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"Ihr müsst nicht dauernd beweisen, dass ihr keine Nazis mehr seid!"

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Der Republikaner: Nicholas Smith 

nicholas alexandra roth
Foto: Alexandra Roth

Nicholas ist 29 Jahre alt und lebt in Essen. Er ist in Fresno, Kalifornien aufgewachsen und 2011 nach Deutschland gekommen, um sie Sprache besser zu lernen. Er ist geblieben, hat vier Jahre lang als Englischlehrer gearbeitet und dann in Essen ein kalifornisches Restaurant eröffnet.  Vier bis fünf Mal im Jahr reist er in die USA. Im November hat Nicholas bei der Präsidentschaftswahl für Donald Trump gestimmt.

Die meisten meiner deutschen Freunde sind gegen Trump, aber das stört unsere Freundschaft nicht. Mit Fremden ist es schwieriger. Ich war im November zu Gast in der Talkshow von Maybrit Illner und habe danach sehr viele Hassmails bekommen. Meine Mutter macht sich seitdem Sorgen um meine Sicherheit und ich wäre nicht überrascht, wenn jemand mal einen Stein durch das Fenster meines Ladens wirft. Im Moment gibt es einen Boykott gegen mein Restaurant und das finde ich nicht besonders demokratisch. Demokratie bedeutet doch nicht, dass ich nicht mehr bei jemandem esse, wenn derjenige eine andere Meinung hat als ich.

Wenn ich mit Freunden oder Kunden über Trump und US-Politik spreche, verstehen sie danach zumindest, warum ich ihn gewählt habe. Und ich glaube, wenn sie selbst mal ein paar Wochen in Kalifornien leben würden, würden sie die Mauer auch unterstützen. Viele Deutsche haben eine naive Vorstellung von der Situation in den USA. Sie denken, dass sie ganz viel über amerikanische Politik wissen und haben feste Meinungen, waren aber nie da oder nur mal kurz im Urlaub. Ich finde es ja selbst toll, dass in den USA so viele Menschen aus der ganzen Welt zusammen leben, aber es hat eben auch den negativen Aspekt, dass es viel Kriminalität und Gang-Gewalt gibt. In meiner Heimatstadt konnte ich in vielen Vierteln nachts nichts alleine unterwegs sein, es war zu gefährlich. Zwei Mal bin ich überfallen worden, beide Male waren die Täter bewaffnet. Das ist auch ein Grund, warum ich mich entschieden habe, in Deutschland zu bleiben: Hier ist es sicherer, ich muss mir nachts auf der Straße keine Sorgen machen.

Obwohl die Deutschen sehr interessiert an amerikanischer Politik sind, interessieren sie sich insgesamt nicht so sehr für Politik. Damit meine ich, dass sie Situationen eher hinnehmen wie sie sind, anstatt sie ändern zu wollen. Sie sprechen gerne über soziale Probleme in Amerika oder in Deutschland, aber haben dann keine Lösungsansätze. Angela Merkel ist auch ein gutes Beispiel dafür: Wenn sie jetzt wieder antritt, sagen die Deutschen „Ja, okay, wir haben eh keine andere Wahl.“ Es gibt keinen revolutionären Geist. In den USA ist jeder bereit, auf die Straße zu gehen und seine Meinungen zu äußern. In Deutschland sehe ich das weniger, hier gehen meistens nur die am äußeren politischen Rand auf die Straße, die Rechts- oder Linksextremen.

Die Linken hier denken, dass jeder Mensch europäisch sein möchte – aber das ist einfach nicht so

Die aktuelle Entwicklungen in den USA finde ich positiv. Ich teile zwar nicht jede Meinung von jedem aus Trumps Team, unter anderem, weil ich homosexuell bin und die christlich-rechte Einstellung vieler Republikanern dazu mir nicht gefällt. Aber genau deswegen finde ich Trump gut, weil er in sozialen Fragen oft viel liberaler ist als die klassischen Republikaner. Darum ist es eigentlich unfair, dass er jetzt mehr kritisiert wird als sie. Ich finde auch gut, dass er die Liste der vielen Versprechen, die er gemacht hat, durchgeht, und sie umsetzt – anders als Obama, der versprochen hat, Guantanamo zu schließen und dann ist nichts passiert.

