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Wortschatztruhe: Beg-Packer

Foto: Shin Anthony

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Stell dir vor, du machst ein Gap-Year irgendwo in Südostasien und dir geht das Geld aus. Eigentlich wolltest du noch zu den XY-Wasserfällen, einen Sherpa für irgendeine Wanderung zu irgendeinem Gipfel anheuern und dich in einem beliebigen Club noch mal literweise mit billigen Cocktails aus Kokosnüssen betrinken, bevor es zurück in den grauen Frühling nach Europa geht. Oder sonst wohin zurück jedenfalls, wo das monatliche Durchschnittseinkommen im vierstelligen Bereich liegt und die Drinks nicht so billig sind.

Entweder wurde zu wenig Geld mit auf die Reise genommen, alles in den ersten Wochen ausgegeben oder es war von Anfang an nie mehr da als für den Flug. So oder so neigen Backpacker, deren Aussicht auf Hedonismus mangels Kohle in Gefahr gerät, zu befremdlichen Übersprunghandlungen: Statt sich vor Ort einen Job zu suchen oder die Geldhähne zu Hause anzuzapfen, setzen sie sich auf die Straßen von Thailand, Kambodscha oder Laos und sammeln Spenden für die Fortsetzung ihres Trips. Nachdem in den vergangenen Tagen mehrere englischsprachige Medien Bilder von hippiesk anmutenden weißen Touris mit Spendenaufrufen auf Pappschildern veröffentlichten, gibt es jetzt ein eigenes Wort für dieses Phänomen: Beg-Packer.

Beg-Packer; der oder die; Rucksackreisende, die sich ihren Trip in Billig-Lohn-Ländern nicht leisten können und deshalb um eine Finanzspritze betteln. Manche ein wenig raffinierter, indem sie noch billig gedruckte Postkarten mit selbstgeknipsten Urlaubsmotiven verkaufen oder Passanten ungefragt mit Singer-Songwriter Romantik beglücken, Andere weniger gefuchst und nur mit einem plumpen Pappschild bewaffnet auf dem steht:„Ich reise ohne Geld. Bitte unterstütze meinen Trip.“

Was zur Hölle?!

Spätestens da wird es schwer, bei der etymologischen Abhandlung einer lustigen Wortschöpfung zu bleiben, ohne sich ein bisschen aufzuregen. Also: Was zur Hölle?! Allein in einer Stadt wie Hongkong lebt jede fünfte Person unterhalb der Armutsgrenze von 300€ im Monat. Menschen sind gezwungen, Geld für Essen und sichere Schlafplätze zu erbetteln, weil sie keines haben. Und mit kein Geld ist gar kein Geld gemeint. Zumindest nicht genug zum Überleben und oft ernten diese Menschen, die sich eh schon in einer marginalisierten Position befinden, auch noch Anfeindungen und Unverständnis. Wie kommt man auf die Idee, sich da mit einer Hippie-Decke daneben zu setzen, die hunderte Euro teure DSLR-Kamera als Stütze für das Pappschild, und ernsthaft „Support our trip“ zu fordern? 

Beg-Packer sind die neuen Mallorca-Touristen. Sie befördern in uns als weiße Reisende, die potenziell an den gleichen Orten Urlaub machen wollen, ein mieses Fremdschäm-Gefühl. Dieses Gefühl, wenn Ingo in Adiletten und oben ohne die Kassiererin im Palma-Supermarkt auf Deutsch nach dem Sangria-Rabatt fragt. Okay, Ingo ist ein auf die Spitze getriebener Stereotyp, aber manchmal gibt es ihn in echt. Und wir wollen nicht hinter ihm an dieser Kasse stehen. Wir wollen auch nicht mit ihm in einem Flugzeug sitzen oder sonst wie reisen. Ingo, genauso wie die Beg-Packer, lösen in uns das Bedürfnis aus, auf der ganzen Insel rumzurennen und laut „wir sind nicht alle so!“ zu schreien. Man möchte sie schütteln, ihr Pappschild in die nächste Tonne kloppen und sie zwingen, ihr iPhone für das Rückflugticket zu verkaufen. Was übrig bleibt, können sie dann ja noch an Menschen spenden, die tatsächlich kein Geld für Essen haben.

Muss es wirklich ein Jahr sein?

Back-Packer, der Ursprung dieses Auswuchses, tun eh schon allerlei unangenehme Dinge, die sie so zu Hause niemals wagen würden, eben weil sie es sich im Ausland leisten können oder weil sie da niemand kennt. Ihr Gepäck auf den Rücken von Minderjährigen abladen, sich in Rikschas umherziehen lassen oder sich für sehr wenig Geld einen Lenz machen und dann über den langsamen Service beschweren. Beg-Packers treiben das Ausnutzen weißer Privilegien aber auf die Spitze. Sie sind wie Ingo - nur schlimmer. Denn während Ingo es einfach zwei Wochen komplett krachen lässt, sein ganzes Geld verbrät und danach krebsrot aber glücklich zurück nach Hause fährt, folgen die Beg-Packer einem anderen Ideal. Wie ihre Verwandten, die Back-Packer, wollen sie Teil der lokalen Strukturen sein. So sehr, dass sie strukturelle Ungleichheiten komplett ignorieren. Sie eignen sich Praktiken an, die in der Gesellschaft, in der sie zu Besuch sind und wohlbemerkt auch in der eigenen Gesellschaft zu Hause, als Zeichen von Marginalisierung und sozialem Ausschluss gelesen werden. Im Gegensatz zu wirklich Bedürftigen, werden sich Beg-Packer später mit der Erfahrung als lustige Reise-Anekdote oder einem witzigen Bild auf Instagram profilieren können. 

Wenn dir also beim Gap-Year das Geld ausgeht, dann überleg doch einfach noch mal scharf, ob es wirklich ein Jahr sein muss. Falls nein, dann sei ein besserer Ingo: lass dein ganzes Geld im Land und geh dabei den Menschen dort nur so weit auf die Nerven, wie es sein muss. Falls dir das Geld ausgeht, und du trotzdem bleiben willst: Sei kein Beg-Packer! Zu Hause warten Sozialleistungen, Omas Sparkonto oder ein Nebenjob. Alles nicht rosig, aber immer noch ein Privileg. Erst wenn sich auch die letzten Back-Packer ihres Luxus bewusst werden, stirbt ihr Ableger hoffentlich ganz bald wieder aus und wir müssen das Wort nie wieder erklären.

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