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Unser Freund der Elch
Eben hat meine Frau hochgerufen, dass das Essen auf dem Tisch ist (mir wäre ja lieber, es wäre auf den Tellern, aber so gehts), also wird die Kolumne diese Woche vielleicht kürzer als sonst.
In unserem Haus kriegen Sie nämlich, wenn Sie nicht binnen fünf Minuten am Tisch sitzen, nur noch den Knorpel und das gräuliche Stück Faden, mit dem der Braten umwickelt war. Doch wenigstens und das ist das Schöne daran, wenn man heutzutage in den USA, ja überhaupt irgendwo anders als in Großbritannien lebt können wir Rindfleisch verzehren, ohne dass wir damit rechnen müssen, gegen die Wand zu torkeln, wenn wir nach dem Essen aufstehen.
Ich war vor kurzem im Vereinigten Königreich und habe festgestellt, dass viele Menschen dort wieder Rindfleisch essen. Woraus ich schließe, dass sie neulich weder die hervorragende zweiteilige Fernsehsendung über BSE gesehen noch John Lanchesters nicht minder aufschlussreichen Bericht im New Yorker über ebendieses Thema gelesen haben. Sonst würden sie, weiß Gott, nie wieder Rindfleisch anrühren. (Ja, mehr noch, sie würde wünschen, dass sie es vor allem zwischen 1986 und 1988 nicht angerührt hätten. Ich habe es damals auch gegessen, und Junge, Junge, da blüht uns was.)
Heute habe ich jedoch nicht die Absicht, Angst und Schrecken hinsichtlich unser aller Zukunftsaussichten zu verbreiten ( wenn ich Ihnen auch den guten Rat geben möchte, Ihre Angelegenheiten in Ordnung zu bringen, solange sie noch einen Stift halten können), sondern ich möchte eine Alternative vorschlagen was mit den armen Kühen geschehen könnte, denen in Großbritannien nun samt und sondern der Garaus gemacht werden soll.
Ich finde, man sollte sie alle hierher verschiffen, in den Great North Woods freilassen, die sich von Vermont nach Maine über das nördliche Neuengland erstrecken, und dann US-amerikanische Jäger auf sie loslassen. Mein Hintergedanke dabei ist, die Weidmänner daran zu hindern, die Elche abzuknallen.
Weiß er Himmel, wieso man überhaupt auf die Idee kommt, so ein harmloses, braves Tier wie einen Elch zu erschießen, aber Tausende wollen nichts lieber als das jetzt sogar so viele, dass die einzelnen Bundesstaaten durch Losverfahren entscheiden, wer die Erlaubnis dazu bekommt. Im letzten Jahr gingen in Maine zweiundachtzigtausend Anträge für eintausendundfünfhundert Genehmigungen ein. Mehr als zwölftausend nicht in Maine ansässige Personen trennten sich gern von nicht zurück zu erstattenden zwanzig Dollar, nur um an der Auslosung teilnehmen zu können.
Die Jägersleut erzählen Ihnen, dass der Elch ein hinterlistiges, grimmiges Waldwesen ist. In Wirklichkeit ist er ein von einem Dreijährigen gezeichneter Ochse. Mehr nicht. Der Elch ist die kurioseste, rührend hilfloseste Kreatur, die je in freier Wildbahn gelebt hat! Er ist zwar riesig so groß wie ein Pferd -, aberwahnsinnig ungelenk. Ein Elch läuft, als wisse das linke Bein nicht, was das rechte tue. Selbst sein Geweih macht nichts her. Andere Viecher lassen sich Geweihe mit spitzen Enden wachsen, die im Profil prächtig aussehen und dem Feind Respekt abnötigen. Der Elch dagegen trabt mit einem Geweih durch die Gegend, das wie ein Handschuh-Topflappen aussieht.
Vor allem aber zeichnet das Tier ein beinahe grenzenloser Mangel an Intelligenz aus Wenn Sie einen Highway entlangfahren und ein Elch aus dem Wald tritt, blinzelt er Sie eine ganze Minute lang an und rennt dann urplötzlich vor Ihnen weg, aber die Fahrbahn entlang. Die Beine fliegen gleichzeitig in acht verschiedene Richtungen. Macht nichts, dass zu beiden Seiten des Highways zehntausend Quadratkilometer dichten, sicheren Waldes liegen. Der Elch, zu doof, zu erkennen, wo er ist und was genau da abläuft, folgt dem Highway unverdrossen bis fast nach New Brunswick, bis ihn sein eigentümlicher Gang irgendwann aus Versehen zurück in den Wald führt. Dort bleibt er sofort stehen, und Verblüffung breitet sich auf seiner Miene aus. Hey ein Wald! sagt er. Na, wie zum Kuckuck bin ich hierher geraten?