Den großen Widerstand gegen Trump finde ich ehrlich gesagt ein bisschen lächerlich. Obama hat auch unsere Flüchtlingspolitik mit Kuba geändert und er hat die Einreise für irakische Flüchtlinge für sechs Monate verboten. Trumps Dekret gilt nur 90 Tage. Es soll auf jeden Fall weiter Einwanderung in die USA geben und es ist wichtig, dass wir Flüchtlinge aufnehmen – aber wenn es so wenig reguliert ist wie gerade in Deutschland, dann halte ich das für naiv und gefährlich.

Einer meiner besten Freunde in Deutschland ist Moslem, seine Eltern kommen aus Albanien, und selbst sie sagen, dass es große kulturelle Unterschiede gibt und die Integration schwierig ist. Die Linken hier denken gerne, dass jeder Mensch europäisch und wie sie sein möchte – aber das ist einfach nicht so. Viele Menschen haben ganz andere Ideen und Vorstellungen, wie eine Gesellschaft aussehen soll: Wenn ich als Homosexueller in den Iran oder in ein anderes dieser sieben Länder reise, könnte ich dort für meine sexuelle Orientierung umgebracht werden. Und Frauen haben dort gar keine Rechte.

Das Problem im deutschen Bundestagswahlkampf wird denke ich sein, dass die Deutschen immer so viel Angst davor haben, rassistisch zu sein oder „Nazi“ genannt zu werden, dass sie in der Politik extrem vorsichtig sind. Und dadurch erreichen sie das Gegenteil von dem, was sie wollen: Weil die Politiker der großen Parteien die Sorgen der gewöhnlichen Menschen nicht wahrnehmen oder nicht ansprechen, wandern die Wähler in eine extreme Richtung ab und die AfD gewinnt mehr Unterstützer. Das halte ich für eine viel größere Gefahr als zu sagen, dass die Einwanderung strenger reguliert werden oder es eine Obergrenze für Flüchtlinge geben soll. Ihr müsst doch nicht dauernd der ganzen Welt beweisen, dass ihr keine Nazis mehr seid! Nur dadurch ist es nämlich so weit gekommen, dass es jetzt wieder Nazis in Deutschland gibt.

Der Demokrat: John Grosser 

john karen axelrad

John mit der demokratischen Kongressabgeordneten Dina Titus beim internationalen Parteitag der US-Demokraten in Berlin

Foto: Karen Axelrad

John ist 17 Jahre alt und lebt in Dortmund, wo er Mathematik studiert. Aufgewachsen ist er im Sauerland. Seine Mutter ist Amerikanerin, sein Vater Deutscher, John hat die doppelte Staatsbürgerschaft. Jedes Jahr besucht die Familie für mehrere Wochen die Großeltern in den USA und reist durchs Land. Er hat im vergangenen Wahlkampf Hillary Clinton unterstützt und ist aktives Mitglied der „Democrats Abroad“, der offiziellen Organisation der Demokratischen Partei für US-Amerikaner, die im Ausland leben.

 

 

 

Während des US-Wahlkampfs hat jeder Deutsche, der weiß, dass ich Amerikaner bin, im Gespräch darauf angespielt. Sogar, wenn es nur Smalltalk war. Ständig wollte jemand wissen: „Was sagst du denn zu Clinton? Wie denkst du über Trump?“ Das Interesse der Deutschen an amerikanischer Politik ist sehr groß und ich finde es super, wenn sie sich damit beschäftigen wollen. Aber viele bekommen nur mit, was die deutschen Medien berichten, und verstehen das komplexe Wahlsystem nicht. Sie wollen einfach nur gerne mitreden, wenn über amerikanische Politik gesprochen wird.

 

Viele haben auch einfach nachgeplappert, was sie auf Social Media gelesen haben: „Ist ja gut, dass die Etablierten es mal gezeigt kriegen und jemand wieder für die kleinen Leute einritt!“ Oder: „Hillary Clinton ist eine korrupte Mörderin!“ Da konnte ich nur den Kopf schütteln und war froh, dass die in den USA nicht wählen durften. Aber die meisten waren eher gegen Trump. Deutschland ist – auch, wenn die Deutschen sich das nicht so gerne eingestehen – eigentlich ein sehr liberales Land. 

Im Vorwahlkampf war ich Helfer für Bernie Sanders und habe von Deutschland aus um zwei oder drei Uhr nachts Anrufe in die USA gemacht, um für meinen Kandidaten zu werben. Solange, bis klar war, dass er nicht gewinnen wird. Im Frühjahr 2016 war ich in Berlin auf dem internationalen Parteitag der Demokraten und habe dort Leute kennengelernt, mit denen ich gerne zusammenarbeiten wollte.

