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Kehrwoche und andere Klischees erste Eindrücke aus dem Ausländle
Nett hier. Aber waren Sie schon mal in Baden-Württemberg? Über den etwas selbstgefälligen Spruch, der auf roten Lokomotiven durch Deutschland fährt, konnte ich bislang nur milde lächeln. Zu Baden-Württemberg fiel mir außer seinen anstrengenden Dialekten nur wenig ein, Zentralabitur zum Beispiel, Erwin Teufel, der jetzt in München studiert, und Städte wie Mannheim oder Stuttgart, voll von brummender Industrie, aber ohne jeglichen Charme, zumindest für durchreisende Bahnfahrer. Beneidenswert allenfalls das Selbstbewusstsein der Bewohner dieses Bundeslandes, die auch noch mit ihrem schrecklichen Dialekt werben: Wir können alles. Außer Hochdeutsch.
Tja, und plötzlich bin ich selbst da, mit einem Job, einer Wohnung und einer Telefonnummer, die mir 0711 beginnt.
Meine Freunde und Bekannten, denen ich von dem bevorstehenden Umzug erzählte, sagten meistens betroffen Oh und schoben dann schnell einen Satz hinterher: Da gibt es sicher auch schöne Ecken oder Stuttgart hat ein tolles Kulturleben oder auch besonders beliebt Man ist da ja auch total schnell draußen. Sehr ermutigend. Einzig meine Krankenkassenberaterin in Mainz schwärmte mir in ihrem schönsten Schwäbisch von ihrer Heimatstadt und deren Bewohnern vor, die bissle speziell seien, aber doch sehr nett.
Ich selbst hatte bis dahin vor allem eine Stuttgarter Spezies kennen gelernt, die in der Tat ein bissle speziell ist: die Vermieter, deren Lieblingssatz lautet: I sags Ihne glei, Sie müsset hier au die Kehrwoch mache. Um mir unmissverständlich klarzumachen, dass das Ganze kein Spaß ist, hing das Blechschild mit dem Besen (Kehrwochen-Schilder sind eine Kunstgattung für sich) am Einzugstag denn auch gleich vor MEINER Wohnungstür. Kehrwoche ist eigentlich ein Euphemismus, denn mit Kehren ist es natürlich nicht getan: der Eingang und das eigene Stockwerk plus jeweils zwei Absätze rauf und runter werden nass gewischt, der Hof gekehrt, die Fußmatten ausgeklopft, und dass Sie Bescheid wisset, unter die Strohmatte kommt noch eine zweite Fußmatte, damit man nicht stolpert.
Nach meiner ersten Kehrwoche mache ich mich als Neigschmeckte nun also tapfer und entschlossen daran, die Stadt zu erkunden und ihre viel gerühmten schönen Ecken zu entdecken. In Stuttgart sieht zuerst mal sieht man vor allem: Autos. Wenn man sie nicht sieht, dann hört man sie, und meistens riecht man sie auch. Das Zweite, was auffällt, sind die überquellenden Mülleimer, denn es wird ja gestreikt. Was gestern noch eine Radiomeldung war, ist heute vor meiner Haustür, auch das öffentliche WC ist wegen Streik geschlossen.
Ja, es gibt definitiv nettere Orte als Stuttgart, aber in den ersten Tagen in einer neuen Stadt geht man mit diesem besonderen Blick durch die Welt, milde, wach und neugierig, bereit, alles aufzusaugen. Man geht in Läden und Kneipen, von denen manche zu Stammplätzen werden, während man andere, sobald man sich auskennt, nie wieder betritt. In diesen ersten Tagen kann man die tollsten Dinge entdecken. Ich zum Beispiel freue mich an Kleinigkeiten wie der Schilderkombination Berufsberatung zu verkaufen oder der Tatsache, dass der Feuersee aus Eis ist
Außerdem, stelle ich fest, wohne ich in einer prima Gegend. Die Sekretärinnen in der Firma zucken zwar zusammen, wenn ich meine Adresse nenne, und sagen diplomatisch sehr multikulti, aber ich finds toll hier. Vor meiner Haustür gibt es außer dem öffentlichen WC auch einen Metzger, einen ausgezeichneten, für dessen überwältigendes Angebot man ein Brotfibele benötigt, und einen Friseur namens tatsächlich Härle. Das mit dem le ist übrigens kein Klischeele, selbst den Ausdruck Häusle baue habe ich schon original von meiner Vermieterin gehört. Aber überhaupt sind die Namen hier toll. Der Besitzer des Ladens Der Grieche und seine Spezialitäten, ein reizender Herr, heißt Kanakidis, und der türkische Haushaltswarenladen um die Ecke verkauft Badezimmermatten und Klofußumpuschelungen der Marke Vonaldi.