Elche sind so kolossal wirr im Kopf, dass sie oft sogar, wenn sie hören, dass ein Pkw oder ein Lastwagen kommt, aus dem Wald hinaus und auf den Highway springen, weil sie die merkwürdige Hoffnung hegen, dort in Sicherheit zu sein. In Nordengland fallen jedes Jahr etwa eintausend Elche Zusammenstößen mit Fahrzeugen zum Opfer. (Und da ein Elch bis zu zweitausend Pfund wiegen kann und genauso gebaut ist, dass die Motorhaube eines Pkws unter ihn passt und ihm die spillerigen Beine wegtaut, während der Rumpf durch die Windschutzscheibe kracht, sind derlei Begegnungen ebenso oft tödlich für den Autofahrer.) Wenn Sie sähen, wie ruhig und leer die Straßen in den nördlichen Wäldern sind, und sich vergegenwärtigen, wie unwahrscheinlich es ist, dass überhaupt ein Lebewesen just in dem Moment auf dem Highway auftaucht, wenn ein Fahrzeug vorbeifährt, dann könnten Sie ermessen, wie erstaunlich diese Zahlen sind.
Noch erstaunlicher aber ist, dass der Elch trotz seiner Unbedarftheit und seltsam abgestumpften Überlebensinstinkte zu den ältesten Tierarten in Amerika gehört. Elche gab es schon, als Mastodone auf der Erde herumlatschten. Und im Osten der Vereinigten Staaten wuchsen und gediehen einmal Kältesteppenmammute, Wölfe, Karibus, Wildpferde und sogar Kamele. Doch sie starben nach und nach alle aus, während der Elch, unbeirrt von Eiszeiten, Meteoriteneinschlägen, Vulkanausbrüchen und dem Auseinanderdriften von Kontinenten weiterstampfte.
Das war nicht immer so. Um die Jahrtausendwende schätzte man die Zahl der Elche auf nicht mehr als ein Dutzend in ganz Neuengland und vermutlich null in Vermont. Heute geht man davon aus, dass fünftausend Elche in New Hampshire, noch eintausend in Vermont und bis zu dreitausend in Maine leben.
Damit diese massive und noch wachsende Population nicht Überhand nimmt, hat man allmählich wieder mit dem Jagen begonnen. Doch dabei entstehen zwei Probleme. Zunächst einmal sind di Zahlen wirklich nur Schätzungen, die Tiere treten ja nicht gerade zur Volkszählung an. Zumindest ein führender Naturforscher meint, dass die Zahlen bis zu zwanzig Prozent zu hoch angesetzt sind, was bedeuten würde, dass die überschüssigen Elche nicht etwa mit Bedacht erlegt, sondern sinnlos abgeschlachtet werden.
Mein Haupteinwand gegen die Jagd auf sie ist freilich, dass es sich einfach nicht gehört, ein so dümmliches, argloses Tier zu jagen und zu töten. Einen Elch abzuknallen ist keine Kunst. Ich bin in der Wildnis aus welche gestoßen und kann Ihnen versichern, dass auf sie zugehen und sie mit einer gefalteten Zeitung erschlagen könnte. Die Tatsache, dass neunzig Prozent der Jäger in einer Jagdsaison, die nur etwa eine Woche dauert, erfolgreich Beute machen, bezeugt, wie leicht ein Elch zur Strecke zu bringen ist.
Und genau deshalb schlage ich vor, dass alle die armen, verseuchten Rindviecher hierhergeschickt werden. Sie würden unseren Nimrods die Art männlicher Herausforderung bieten, nach der sie offenbar lechzen, und es könnte dazu beitragen, den einen oder anderen Elch vor dem sichern Tod zu bewahren.
Also schickt die wahnsinnigen Kühe ruhig her. Per Adresse Bob Smith. Er ist einer unserer Senatoren in New Hampshire, und nach seinem Abstimmungsverhalten im Senat zu urteilen, ist er mit geistigen Behinderungen wohlvertraut.
Wenn Sie mich nun bitte entschuldigen wollen, ich muss sehen, ob an dem gräulichen Stück Faden noch ein Fetzchen Fleisch hängt.