 

Ich habe dann mit Democrats Abroad Wahlkampf für Clinton gemacht und Auslands-Amerikanern dabei geholfen, sich für die Wahl zu registrieren. Natürlich habe ich dabei auch für Clinton geworben, aber ich habe Trump-Wähler trotzdem genauso informiert, wie sie sich registrieren können. Es ist wichtig, dass jeder seine Stimme abgeben kann. Ich habe auch mehrere Vorträge an Schulen und bei den Jusos gehalten, um das amerikanisches Wahlsystem und vor allem das Vorwahlsystem zu erklären, das für die Deutschen oft völlig absurd und unvorstellbar ist.

 

Am 8. November war ich mit den Democrats Abroad live bei der Wahlnacht im Ersten. Irgendwann war klar, dass wir zwar mehr Stimmen bekommen, aber wichtige Staaten verloren haben. Und da war ich einer der ersten, die gesagt haben: „Das bedeutet nicht, dass die USA verloren sind, sondern dass wir 2018 und 2020 alles dafür tun müssen, den Mann wieder aus dem Weißen Haus raus zu kriegen!“ Wenn die Amerikaner so weitermachen wie gerade und sagen, dass sie das nicht okay finden, dann schaffen wir das auch und können sogar für die Zukunft etwas daraus lernen. Damit wir diesen Fehler nicht noch mal machen. Es freut mich, die Proteste zu sehen, und dass in Deutschland auch Deutsche beim Women’s March mitgelaufen sind. Aber noch mehr hat mich gefreut, dass hier auch viele Auslands-Amerikaner dabei waren. Das ist wichtig, denn sie sind von Trumps Politik direkt betroffen.

 

Würde ich in den nächsten vier Jahre in den USA leben wollen? Definitiv nein

 

Ich selbst bin unglaublich froh, dass ich gerade nicht in den USA bin. Klar, politisch effektiver arbeiten könnte ich da vermutlich schon und ich würde gerne an den Protesten teilnehmen. Aber würde ich in den nächsten vier Jahre in den USA leben wollen? Definitiv nein. Ich möchte nicht unter einem Präsidenten leben, der die Gewaltenteilung nicht respektiert und Menschen aus den USA aussperrt – sogar solche, die für die das Land ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben wie die irakischen Übersetzer.

 

Mir ist wichtig, dass die Deutschen begreifen, wie außergewöhnlich Donald Trump und wie unnormal diese Präsidentschaft ist. Stellt euch doch mal vor, Merkel würde etwas entscheiden, das Verfassungsgericht würde urteilen, dass diese Entscheidung nicht rechtens ist – und dann twittert sie: „Diese sogenannten Richter sind doch eh doof, wie können die es wagen, was gegen mich zu sagen!“ Das ist doch unvorstellbar! Aber bei Trump wird das langsam Normalität, immer öfter gibt es die Einstellung: „Wir sind es ja gewöhnt von ihm.“ Und hier in Deutschland, wo viele nur den Teil mitkriegen, der von den deutschen Medien berichtet wird, müssen wir besonders aufpassen, dass das nicht Überhand nimmt!

 

Bisher hatte ich immer das Gefühl, dass der Wahlkampf in Deutschland viel ziviler abläuft als in den USA, und bin gespannt, wie es dieses Jahr wird. In den USA nennt man sich in der Debatte auch mal „Lügner“ oder droht mit Haft. CDUler und SPDler würden nie so miteinander sprechen, wie Clinton und Trump das gemacht haben, und in deutschen Wahlwerbespots zieht man auch nicht über den Gegner her. Ich kann aber auch nicht sagen, welche Variante besser ist, weil die politischen Systeme so unterschiedlich und kaum vergleichbar sind. Dann müsste ich mich erst mal über die Vor- und Nachteile der parlamentarischen und der präsidialen Demokratie auslassen…

 

Mir ist vor allem wichtig, dass die AfD bei der Bundestagswahl am Ende hinten liegt. Darum würde ich zu jedem sagen: „Du musst deine Stimme abgeben, du darfst sie nicht verschwenden!“ In den USA hat Hillary Clinton verloren, weil zu viele Leute gesagt haben: „Dafür stehe ich nicht auf, das ist es mir nicht wert!“ Und ich habe Angst, dass das in Deutschland auch passiert. Ich hoffe, die Deutschen haben aus dem Brexit und dem Wahlergebnis in den USA gelernt, dass es wichtig ist, tagtäglich gegen die Rechtspopulisten anzukämpfen. Und dann wählen zu gehen.

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