Prima auch der Name der Firmenkantine, sie heißt Pfanne, und wenn man in die Pfanne geht, trifft man sich üblicherweise, bei den Vögeln, einer leicht übersehbaren, obwohl 1,20 m hohen Bronzeplastik im Treppenhaus. In der Pfanne gelten besondere Gesetze, zum Beispiel wird einem beim Bonverkauf meist EKV? entgegen gebrüllt, was der Name der größten GmbH auf dem Gelände ist. Um diesem Schrei vorzubeugen, solle ich, sagt man mir, am besten gleich sagen Fünf für die AG. Geht klar. Essen geht auch, zumindest heute, aber mein Kollege warnt mich vor ab und zu werde hier fürchterlich gefrevelt, Maultaschen mit Reis gingen nun mal gar nicht, genauso wenig wie Senf zu Lense und Spätzle mit Saitewurscht.
Am Salatbuffet scheint sich noch ein weiteres Klischee zu bestätigen (Mir Schwabe sind sparsame Leut, auch dieser Satz ist mir hier schon mehrfach begegnet): Die großen Teller für den Salat als Hauptgang haben zwischen Ladefläche und Rand eine hohe Kante, eine Art Hemmschwelle, die offenbar verhindern solle, dass man den Rand mitbelädt. So ist der große Teller eigentlich nur noch ein Dessertteller.
Stuttgart bemüht sich also redlich, meine Vorurteile zu nähren, aber seit ein paar Tagen schmilzt die Eisdecke auf dem Feuersee, und als ich mit einer Wolldecke auf der Terrasse des Café Künstlerbund am Schlossplatz sitze, während die Februarsonne auf der mürben Haut brennt und Baulärm den Frühling ankündigt, da denke ich, dass es die schönen und liebenswerten Ecken vielleicht doch gibt Bis jetzt ist die Stadt jedenfalls ganz nett zu mir.

Tja, und plötzlich bin ich selbst da, mit einem Job, einer Wohnung und einer Telefonnummer, die mir 0711 beginnt.
Meine Freunde und Bekannten, denen ich von dem bevorstehenden Umzug erzählte, sagten meistens betroffen Oh und schoben dann schnell einen Satz hinterher: Da gibt es sicher auch schöne Ecken oder Stuttgart hat ein tolles Kulturleben oder auch besonders beliebt Man ist da ja auch total schnell draußen. Sehr ermutigend. Einzig meine Krankenkassenberaterin in Mainz schwärmte mir in ihrem schönsten Schwäbisch von ihrer Heimatstadt und deren Bewohnern vor, die bissle speziell seien, aber doch sehr nett.
Ich selbst hatte bis dahin vor allem eine Stuttgarter Spezies kennen gelernt, die in der Tat ein bissle speziell ist: die Vermieter, deren Lieblingssatz lautet: I sags Ihne glei, Sie müsset hier au die Kehrwoch mache. Um mir unmissverständlich klarzumachen, dass das Ganze kein Spaß ist, hing das Blechschild mit dem Besen (Kehrwochen-Schilder sind eine Kunstgattung für sich) am Einzugstag denn auch gleich vor MEINER Wohnungstür. Kehrwoche ist eigentlich ein Euphemismus, denn mit Kehren ist es natürlich nicht getan: der Eingang und das eigene Stockwerk plus jeweils zwei Absätze rauf und runter werden nass gewischt, der Hof gekehrt, die Fußmatten ausgeklopft, und dass Sie Bescheid wisset, unter die Strohmatte kommt noch eine zweite Fußmatte, damit man nicht stolpert.
