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Katrinchen-Schlampinchen

Text: heulen_aufm_punkkonzert
Udo Lindenberg zu seiner Backgroundkrankenschwester: „Olga, komm auf Couch, ich hab hart!“

Erstaunlich, an was man sich nicht alles erinnert.

Vor ziemlich genau einer ziemlich langen Zeit saßen einmal mein Opa und ich vor dem Fernseher und sahen Udo Lindenberg dabei zu, wie er bei seinem sensationellen Hitparadenauftritt mit Lebensweisheiten schmiss, nämlich #1:

Ein Herz kann man nicht reparier´n.

Damals war ich leider zu klein um die Reichweite dieses monumentalen Satzes in voller zukünftiger Wichtigkeit für mein Leben zu begreifen, aber ich fand die roten Lackschuhe der tanzenden Backgroundkrankenschwestern spitze, und deswegen kann ich mich sogar noch an die Udoweisheit #2, die eigentlich noch viel legendärer, wenn auch vom Klang beim weiten nicht so hymnenartig ist, erinnern. Die Backgroundkrankenschwestern erzählen dem herzkranken Udo am Ende nämlich, sie kennen „da eine Kur, da helfe Liebe nur“.

Soviel dazu, das Deschavü ist vorbei.

Jetzt sitze ich wieder mit Opa auf der Couch, wir gucken Schalke gegen Warschau, weil da ist Opa voll drauf, also auf Schalke und ich sag:

„Opa, sach ma, wann sagt man ein Mädchen Schlampe?“

Opa ist ein schlichter Typ, also bin ich es auch und rede auch so, ich bin ja nicht hier um mich zu profilieren, sondern lediglich um Fußball zu gucken und mein krankes Herzchen zu streicheln zu lassen, von jemandem, der sich hoffentlich mit so was auskennt, und dass ich scheinbar blöde bin überhaupt auf so eine Idee zu kommen, konnte ich in dem Moment ja gar noch nicht wissen.

Opas Antwort auf meine monumentale Frage ist denn auch wie erwartet schlicht:

„Wenn’s sein Zimmer nicht aufräumt, da war doch nix, Karte jetzt oder was?!“

„Nee, Opa, so wie man heute sagt, leichtes Mädchen und so.“

Da wird Opa hellhörig.

„Wer sagt dich Schlampe?“

„Verdammt, Opa, niemand, jetzt sag du doch einfach das auf die Frage drauf, in Ordnung?“

Opa begreift.

Opa lehnt sich zurück.

Halbzeit.

„Also ich als alter Mann“, horhor, er findet sich lustig, „ich würd so sagen zu ein Mädchen wo immer nen neuen Schatz hat.“

Mit dieser Meinung kann Opa leben, er ist ja nicht allein auf der Welt damit, aber genau da liegt auch mein gesellschaftliches Problem.

„Opa, ich hab auch immer nen neuen Schatz.“

„Ja, aber du bist ja auch immer schön verliebt, woll?“

Klar, Opa hat Recht.

Bin ich.

Er setzt noch einen drauf:

„Ich hab gehört ist gut fürs Herz wenn man sich immer schön verliebt. Traurigsein macht doch den Braten auch nicht fett.“

Stimmt, aber der Braten Opa, wahrscheinlich ist er deswegen zu träge sich Gedanken um mich zu machen.

Und deshalb will ich auch nicht mehr mit Opa Smalltalk halten, lieber was neues zu trinken holen, wie in der Kneipe läuft das hier, nur umsonst, also ab dafür, Attacke, Lassowurf, und sich selber aus der blöden Situation herauskatapultieren.

„Ich hol ma trinken, woll?“

Eine harmlose Frage, eigentlich lediglich eine Floskel, soviel Aussage wie ein Furz hat dieser Satz, aber Opa, das gerissene Schwein ist plötzlich geistig nicht mehr träge, sondern hellwach und holt unnötig grausam zum entscheidenden Schlag aus:

„Jo, mach das. Katrinchen.“

Er hat’s gesagt.

Eigentlich hat er nur die Hälfte gesagt, aber was er meint ist die Mutter aller Arschwörter und Beleidigungen, wie vom Arschwortdesigner auf mich zugeschnitten:

Katrinchen-Schlampinchen. Oder auch Pöbelfurz, je nachdem, was ich gerade mal wieder für einen Mist gemacht hab.

Ich stratze in die Küche, bin beleidigt, schockiert, vor allem über Opas Nachlässigkeit, mit der er einfach versäumt hat zu begreifen, dass die deutsche Sprache sich entwickelt, der Wortschatz sich dahingehend gewandelt hat, dass die Menschen immer mehr sexistisch angehauchte Schimpfwörter für geschlechtsreife weibliche Teenager brauchen, und deswegen jetzt ein unordentliches kleines Ding direkt ein Luder ist, eine Hure quasi, und ich weigere mich Opa Bier zu holen.

Früher war alles besser.

Da war ich einfach nur Schlampinchen, das sein Kinderzimmer nicht aus dem LEGO-Berg geschält hatte, das vom Spielen dreckig, aber immerhin rotwangig war, und mit einem gutmütigen „Katrinchen-Schlampinchen, du bist mir ja eine“ war`s getan.

Dieser Satz wird auch heute noch verwendet, aber leider dahingehend abgewandelt, dass das Subjekt aufgesplittet wurde, und dessen zweiter Teil nun die Funktion des Objekts übernimmt, und aufgrund der in Anbetracht meines Alters fehlenden Verniedlichungen heißt es jetzt schlicht:

„Katharina, du bist mir ja eine Schlampe.“

So einfach ist das.

Aber ich gebe der Wandlungsfähigkeit der deutschen Sprache nicht die Schuld, auch nicht der Gesellschaft, die immer nur auf den Frauen rumhackt, Emanzipation!, und alle glauben lässt, eine Frau mit der entzückenden Fähigkeit sich leicht und Hals über Kopf zu verlieben sei eine Schlampe.

Das böse Wort.

Vielmehr ist es Udos Schuld, denn er hat mir doch, wahrscheinlich in gutem Glauben, da er ja hoffnungslos von früher ist, und da war ja alles besser, erzählt, dass die Liebe eine Kur ist, und was hab ich jetzt davon, dass ich auf einen Jugendhelden hör?

Ich renne zurück zur Couch, zu Opa und auf Schalke drauf.

„Opa!! Weisse noch, der Udo Lindenberg, der hat gesagt, die Liebe, die ist ne Kur!“

„Nee, Katrinchen, das war der nicht.“

„Nich?“

„Nee, das waren seine Krankenschwestern.“

„Ach.“

„Die sahen aus wie Schlampen, woll?“


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