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Meine Mutter kann nicht telefonieren

Text: mamau
Heute hat mich meine Mutter angerufen, und zwar ohne bestimmten Grund. Seitdem komme ich nicht mehr davon los, zu überlegen, was das wohl zu bedeuten hat. Irgendetwas schreckliches muss passiert sein.

Nicht, dass mich meine Mutter nie anrufen würde. Vor kurzen etwa fragte sie mich per Telefon, wo ich den meinen Mopedschlüssel habe, denn das Auto meines Bruders sei eingegangen und sie sehe nicht ein, dass der jetzt ständig das Ihre benutzt. Gerne ruft sie mich auch an, nachdem ich von einem längeren Besuch bei meinen Eltern zurückgekommen bin. Sie fragt dann ob ich gut angekommen bin und listet mir auf, was noch alles in meinem Zimmer liegt, von den Sachen, die ich doch unbedingt mitnehmen wollte und erkundigt sich, ob ich wenigsten meinen Kopf dabei habe. Erst vor drei Tagen hat sie auch angerufen und gefragt, was verdammt noch mal ich mir dabei gedacht habe, den Pass meines Bruders anstelle von Meinem mit nach Wien zu nehmen, wo der doch in einer Woche verreisen will. Die unangenehmsten Anrufe sind jedoch jene, in denen sie mir mitteilt, dass ich so gut wie pleite bin. Sie ist nämlich nach wie vor die einzige, die über meinen genauen Kontostand bescheid weiß.

An sich ist ein Anruf meiner Mutter also nichts Besorgniserregendes. Aber ein Anruf ohne ersichtlichen Grund, das irritiert mich schon. Um das zu verstehen, muss man wissen, dass meine Mutter jemand ist, der nicht telefonieren kann. Sie hat diese, mittlerweile doch recht elementare Kulturtechnik nie wirklich zu beherrschen gelernt. Kaum sitzt sie am Telefon wirkt sie, als hätte sie gerade unglaublich viel zu tun. Wenn man sie anruft, hat man immer das Gefühl am ungünstigsten aller möglichen Zeitpunkte anzurufen. Als ihr Telefongesprächspartner traut man sich kaum in einer Erzählung kurz inne zu halten, weil sie nur auf einen solchen Moment zu warten scheint, um zu sagen: „Aha, also gut dann und liebe Grüße“. Falls meine Mutter jemals entführt werden sollte, werden die Entführer ihr blaues Wunder erleben, weil sie sich weigern wird, ihre Lebendigkeit über ein paar Sätze durchs Telefon zu bestätigen. Vielleicht haben die Erpresser Glück und sie lässt sich mit Waffengewalt doch dazu überreden den Hörer in die Hand zu nehmen. Sie würde dann vermutlich sagen: „Du das ist jetzt gerade ganz schlecht, ich kann nicht reden, bin nämlich gerade entführt worden“ Naja, vielleicht hab ich mich jetzt ein wenig verstiegen. Der springend Punkt ist aber: Meine Mutter kann nicht telefonieren und hasst es zu telefonieren. Vermutlich kann sie nicht telefonieren, weil sie es hasst. Also warum zum Teufel hat sie mich heute angerufen, sie wollte mir sicher etwas sagen. Und es kann nicht nur etwas Dringendes im üblichen Sinn gewesen sein, denn damit wäre sie im zweiten Satz herausgerückt. Es muss sich um etwas Unerhörtes oder Schreckliches handeln.

Durch die Unfähigkeit meiner Mutter zu telefonieren gestaltet es sich jedenfalls relativ schwer einen angemessenen Kontakt zu meiner Familie zu halten, denn von allen Familienmitgliedern ist sie auf erschreckender Weise noch weitaus der beste Telefongesprächspartner. Mein Bruder kann noch viel weniger telefonieren als sie. Im Gegensatz zu meiner Mutter telefoniert er aber ständig. Allerdings fast ausschließlich mit Freunden aus dem selben Dorf, das hört sich dann ungefähr so an. „Hallo! Und was machst du gerade? Mmm. Und heute Abend? Mmm. Nein, ich weiß auch noch nicht genau. Okay, ich ruf die später noch mal an.“ Dieses Gespräch wiederholt sich im Zwei-Stunden-Takt. Die Mailbox eines Bekannten meines Bruders, mit dem er solche Gespräche zu führen pflegte, war circa eine Tag lang mit folgender Ansage besprochen: „ Sie sprechen mit dem auto.., mit dem automatischen..., mit dem Handy von Lorenz Juen. Wenn sie eine Nachricht hinterlassen wollen, dann..., dann... dann rufen sie mich bitte an.“ Ziemlich viele Leute fanden dies Ansage lustig. So hatte der Lorenz, als der sein Handy das nächste mal einschaltete 99 Anrufe in Abwesenheit. Da hat er die Ansage natürlich sofort rausgenommen. Schade eigentlich.



Der schlimmste Telefongespräche sind jedoch die, mit meinem Vater führe. Erstens redet er nicht am Telefon, er schreit. Und zweitens beschränkt sich das, was er schreit auf folgende zwei Sätze: „Hallo, wie geht’s?“ und „Ich geb dir dann mal die Mama“.

Der einzige in unsere Familie der richtig telefonieren kann bin ich. Ich kann stundenlang telefonieren. Wenn ich über den Sommer bei meinen Eltern bin und sie sich beschweren, dass ich ihre Telefonrechnung verdopple, dann geht es sicher nicht um Gelt sondern um Neid, um Neid auf meine Telefonierkünste. Es gibt nur eines, was ich in punkto Telefonieren nicht wirklich beherrsche und zwar Gespräche mit Menschen in die ich verleibt bin. Ich glaube das ist die Königsdisziplin in diesem Bereich. Hier kommt das eigentlich Handikap der Technologie wirklich zum tragen. Dass man nämlich nicht sehen kann, wie das gesagte ankommt, während man spricht. Ich halte es absolut für notwendig, dass analog diesen ganzen Computerkursen auch Telefonkurse an den diversen Volkshochschule angeboten werden. Ich würde dann sofort meine Eltern und meinen Bruder für den Kurs „Telefonieren für Anfänger“ anmelden. Und ich selbst würde den Kurs „Telefonieren für Fortgeschrittene, unter besonderer Berücksichtigung von Gesprächen zwischen Verliebten“ belegen.



Ich werde jetzt meine Mutter anrufen und sagen, dass ich auf alles gefasst bin, und sie endlich herausrücken soll, mit der schrecklichen Nachricht. Ich hoffe sie wimmelt mich nicht ab, den das beherrscht sie perfekt, gerade am Telefon.

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