgericht Offenburg (Az 4 Gs 442/07) wegen „offensichtlicher Unverhältnismäßigkeit“ abgelehnt. Das Bereitstellen der MP3-Dateien, so das Gericht, sei „der Bagatellkriminalität zuzuordnen“ und rechtfertige es deshalb nicht, die Daten des Anschlussinhabers mittles IP-Adresse offenzulegen. Diese Daten unterliegen, so das Gericht, dem Fernmeldegeheimnis. Eine Ermittlungsmaßnahme müsse deshalb richterlich angeordnet werden, da die Straftat jedoch nicht von erheblicher Bedeutung sei, rechtfertige sie diesen Eingriff ins Fernmeldegeheimnis nicht. Leere Büros Außerdem widersprach das Gericht der Argumentation der Musikindustrie, durch die Nutzung der Tauschbörsen entstehe hoher finanzieller Schaden. Dazu zieht es einen Vergleich mit den Schäden heran, die jährlich durch Ladendiebstähle in Deutschland verursacht werden. „Diese allgemeine Überlegung zu der Höhe der volkswirtschaftlichen Schäden des Ladendiebstahls würde es gewiss nicht rechtfertigen“, argumentiert das Gericht, den Fernmeldeverkehr des Diebes zu überwachen, „dem die Entwendung eines Kaugummis im Wert von 30 Cent angelastet wird.“ Sollte sich diese Argumentation des Amtsgericht Offenburg durchsetzen, stünden Online-Ermittler Frank Lüngen und proMedia-Geschäftsführer Clemens Rasch vor einem Problem: Die Recherchen der Hamburger Online-Ermittler wären wertlos. Sie könnten ihre ohnehin kaum eingerichteten Büros aber schnell wieder räumen. Mehr dazu auf jetzt.de - im Themenschwerpunkt Urheberrecht

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