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Die Schwarze Clownnase

Text: rockstar
Max Goldt live.



Der Saal ist sehr breit und hoch und trägt den Namen eines Philosophen. Die Bühne ist viel zu riesig für den kleinen Tisch, der vor dem schwarzen Vorhang steht. Auf dem Tisch stehen zwei Flaschen Wasser. Sonst gibt es keine Deko. Vor mir sitzt ein glatzköpfiger Mann mit Homer Simpson- Socken, die sehr sehr grell mit der ansonsten rein schwarzen Kleidung kontrastieren.



Dann kommt Goldt. Ich hätte in mir anders vorgestellt, mit mehr Haaren und dünner und vielleicht auch besser angezogen, aber "ich beschäftige mich mit teurer Kleidung nur theoretisch" wird er sagen und das sieht man. Das Hemd ist fabrikarbeiterkariert in grau und beige und blau (oder so ähnlich), das Sacko schwarz und die Hose sehe ich schlecht. Ich glaube, es ist eine ehemals schwarze Jeans.



Er beginnt zu lesen. Der erste Text ist lustig, Goldt hat eine ruhige tiefe Stimme. Das was er liest klingt monoton, die Lacher sind verhalten. Es geht im Text darum, dass er, hätte er sehr viel Geld, sich ein Sanatorium bauen würde und ein- oder zweimal im Jahr unter ärztlicher Aufsicht den perfekten Heroinrausch erleben würde. Dann wäre er gestärkt für den Rest des Jahres. Ich hatte mir Männer, die über Heroin schreiben anders vorgestellt.



Aber schon beim zweiten, spätestens Mitte des dritten Textes ist seine Stimme gar nicht mehr monoton, sondern schlüpft in die verschiedensten Rollen. Mich fasziniert Goldts Fähigkeit, einen Gedanken bis er total absurd ist, weiter zu spinnen. Aus meiner Perspektive sitzt Goldt so am Tisch, dass das schwarze Mikrophon genau seine Nase verdeckt. Er sieht aus, wie ein Clown, der eine schwarze Plastiknase trägt. Und ich denke mir, dass dieses Bild sehr schön passt, zu seinen Texten. Goldt macht keine dummen Clownwitze, sein Humor ist ein nachdenklicherer und nachdenklich machender, würde ich sagen ein intelligenterer, als der von Clowns, würde er mich wohl als Dr. Lieschen Müller bezeichnen und deshalb tue ich das nicht.



Die eigentlich geplante Zugabe liest er schon vor der Pause. Es ist ein Text von DJ Kotze, der vom Reimen handelt und so schlecht ist, dass er - gelesen von Goldt - der lustige Text Abends wird.

Nach der Pause konzentriert er sich darauf aus seinem Tagebuch-Buch zu lesen. Es sind die Texte, die er am und nach dem 11. September des vergangenen Jahres verfasst hat und die Texte sind sehr anders, als das, was man eigentlich erwartet hatte. Er macht keine dummen Witze über das Geschehen. Ich weiß nicht, ob die Geschichte, die er erzählt, erfunden ist, skurril ist sie allemal. Da macht er sich zusammen mit einem Freund aus Frankfurt und einem aus New York zwei Tage nach dem Einsturz des WTC auf den Weg ins Fränkische. Sie besuchen das tiefste Loch der Welt in Windisch-Eschenbach, das aber vielleicht auch nur das zweittiefste sein könnte. Und das nach dem Einsturz des zweithöchsten Gebäudes der Welt...



Eine Zugabe gibt es dann auch noch, er macht sich davor gar nicht die Mühe, die Bühne zu verlassen, steht kurz auf, geht einige Schritte vom Tisch weg, dreht wieder um, setzt sich und liest noch ein Stück, dass er von einer deutsch für Engländer-Platte mit dem Namen "Wir sprechen deutsch" collagiert hat. Irgendwann beschwert er sich noch über den Raum und freut sich, dass jemand gekommen ist, denn in einer so schönen Stadt sollte man so hässliche Gebäude eigentlich nicht betreten.

Am Ende signiert er brav Bücher und Eintrittskarten. Wir gehen...und ich glaube meine Sicht auf die Welt ist ein kleines Bisschen eine Andere jetzt.

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