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Das Arbeitsamt schreibt einen Brief

Text: greta-g
Es will mit mir über meine berufliche Zukunft sprechen und bittet mich, Bewerbungsaktivitäten mitzubringen. Ein guter Witz, denk ich und dann vergeht mir das Lachen.

Allein der Termin. Wollen die wissen, ob ich nach einem halben Jahr Arbeitslosigkeit noch in der Lage bin, freitags früh um neun einen guten Eindruck zu machen? Jungs, wenn ihr wüsstet, nach was für Nächten ich schon morgens um neun in Meetings sass... aber gut, den Spass mach ich mir doch gern für euch.



Aber warum soll ich da schon wieder antanzen, wenn ich doch erst vor vier Wochen einen Termin hatte? Ich fühle mich drangsaliert. Sind das die ersten Auswirkungen des Hartz-Pseudokonzepts? Sollen die betroffenen aufgescheucht und überwacht werden? Ich dachte, die wären mit den ganzen arbeitslosen Grafikern sowieso völlig überfordert.



Irritierend ist auch die Sache mit den Bewerbungsaktivitäten. Da gibt’s schon welche – Gott sei Dank befasse ich mich seit einiger Zeit wieder mit dem Thema – aber viele sind es nicht unbedingt. Immerhin die aus der Süddeutschen liegen ausgeschnitten auf dem Tisch. Einmal quer durchs Internet ergibt vielleicht auch noch was. Es ergibt. Ich setzte mich hin und verfasse Anschreiben. Eine diesbezügliche Schreibblockade hält sich standhaft aufrecht immerhin annehmbares bekomme ich zustande.



Überlege mir, was ich sagen soll um einen interessierten und aktiven Eindruck zu erwecken. Überlege mir, was ich anziehe. Schwarz. Knielanger Rock, Netzstrümpe, Turnschuhe, Jeansjacke. Die kleine Brille, dezentes Make-Up. Lächeln! Ganz die hyperaktive, leicht planlose Werbetrulla.



Mein Sachbearbeiter ist einer dieser Anfangsfünziger, die sehr darauf bedacht sind, autoritär und dennoch junggeblieben zu wirken.

Er erzählt mir, dass er heute mit dem Motorrad zur Arbeit gefahren ist. Ich werde mir seine väterliche Ausstrahlung zunutze machen ihm vermittlend, dass mir seine Hilfestellung bei der Arbeitssuche unheimlich wichtig ist. Erkundige mich nach allem möglichen. Bitte ihn, zu meinen Anschreiben Stellung zu nehmen. Er meldet mich zu einer Infoveranstaltung für ein Self-Marketing-Seminar an. Das Gespräch läuft gut. Die Chemie stimmt einigermassen und er lobt meine Aktivität und mein Interesse.



Wirklich froh verlasse ich den Raum – habe ich letzte Nacht doch schlecht geschlafen und damit gerechnet, eine Standpauke über engagiertes bewerben zu bekommen. Nichts davon, im Gegenteil. Vermutlich bin ich mal wieder besser als ich dachte. Vermutlich brauche ich ein ordentliches Mass an Paranoia, um überzeugend aufzutreten. Nichts zu machen.



U-Bahn nach Hause. Ein Blick ins SZ-Magazin. Die hundert ärmsten Menschen Deutschlands. Ich überfliege es und merke wie mir schlecht wird. Das sollte ich jetzt nicht lesen. Zufällig bleibt mein Blick auf der Aussage einer Frau hängen, die lange Zeit ganz normal gelebt hat, dann arbeitslos wurde und nie die Energie oder was auch immer aufbrachte, sich einen neuen Job zu suchen. Sie sagt, Geld hätte sie früher kaum interessiert und mittlerweile drehe sich ihr ganzen Denken nur noch darum. Ich ziehe Paralellen zu mir und verwerfe sie wieder. Eine leichte Übelkeit bleibt.



In meinem Briefkasten liegt eine Absage. Per E-Mail kam eine freundliche Antwort auf eine andere Bewerbung. Meine Unterlagen wären interessant und Leute wie mich bräuchten sie immer wieder, doch leider hätten sie derzeit keinen Bedarf. Sie möchten meine Daten gern behalten, dann kämen sie später gerne auf mich zurück. Aber immer, es ist mir ein Vergnügen.



Ich frühstücke mit einer Bekannten. In der Sonne, bei Tee, Brötchen und einem anregenden Gespräch, sieht das Leben fast freundlich aus. Eigenartig.

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