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Von Kleidern und Leuten

Text: larasara
Dienstagabend. Saunatag in meinem Fitnessstudio,

zu dem ich eine innige Hass-Liebe-Beziehung pflege. Nach einer Stunde Salsa Kickfit Step Aerobic Kurs, oder so ähnlich, mein erster Saunagang am Ende des Sommers. So wie Gott mich geschaffen hat, wofür ich ihm nicht immer dankbar bin, wandle ich mit meinen altbewährten Adilletten bekleidet in Richtung badeanzugsfreie Zone. Seltsam, den ganzen Sommer bemühe ich mich möglichst wenig zu tragen, nur die primären und sekundären Geschlechtsmerkmale von Rock und Top bedeckt. Doch so völlig nackt unter fremden Menschen, dafür brauche ich erst ein paar Minuten konzentrierte Überwindung, um auch endgültig mein Handtuch fallen zu lassen. Doch wer hat eigentlich behauptet, dass in der Sauna nur Fremde sitzen?

Schon auf dem Weg zur Dusche begegne ich einem bekannten Gesicht mit unbekanntem Körper. Herr Homberg, ein wichtiger Kunde in meinem Job. Ein schüchternes Lächeln blitzt über mein Gesicht während ich etwas ungeschickt versuche meine mir heiligen Körperstellen mit dem Handtuch zu verdecken. Leider ist mein Mini-Handtuch zu klein und so beschließe ich wenigsten meine vordere Körperhälfte bedeckt zu halten. Seine leicht verkrampfte Körperhaltung lässt mich erkennen, dass ihm diese Begegnung noch unangenehmer ist als mir. Diese Erkenntnis lässt mich ein wenig entspannen.

„Guten Tag Herr Homberg, wehe Sie drehen sich um!“, warne ich ihn. Habe ich das wirklich zu ihm gesagt? Um weitere Peinlichkeiten zu vermeiden, eile ich schnell an ihm vorbei. Während ich so weiterflitze, kann ich seinen Blick auf meinem nackten Hintern spüren.

Unter der Dusche mach ich mir ein paar Gedanken über diese seltsame Begegnung so ohne Boss-Anzug, Prada-Schuhe und Handy am Ohr wirkt Herr Homberg ja ganz harmlos. Dann sieht er auch nicht anders aus als mein Briefträger oder Steuerberater. Er wirkt machtlos und verletzbar. Pech für ihn, jetzt hab ich ihn durchschaut. Er besteht auch nur aus Fleisch und Blut. Und wenn ich ihn das nächste Mal bei mir am Meeting-Tisch sitzen habe, werde ich ihn mir genau so vorstellen. Ich muss dann nur aufpassen, dass ich nicht anfange zu grinsen.

Nach der Dusche beschließe ich nun endgültig zu kapitulieren und das Handtuch wie jeder andere auch, einfach über den Arm zu hängen. Einen kurzen Moment verharre ich noch in meiner vor fremden Blicken schützenden Duschkabine, dann gehe ich zur Sauna und öffne die Tür.

Zu früh gefreut: Ein weiteres bekanntes Gesicht blickt mir von einem der Saunabänke entgegen. Ein tiefer Blick in die Augen, mein Gehirn kramt im Gedächtnis, abgleichen, zack, in der Schublade „flüchtige Bekannte" werde ich fündig. „Nachbar von gegenüber", in Klammern: trägt unmögliche Klamotten, hat zickige Freundin mit lauter Stimme. Mist, jetzt hat er mich auch erkannt und um ihn ignorieren zu dürfen, dafür hab ich ihn schon zu lange angestarrt. Aber bei aller Nachbarschaftsliebe, das ist mir jetzt egal. Ich kenne ihn nicht, hab ihn noch nie gesehen und will einfach nur entspannt in die Sauna gehen. Ich weiche seinen Blicken aus. Doch ich kann es mir nicht verkneifen ihn weiter aus dem Augenwinkel zu betrachten. So ohne Karottenjeans und Polyesterpullover aus den Anfängen der 80er Jahre sieht er richtig attraktiv aus. Schöne Augen hat er.

Wenn ich mich so zurückerinnere, machte er einen sehr netten Eindruck, wenn ich ihm beim Einkaufstütenschleppen begegnet bin. Nur sein Klamottenstil hat mich immer etwas abgeschreckt. Jetzt bereue ich es ein bisschen, dass ich ihn ignoriert habe, dabei hat er mich so hoffnungsvoll angeschaut.

Als ich so bei 80 Grad Celsius auf meinem Handtuch liege, mache ich mir doch ernsthafte Gedanken über meine Urteilskraft. Ich ärgere ich mich über meine eigene Oberflächlichkeit. Andererseits bleibt uns ja gar nichts anderes übrig. Schließlich zählt der erste Eindruck und schon haben wir uns ein Urteil gebildet. Also kann ich gar nichts dafür. Dagegen kann ich mich gar nicht wehren. Bei meinem Vorfahren, dem Höhlenmenschen war es wichtig sich schnell zu entscheiden, ob jemand Freund oder Feind ist. Wenn man zu dieser Zeit zu jemand offen und freundlich war, machte es schwups, und schon war man einen Kopf kürzer.

Aber in einer Sauna des 21. Jahrhunderts ist dieser Schutzmechanismus der Evolution etwas überflüssig. Warum bin ich von jemandem im teuren Kostüm sofort beeindruckt? Und warum belächle ich Menschen, die nach meinem Geschmack unmöglich gekleidet sind? Denke ich etwa, dass ein gut gekleideter Mensch wichtiger oder sogar ein besserer Mensch ist? Dieser Gedanke macht mir Angst. Schließlich verlange ich von meinen Mitmenschen auch, dass sie mich nicht nach meiner Kleidung, sondern nach meinem Charakter beurteilen. Ganz einfach ist es wohl nicht die Evolution zu überlisten. Aber ich werde es auf jeden Fall versuchen.

Nach dem Saunagang und meiner Selbsterkenntnissen für mein zukünftiges Leben fühle ich wie ein neuer Mensch. Vielleicht hilft es doch ab und zu alle Gifte aus seinem Körper rauszuschwitzen.


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