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Meine Oma weint
Bei jedem Abschied. Eine Liebeserklärung.
Ihre rundliche Figur hat meine Oma nicht eingebüßt, obwohl ihr im vergangenen Jahr das Abnehmen von Pfunden in zweistelliger Höhe gelungen war. Die rundliche Figur -darauf habe ich mich schon mit meinen Grundschulfreunden geeinigt- gehört zu den Grundzügen einer Oma neben anderen Fähigkeiten wie Kuchenbacken, Pullistricken oder Geschenkekaufen. Alle diese Fähigkeiten kommen bei mir nicht mehr richtig zur Geltung. Sie scheitern schlicht und ergreifend daran, dass ich ausgezogen bin. Das macht meine Oma traurig, dann fangen ihre Hände an, sich fest um meinen Rücken zu krallen, ihre Kinnpartie fängt an zu zittern, und wenn ich sagen würde, mich berührte das nicht, würde ich lügen oder besäße die Gefühlseigenschaften einer Gletscherwand.
Anders als andere Omas überrascht meine Oma ihre Verwandtschaft nicht jedes Jahr mit neuen wagemutigen Reiseabenteuern ihrer durchweg rüstigen Seniorenreisegruppe, sondern beschränkt sich für den Hauptteil des Jahres lediglich auf ein paar Schritte zwischen zwei Reihenhäusern in Germering; dem meiner Eltern und dem direkt nebenan, das sie vor fast 11 Jahren nach dem Tod meines Opas bezogen hat. Im Winter ist es glatt zwischen den Häusern, und noch im letzten Jahr, wenn ich abends Reste vom Mittagessen von ihr zu uns getragen habe, ist sie nicht eher wieder in der Tür verschwunden, bis ich sicher angekommen war. Zu ihren Reisezielen zählen außerdem, in Abständen von einigen Monaten, Bochum, wo meine Tante wohnt, und Passau, wenn sie ihre Schwester besuchen will. Kürzlich war meine Oma sogar in München für ein paar Stunden. Da wohne ich seit Oktober letzten Jahres. Da will sie nicht hin. Genau genommen will sie nicht, dass ich da wohne.
Jedenfalls hat sie mich, als ich gerade frisch ausgezogen und zu einem Besuch wieder heimgekehrt war, gefragt, wie es mir denn gefiele. In ihrem Gesichtsausdruck, ihren leicht zusammengezogenen Augen und ihrem leicht geöffneten Mund lag die Erwartung, dass ich gestehen solle, das Unternehmen Auszug sei gescheitert, ich sei ein nervliches Wrack, ich wolle wieder im Reihenhaus wohnen und halte es ohne ihr tägliches Mittagessen einfach nicht aus. Meine Antwort fiel nicht aus, wie sie erwartet hatte. Seitdem stichelt sie gelegentlich gegen meine Essgewohnheiten ( jetzt schmeckt dir mein Karottengemüse wohl nicht mehr!), bemerkt einen chronischen Krankheitsverlauf ( du hast immer Bauchweh, wenn du wieder in die Stadt musst), beschimpft mich als treulose Tomate oder wirft meinen Eltern hin und wieder vor, sie hätten mich zum Auszug gezwungen, hätten mich aus dem Haus gemobbt, obwohl es gar nicht wollte, das arme Kind.
Meine Oma hört keine Musik, sie liest keine Bücher. Sie kocht, wäscht, bügelt, kauft ein, hält ihre Küche klinisch rein, macht sich Gedanken zum Geburtstag ihrer Enkelkinder, und während ich noch nebenan bei meinen Eltern wohnte, hat das geholfen, ihren Kreislauf zusammenzuhalten. Sie ist dann einfach zur Tür hereingekommen, hat gesagt, das Essen stünde auf dem Tisch, sie gehe jetzt dann mal zum Arzt oder sei gerade von ihm zurückgekommen. Jetzt fehlt ihr etwas.
In meiner Wohnung also, beim Kurzbesuch in München, saß sie auf dem braunen Ledersofa, das schon sie besessen hatte. Sie schaute nicht in Ecken oder auf den Boden, hielt sich mit Verbesserungsvorschlägen zurück, als wäre die Wunde noch zu frisch, um sie wieder aufzureißen. Du hast ja gar keine Pflanze hier, bemerkte sie bloß, und seit eine jugendlich kleine Palme gleich neben der Zimmertür steht, hat sie sich mit einem Gegenstand in meinem neuen Zuhause verewigt.
Kannst es aushalten hier, war alles, was sie zur Wohnung sagte, etwas besonders Schönes war ihr nicht aufgefallen, zumindest sagte sie es mir nicht ihn ins Gesicht. Sie bewegte sich zum Ausgang, schwankte dabei abwechselnd leicht nach links und nach rechts, was ich als typische Oma-Gangart bezeichnen würde, und nahm gefasst Abschied, ohne eine Miene zu verziehen. Bei ihr zuhause fängt sie an zu weinen und schluchzt, ich solle bald wiederkommen. Das tut mir leid, denn ich bin ja nicht ausgezogen, um sie zu ärgern. Aber mit der Zeit relativiert sich das alles. Letztens hat sie einen Satz gesagt, der mir im Gedächtnis bleiben wird:
Wenn ich ein Heinzelmännchen wär´, wenn ich einfach so zum Fenster hereinfliegen könnte zum Waschen, Kochen und Saubermachen, dann würde ich das sofort machen, jeden Tag. Aber so...
