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Jupp Engels wohnt hier nicht mehr

Text: rene








Gestern abend mit Johannis und Tobias in der Altstadt. Ein komischer Fleck von Köln, den einfach nicht besucht, wer sich nicht eben Biergenuss in möglichst würdeloser Facon auf die Fahnen seiner Abendunterhaltung geschrieben hat. Trotzdem gibt es dort gute Pizza, deswegen steuerte man dieses sonst so oft gemiedene Viertel an.



In der Altstadt ist es komisch. In jedem Reiseführer ist sie abgebildet und bietet neben dem im Reiseführer-Slang pittoresker Charme genannten Phänomen, das sehr alte, schmale Wohnhäuser und enge Kopfsteinpflasterstraßen offensichtlich gerne vermitteln, vornehmlich Freizeitkapazitäten für Menschen ab 40 aus dem Kölner Umland, die entweder an Bier, deftigem Essen oder nicht allzu subtiler Anmache interessiert sind. Wer hier wohnt, trinkt andernorts. Aber wer wohnt hier eigentlich?



Diese Frage drängte sich mir umso mehr auf, da ich bis dato noch nie einen Fuß in eine Wohnung in der Altstadt setzte. Auf diesen Mißstand machte ich die Freunde aufmerksam, die ebenfalls nur mit sehr wenig entsprechender Erfahrung aufzuwarten wussten. So kam es, daß ich noch in der gestrigen Nacht eine Ausgabe der hiesigen Tageszeitung erwarb und erstmalig seit meiner letzten Wohnungssuche vor zwei Jahren den Immobilienteil nicht direkt wegschmiss, sondern ihn vielmehr eingehend konsultierte. Schon immer treibt mich die Neugier um, das Innere von Gebäuden kennenzulernen. In Kooperation mit meiner absoluten Unfähigkeit, mir das Interieur eines Hauses in der Altstadt vorstellen zu können, veranlasste mich diese Neugier nun also heute nachmittag zu etwas, was ich mir schon lange vorgenommen hatte: eine Wohnungsbesichtung zu besuchen, obwohl ich überhaupt keine Wohnung suche.



Wer nun glaubt, in Häusern in der Kölner Altstadt sehe es genauso aus wie auch sonst überall, dem ist entschieden zu widersprechen. Das beginnt schon damit, daß man ja bei aller Traditionsverbundenheit der Kölner keineswegs davon ausgehen kann, vor jedem Haus eine Bronzestatue zu finden, die legendarische Kölner Witzgestalten in leichter Überlebensgröße darstellt. Vor dem Haus An Groß Sankt Martin 8a, in dem es heute um 16.45h eine leerstehende Wohnung zu besichtigen gab, ist dem jedoch so: dort stehen in Bronze gegossen Tünnes und Schäl, fast immer umgeben von Touristen, die es an Tünneshaftigkeit und Schäl-ness durchaus mit ihren leblosen Vorbildern aufnehmen können (das obige Bild stellt dies eindrucksvoll unter Beweis). Hinter den Figuren stellt eine wenig kleidsame Gitterverkleidung unter Beweis, daß man es eindeutig mit einem komischen Haus zu tun hat. Vollends neugierig wurde ich jedoch durch eine an ebendiesem Gitter angebrachte Tafel, auf der Folgendes zu lesen stand: Hier im Hanenhaus logieren Tünnes und Schäl bei ihrem Freund Jupp Engels. Dies ließ mich natürlich aufmerken und nährte meine Überzeugung, daß ich mir wohl instinktiv genau das richtige Haus für eine gänzlich konsequenzlose Wohnungsbesichtigung ausgesucht haben könnte.



Natürlich hatte ich keinen Fotoapparat bei mir. Das war dumm! So hätte ich vielleicht das höchst merkwürdige Interieur dieses Hauses für die geschätzten Leser dokumentieren können. In der Eingangshalle fanden sich mehrere per Siebdruck auf Holztafeln verewigte Dokumente aus dem Leben von Jupp Engels an der Wand drapiert. Eines davon war ein Schreiben der Stadt Köln vom Oktober 1967, in dem sich ein Sprecher des Stadtrats bei Jupp Engels dafür entschuldigte, daß sich die Stadt bei ihm noch nicht offiziell für die Stiftung einer gewissen Schmitzsäule bedankt habe. Unweigerlich drängte sich mir die Frage auf, ob man sich als Stadt eigentlich wirklich für jeden Tinnef bedanken muss. Allzu großen Anklang kann die Schmitzsäule überdies bei den Kölner Stadtplanern auch kaum gefunden haben, gehörte sie doch ebenfalls zum Interieur des Foyerbereichs. Leider war sie halb verhüllt durch ein Transparent, auf dem ein achtstrophiges Lobgedicht auf Jupp Engels zu lesen war, der mir in seiner bescheidenen Gönnerhaftigkeit freilich immer sympathischer wurde.



Umso mehr überraschte es mich, daß neben den in vergleichsweise monströser Größe zur Anschauung gestellten Auszügen aus dem Schriftverkehr von Jupp Engels auch unerfindlicherweise ein Portrait des amerikanischen Astronauten Buzz Aldrin zu sehen war. Nicht fehlen ließ man es überdies an einem offiziellen Brief aus der Feder Jimmy Carters, der jedoch keineswegs an Buzz Aldrin und, was natürlich deutlich befremdlicher ist, ebensowenig an Jupp Engels gerichtet war. Die Kombination der in diesem Foyerbereich eines Wohnhauses (!) ausgestellten Dokumente machte auf recht zauberhafte Weise vorne und hinten keinen Sinn. Wie sollte es dann nur in der Wohnung aussehen?



Richtig: genau so irrsinnig wie im Treppenhaus! Uralte Teppiche, an die Wirtschaftswunderzeit erinnerne Einbauschränke, eine Treppe, wie sie sich Ludwig Erhardt nicht schöner hätte aussuchen können und Knöpfe zum Türöffnen wie aus Raumpatrouille Orion. Dazu mindestens zwei Meter dicke Wohnungstüren aus Metall mit eingravierten Szenarien aus der Kölner Stadtgeschichte. Kurz: die raumgewordene Verneinung all dessen, was heute als innenarchitektonischer status quo gelten dürfte. Ich wäre am Liebsten direkt eingezogen. Der Schwermut ob der Tatsache, daß ich schon eine recht wunderbare Wohnung habe, aus der auszuziehen mich bei nüchterner Betrachtung doch nicht zu unterschätzende Überwindung kosten würde, wog kurzfristig enorm. Die Begegnung mit den ersten zum Bierkonsum in der Altstadt einfallenden Erftkreisbewohnern linderte diesen Schmerz jedoch erstaunlich schnell.



Jupp Engels ist 1991 verstorben. Seine beiden Freunde hat es danach wohl auch nicht mehr lange in seinem komischen Haus gehalten.






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