Nach meiner ersten Kehrwoche mache ich mich als Neigschmeckte nun also tapfer und entschlossen daran, die Stadt zu erkunden und ihre viel gerühmten schönen Ecken zu entdecken. In Stuttgart sieht zuerst mal sieht man vor allem: Autos. Wenn man sie nicht sieht, dann hört man sie, und meistens riecht man sie auch. Das Zweite, was auffällt, sind die überquellenden Mülleimer, denn es wird ja gestreikt. Was gestern noch eine Radiomeldung war, ist heute vor meiner Haustür, auch das öffentliche WC ist wegen Streik geschlossen.
Ja, es gibt definitiv nettere Orte als Stuttgart, aber in den ersten Tagen in einer neuen Stadt geht man mit diesem besonderen Blick durch die Welt, milde, wach und neugierig, bereit, alles aufzusaugen. Man geht in Läden und Kneipen, von denen manche zu Stammplätzen werden, während man andere, sobald man sich auskennt, nie wieder betritt. In diesen ersten Tagen kann man die tollsten Dinge entdecken. Ich zum Beispiel freue mich an Kleinigkeiten wie der Schilderkombination Berufsberatung zu verkaufen oder der Tatsache, dass der Feuersee aus Eis ist
Außerdem, stelle ich fest, wohne ich in einer prima Gegend. Die Sekretärinnen in der Firma zucken zwar zusammen, wenn ich meine Adresse nenne, und sagen diplomatisch sehr multikulti, aber ich finds toll hier. Vor meiner Haustür gibt es außer dem öffentlichen WC auch einen Metzger, einen ausgezeichneten, für dessen überwältigendes Angebot man ein Brotfibele benötigt, und einen Friseur namens tatsächlich Härle. Das mit dem le ist übrigens kein Klischeele, selbst den Ausdruck Häusle baue habe ich schon original von meiner Vermieterin gehört. Aber überhaupt sind die Namen hier toll. Der Besitzer des Ladens Der Grieche und seine Spezialitäten, ein reizender Herr, heißt Kanakidis, und der türkische Haushaltswarenladen um die Ecke verkauft Badezimmermatten und Klofußumpuschelungen der Marke Vonaldi.
Prima auch der Name der Firmenkantine, sie heißt Pfanne, und wenn man in die Pfanne geht, trifft man sich üblicherweise, bei den Vögeln, einer leicht übersehbaren, obwohl 1,20 m hohen Bronzeplastik im Treppenhaus. In der Pfanne gelten besondere Gesetze, zum Beispiel wird einem beim Bonverkauf meist EKV? entgegen gebrüllt, was der Name der größten GmbH auf dem Gelände ist. Um diesem Schrei vorzubeugen, solle ich, sagt man mir, am besten gleich sagen Fünf für die AG. Geht klar. Essen geht auch, zumindest heute, aber mein Kollege warnt mich vor ab und zu werde hier fürchterlich gefrevelt, Maultaschen mit Reis gingen nun mal gar nicht, genauso wenig wie Senf zu Lense und Spätzle mit Saitewurscht.
Am Salatbuffet scheint sich noch ein weiteres Klischee zu bestätigen (Mir Schwabe sind sparsame Leut, auch dieser Satz ist mir hier schon mehrfach begegnet): Die großen Teller für den Salat als Hauptgang haben zwischen Ladefläche und Rand eine hohe Kante, eine Art Hemmschwelle, die offenbar verhindern solle, dass man den Rand mitbelädt. So ist der große Teller eigentlich nur noch ein Dessertteller.
Stuttgart bemüht sich also redlich, meine Vorurteile zu nähren, aber seit ein paar Tagen schmilzt die Eisdecke auf dem Feuersee, und als ich mit einer Wolldecke auf der Terrasse des Café Künstlerbund am Schlossplatz sitze, während die Februarsonne auf der mürben Haut brennt und Baulärm den Frühling ankündigt, da denke ich, dass es die schönen und liebenswerten Ecken vielleicht doch gibt Bis jetzt ist die Stadt jedenfalls ganz nett zu mir.