Ihre rundliche Figur hat meine Oma nicht eingebüßt, obwohl ihr im vergangenen Jahr das Abnehmen von Pfunden in zweistelliger Höhe gelungen war. Die rundliche Figur -darauf habe ich mich schon mit meinen Grundschulfreunden geeinigt- gehört zu den Grundzügen einer Oma neben anderen Fähigkeiten wie Kuchenbacken, Pullistricken oder Geschenkekaufen. Alle diese Fähigkeiten kommen bei mir nicht mehr richtig zur Geltung. Sie scheitern schlicht und ergreifend daran, dass ich ausgezogen bin. Das macht meine Oma traurig, dann fangen ihre Hände an, sich fest um meinen Rücken zu krallen, ihre Kinnpartie fängt an zu zittern, und wenn ich sagen würde, mich berührte das nicht, würde ich lügen oder besäße die Gefühlseigenschaften einer Gletscherwand.
Anders als andere Omas überrascht meine Oma ihre Verwandtschaft nicht jedes Jahr mit neuen wagemutigen Reiseabenteuern ihrer durchweg rüstigen Seniorenreisegruppe, sondern beschränkt sich für den Hauptteil des Jahres lediglich auf ein paar Schritte zwischen zwei Reihenhäusern in Germering; dem meiner Eltern und dem direkt nebenan, das sie vor fast 11 Jahren nach dem Tod meines Opas bezogen hat. Im Winter ist es glatt zwischen den Häusern, und noch im letzten Jahr, wenn ich abends Reste vom Mittagessen von ihr zu uns getragen habe, ist sie nicht eher wieder in der Tür verschwunden, bis ich sicher angekommen war. Zu ihren Reisezielen zählen außerdem, in Abständen von einigen Monaten, Bochum, wo meine Tante wohnt, und Passau, wenn sie ihre Schwester besuchen will. Kürzlich war meine Oma sogar in München für ein paar Stunden. Da wohne ich seit Oktober letzten Jahres. Da will sie nicht hin. Genau genommen will sie nicht, dass ich da wohne.
Jedenfalls hat sie mich, als ich gerade frisch ausgezogen und zu einem Besuch wieder heimgekehrt war, gefragt, wie es mir denn gefiele. In ihrem Gesichtsausdruck, ihren leicht zusammengezogenen Augen und ihrem leicht geöffneten Mund lag die Erwartung, dass ich gestehen solle, das Unternehmen Auszug sei gescheitert, ich sei ein nervliches Wrack, ich wolle wieder im Reihenhaus wohnen und halte es ohne ihr tägliches Mittagessen einfach nicht aus. Meine Antwort fiel nicht aus, wie sie erwartet hatte. Seitdem stichelt sie gelegentlich gegen meine Essgewohnheiten ( jetzt schmeckt dir mein Karottengemüse wohl nicht mehr!), bemerkt einen chronischen Krankheitsverlauf ( du hast immer Bauchweh, wenn du wieder in die Stadt musst), beschimpft mich als treulose Tomate oder wirft meinen Eltern hin und wieder vor, sie hätten mich zum Auszug gezwungen, hätten mich aus dem Haus gemobbt, obwohl es gar nicht wollte, das arme Kind.
Meine Oma hört keine Musik, sie liest keine Bücher. Sie kocht, wäscht, bügelt, kauft ein, hält ihre Küche klinisch rein, macht sich Gedanken zum Geburtstag ihrer Enkelkinder, und während ich noch nebenan bei meinen Eltern wohnte, hat das geholfen, ihren Kreislauf zusammenzuhalten. Sie ist dann einfach zur Tür hereingekommen, hat gesagt, das Essen stünde auf dem Tisch, sie gehe jetzt dann mal zum Arzt oder sei gerade von ihm zurückgekommen. Jetzt fehlt ihr etwas.
In meiner Wohnung also, beim Kurzbesuch in München, saß sie auf dem braunen Ledersofa, das schon sie besessen hatte. Sie schaute nicht in Ecken oder auf den Boden, hielt sich mit Verbesserungsvorschlägen zurück, als wäre die Wunde noch zu frisch, um sie wieder aufzureißen. Du hast ja gar keine Pflanze hier, bemerkte sie bloß, und seit eine jugendlich kleine Palme gleich neben der Zimmertür steht, hat sie sich mit einem Gegenstand in meinem neuen Zuhause verewigt.
Kannst es aushalten hier, war alles, was sie zur Wohnung sagte, etwas besonders Schönes war ihr nicht aufgefallen, zumindest sagte sie es mir nicht ihn ins Gesicht. Sie bewegte sich zum Ausgang, schwankte dabei abwechselnd leicht nach links und nach rechts, was ich als typische Oma-Gangart bezeichnen würde, und nahm gefasst Abschied, ohne eine Miene zu verziehen. Bei ihr zuhause fängt sie an zu weinen und schluchzt, ich solle bald wiederkommen. Das tut mir leid, denn ich bin ja nicht ausgezogen, um sie zu ärgern. Aber mit der Zeit relativiert sich das alles. Letztens hat sie einen Satz gesagt, der mir im Gedächtnis bleiben wird:
Wenn ich ein Heinzelmännchen wär´, wenn ich einfach so zum Fenster hereinfliegen könnte zum Waschen, Kochen und Saubermachen, dann würde ich das sofort machen, jeden Tag. Aber so...