Bill Bryson (Streiflichter aus Amerika, Die USA für Anfänger und Fortgeschrittene)
In unserem Haus kriegen Sie nämlich, wenn Sie nicht binnen fünf Minuten am Tisch sitzen, nur noch den Knorpel und das gräuliche Stück Faden, mit dem der Braten umwickelt war. Doch wenigstens und das ist das Schöne daran, wenn man heutzutage in den USA, ja überhaupt irgendwo anders als in Großbritannien lebt können wir Rindfleisch verzehren, ohne dass wir damit rechnen müssen, gegen die Wand zu torkeln, wenn wir nach dem Essen aufstehen.
Ich war vor kurzem im Vereinigten Königreich und habe festgestellt, dass viele Menschen dort wieder Rindfleisch essen. Woraus ich schließe, dass sie neulich weder die hervorragende zweiteilige Fernsehsendung über BSE gesehen noch John Lanchesters nicht minder aufschlussreichen Bericht im New Yorker über ebendieses Thema gelesen haben. Sonst würden sie, weiß Gott, nie wieder Rindfleisch anrühren. (Ja, mehr noch, sie würde wünschen, dass sie es vor allem zwischen 1986 und 1988 nicht angerührt hätten. Ich habe es damals auch gegessen, und Junge, Junge, da blüht uns was.)
Heute habe ich jedoch nicht die Absicht, Angst und Schrecken hinsichtlich unser aller Zukunftsaussichten zu verbreiten ( wenn ich Ihnen auch den guten Rat geben möchte, Ihre Angelegenheiten in Ordnung zu bringen, solange sie noch einen Stift halten können), sondern ich möchte eine Alternative vorschlagen was mit den armen Kühen geschehen könnte, denen in Großbritannien nun samt und sondern der Garaus gemacht werden soll.
Ich finde, man sollte sie alle hierher verschiffen, in den Great North Woods freilassen, die sich von Vermont nach Maine über das nördliche Neuengland erstrecken, und dann US-amerikanische Jäger auf sie loslassen. Mein Hintergedanke dabei ist, die Weidmänner daran zu hindern, die Elche abzuknallen.
Weiß er Himmel, wieso man überhaupt auf die Idee kommt, so ein harmloses, braves Tier wie einen Elch zu erschießen, aber Tausende wollen nichts lieber als das jetzt sogar so viele, dass die einzelnen Bundesstaaten durch Losverfahren entscheiden, wer die Erlaubnis dazu bekommt. Im letzten Jahr gingen in Maine zweiundachtzigtausend Anträge für eintausendundfünfhundert Genehmigungen ein. Mehr als zwölftausend nicht in Maine ansässige Personen trennten sich gern von nicht zurück zu erstattenden zwanzig Dollar, nur um an der Auslosung teilnehmen zu können.
Die Jägersleut erzählen Ihnen, dass der Elch ein hinterlistiges, grimmiges Waldwesen ist. In Wirklichkeit ist er ein von einem Dreijährigen gezeichneter Ochse. Mehr nicht. Der Elch ist die kurioseste, rührend hilfloseste Kreatur, die je in freier Wildbahn gelebt hat! Er ist zwar riesig so groß wie ein Pferd -, aberwahnsinnig ungelenk. Ein Elch läuft, als wisse das linke Bein nicht, was das rechte tue. Selbst sein Geweih macht nichts her. Andere Viecher lassen sich Geweihe mit spitzen Enden wachsen, die im Profil prächtig aussehen und dem Feind Respekt abnötigen. Der Elch dagegen trabt mit einem Geweih durch die Gegend, das wie ein Handschuh-Topflappen aussieht.
Vor allem aber zeichnet das Tier ein beinahe grenzenloser Mangel an Intelligenz aus Wenn Sie einen Highway entlangfahren und ein Elch aus dem Wald tritt, blinzelt er Sie eine ganze Minute lang an und rennt dann urplötzlich vor Ihnen weg, aber die Fahrbahn entlang. Die Beine fliegen gleichzeitig in acht verschiedene Richtungen. Macht nichts, dass zu beiden Seiten des Highways zehntausend Quadratkilometer dichten, sicheren Waldes liegen. Der Elch, zu doof, zu erkennen, wo er ist und was genau da abläuft, folgt dem Highway unverdrossen bis fast nach New Brunswick, bis ihn sein eigentümlicher Gang irgendwann aus Versehen zurück in den Wald führt. Dort bleibt er sofort stehen, und Verblüffung breitet sich auf seiner Miene aus. Hey ein Wald! sagt er. Na, wie zum Kuckuck bin ich hierher geraten?
