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☽☆ GuteNachtGeschichten #1: Das Märchen von dem Gespenst

Text: the-wrong-girl
So liebe Kosmoten, für Jung&Alt, die nicht ohne Geschichte einschlafen können, gibt es hier einen neuen Service von mir: GuteNachtGeschichten. Gefühlte 1xpro Woche, so lange ich schöne Geschichten finde. Es geht los mit einer Reihe von Geschichten aus einem Tschechischen Kinderbuch mit dem Titel „Gutenachtgeschichten“ (Quellenangabe: s.u.).



Heute:



Das Märchen von dem Gespenst



Es war einmal ein Gespenst, das hockte auf einer Kiste auf dem Dachboden und starrte traurig vor sich hin. Es hatte ein weißes Leintuch mit Kapuze an und wartete auf jemanden, den es erschrecken könnte. Aber niemand ließ sich blicken, und so fielen ihm mit der Zeit die Augen zu. Da kam ein Schornsteinfeger, sah das Gespenst in dem weißen Leintuch, wie es vor sich hindöste , und machte: „Huh!“

Das Gespenst bekam solch einen Schreck, dass es am ganzen Leib zitterte und der Schornsteinfeger sich vor Lachen den Bauch hielt. Dann schenkte er dem Gespenst ein Hustenbonbon, und das Gespenst lutschte das Bonbon und hatte überhaupt keine Angst mehr. Der Schonsteinfeger kehrte inzwischen alle Essen und ging dann Mittagessen.

Dem Gespenst aber wurde es nun auf dem Boden zu langweilig, und so ging es spazieren. Es spazierte durch die Straßen, und alle Leute drehten sich nach ihm um und staunten: Nanu, was ist denn das, das so dünne Beine hat und ein weißes Regencape?

Das Gespenst grinste die Leute an und spazierte in den nächsten Frisiersalon hinein.













Dort wartete man schon auf Kundschaft und sagte höflich zu dem Gespenst: „ Bitte nehmen Sie Platz, gnädige Frau!“ Sie nahmen dem Gespenst die Kapuze ab und siehe da – es hatte eine Glatze, weil Gespenster nämlich überhaupt keine Haare brauchen.

Und da nichts zu frisieren war, besprengte der Friseur die Glatze mit Köllnischwasser und polierte sie auf Hochglanz. Das Gespenst war jetzt wunderschön. Es stolzierte durch die Straßen und duftete wie ein ganzes Blumenbeet.

Wie es so dahinspazierte, kam es an ein Schild, auf dem stand: FUSSGÄNGER, DIE ANDERE STASSENSEITE BENUTZEN!- Weil auf dieser Seite nämlich der Fußweg frisch asphaltiert war. Nun konnte unser Gespenst aber leider nicht lesen, ging also ruhig weiter und machte Fußstapfen in den nassen Asphalt.

Ein Stück weiter stand ein grimmiger Sraßenwärter mit einer Pfeife und passte auf. Wie er nun das Gespenst sah und die Fußstapfen in dem schönen neuen Fußweg, da wurde er noch grimmiger und pfiff schrill auf seiner Pfeife. Das Gespenst aber grinste ihn vergnügt an und spazierte weiter. Da zog der Staßenwärter seine Hosen hoch, weil die nämlich rutschten, und lief dem ungehorsamen Gespenst nach. Das rannte vor ihm her und jauchzte laut, denn Haschen war sein Lieblingsspiel (lol, Anm. d. Red.). Der Straßenwärter pfiff auf der Pfeife, hielt mit einer Hand die rutschende Hose fest und rannte hinter dem Gespenst her, so schnell er nur konnte.

So kamen sie an einen Zaun, und das Gespenst kletterte flink hinüber; und erst als es drüben war, merkte es, dass der Zaun ringsherum ging und nirgends ein Ausweg war. In der Mitte aber stand eine riesige Stange, so hoch, dass sie bis in die Wolken reichte. Inzwischen war auch der Staßenwärter ächzend über den Zaun geklettert und pfiff noch immer weiter so laut es ging. Dem Gespenst blieb also nichts übrig, als in die Hände zu spucken, sein Leintuch zu schürzen und an der Stange hochzuklettern. Der Staßenwärter stand unten und starrte hinauf, und wie er dabei vor Staunen den Mund aufriss, da verschluckte er die Pfeife, und die pfiff in seinem Bauch weiter, aber nur ganz leise, denn es war finster da drinnen, und sie fürchtete sich.

Jetzt wurde unser lieber Staßenwärter erst recht wütend, weil die Pfeife nämlich funkelnagelneu war. Er spuckte auch in die Hände und kletterte dem Gespenst nach.

Die Stange war, wie schon gesagt, unendlich hoch, aber das Gespenst kletterte immer weiter, weil es vor dem Staßenwärter Angst hatte, und der Staßenwärter kletterte auch immer weiter, weil er wütend war, dass er seine neue Pfeife verschluckt hatte. Sie kletterten, bis das Gespenst am Himmelszelt angelangt war, das aus blauem Glas war.













Und auf dem lief es nun weiter, und der Asphalt, der an den Schuhen klebte, malte schwarze Spuren auf das Himmelblau. Der Staßenwärter wollte auch auf den gläsernen Himmel klettern, aber weil er viel schwerer war als das Gespenst, brach er ein und fiel mit einem solchen Plumps auf die Erde hinab, das ihm die Mütze über die Augen rutschte und er die funkelnaglneue Pfeife, die er verschluckt hatte, wieder ausspuckte. Da rückte er die Mütze wieder zurecht, hob die Pfeife auf und pfiff darauf. Dann schrieb er das Gespenst in sein Strafbuch ein und lief schnell zurück, den verdorbenen Fußweg wieder in Ordnung zu bringen.

Das Gespenst rannte noch immer über en Himmel aus blauem Glas. Es drückte schwarze Fußstapfen auf das Blau, hüfte auf seinen dünnen Beinchen und pfiff dazu laut und falsch.

Plötzlich sah es einen prachtvollen weißen Stern, der war ganz aus Vanillezucker. da freute sich das Gespenst, denn es naschte für sein Leben gern, hatte aber nie Geld für Naschereien; und der Stern war ja für umsonst. Vergnügt machte es sich über den großen Stern her, und weil es selbst ja nur klein war, wird es wohl noch sehr lange dauern, bis es ihn vernascht hat.

Ihr wollt nicht glauben, dass es so war?

Ja, habt ihr denn noch nie gesehen, wie weiße Wolken die schwarzen Fußstapfen auf dem blauen Himmelsglas wegwaschen und davon so schmutzig werden, dass sie sich auswringen müssen? Und die Menschen Ziehen dann Regenmäntel an, niesen und weichen den Pfützen aus.



(Aus: Gutenachtgeschichten mit Illustrationen von Helena Zmatlikova, Artia Verlag, Prag, 1982.)

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