Elche sind so kolossal wirr im Kopf, dass sie oft sogar, wenn sie hören, dass ein Pkw oder ein Lastwagen kommt, aus dem Wald hinaus und auf den Highway springen, weil sie die merkwürdige Hoffnung hegen, dort in Sicherheit zu sein. In Nordengland fallen jedes Jahr etwa eintausend Elche Zusammenstößen mit Fahrzeugen zum Opfer. (Und da ein Elch bis zu zweitausend Pfund wiegen kann und genauso gebaut ist, dass die Motorhaube eines Pkws unter ihn passt und ihm die spillerigen Beine wegtaut, während der Rumpf durch die Windschutzscheibe kracht, sind derlei Begegnungen ebenso oft tödlich für den Autofahrer.) Wenn Sie sähen, wie ruhig und leer die Straßen in den nördlichen Wäldern sind, und sich vergegenwärtigen, wie unwahrscheinlich es ist, dass überhaupt ein Lebewesen just in dem Moment auf dem Highway auftaucht, wenn ein Fahrzeug vorbeifährt, dann könnten Sie ermessen, wie erstaunlich diese Zahlen sind.
Noch erstaunlicher aber ist, dass der Elch trotz seiner Unbedarftheit und seltsam abgestumpften Überlebensinstinkte zu den ältesten Tierarten in Amerika gehört. Elche gab es schon, als Mastodone auf der Erde herumlatschten. Und im Osten der Vereinigten Staaten wuchsen und gediehen einmal Kältesteppenmammute, Wölfe, Karibus, Wildpferde und sogar Kamele. Doch sie starben nach und nach alle aus, während der Elch, unbeirrt von Eiszeiten, Meteoriteneinschlägen, Vulkanausbrüchen und dem Auseinanderdriften von Kontinenten weiterstampfte.
Das war nicht immer so. Um die Jahrtausendwende schätzte man die Zahl der Elche auf nicht mehr als ein Dutzend in ganz Neuengland und vermutlich null in Vermont. Heute geht man davon aus, dass fünftausend Elche in New Hampshire, noch eintausend in Vermont und bis zu dreitausend in Maine leben.
Damit diese massive und noch wachsende Population nicht Überhand nimmt, hat man allmählich wieder mit dem Jagen begonnen. Doch dabei entstehen zwei Probleme. Zunächst einmal sind di Zahlen wirklich nur Schätzungen, die Tiere treten ja nicht gerade zur Volkszählung an. Zumindest ein führender Naturforscher meint, dass die Zahlen bis zu zwanzig Prozent zu hoch angesetzt sind, was bedeuten würde, dass die überschüssigen Elche nicht etwa mit Bedacht erlegt, sondern sinnlos abgeschlachtet werden.
Mein Haupteinwand gegen die Jagd auf sie ist freilich, dass es sich einfach nicht gehört, ein so dümmliches, argloses Tier zu jagen und zu töten. Einen Elch abzuknallen ist keine Kunst. Ich bin in der Wildnis aus welche gestoßen und kann Ihnen versichern, dass auf sie zugehen und sie mit einer gefalteten Zeitung erschlagen könnte. Die Tatsache, dass neunzig Prozent der Jäger in einer Jagdsaison, die nur etwa eine Woche dauert, erfolgreich Beute machen, bezeugt, wie leicht ein Elch zur Strecke zu bringen ist.
Und genau deshalb schlage ich vor, dass alle die armen, verseuchten Rindviecher hierhergeschickt werden. Sie würden unseren Nimrods die Art männlicher Herausforderung bieten, nach der sie offenbar lechzen, und es könnte dazu beitragen, den einen oder anderen Elch vor dem sichern Tod zu bewahren.
Also schickt die wahnsinnigen Kühe ruhig her. Per Adresse Bob Smith. Er ist einer unserer Senatoren in New Hampshire, und nach seinem Abstimmungsverhalten im Senat zu urteilen, ist er mit geistigen Behinderungen wohlvertraut.
Wenn Sie mich nun bitte entschuldigen wollen, ich muss sehen, ob an dem gräulichen Stück Faden noch ein Fetzchen Fleisch hängt.
Bill Bryson (Streiflichter aus Amerika, Die USA für Anfänger und Fortgeschrittene)