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Erik

Text: uhno
"Weisst du, wenn du mich so ansiehst, dann kann ich's fast nicht glauben, dass du nichts mit mir anfangen würdest. Ich meine, einmal, zweimal, okay. Aber dann zum 380. Mal..."



Als du das sagtest, das war vorher. Ich hatte dich durchschaut, dein Wesen, deine Natur und ich hatte es entschieden und beschlossen. Du bist kein Typ für mich. Du bist nicht mein Typ. Das hab ich dir sogar noch gesagt, beim Flaschendrehen, und auch in meinem Tagebuch steht es schwarz auf weiss, das heisst, blauf auf kariert. Aber was passiert mit einem Maedchen, wenn es auf dem Schoss von nem Typen sitzt, liegt, es für beide nur Spass ist, es ihr klar ist, dass der Typ es nicht ernst meint und für sie ist es okay. Und dann kommt so ein Satz. Und spaeter.

"Bist du verliebt?"

"In wen?"

"In mich?"

Ich schaue unglaeubig, ich lache fast, so absurd ist das, diese Unterstellung, was denkt er sich dabei. "Ganz ehrlich?"

"Ne!" Du sagst die Antwort selbst, du kennst meinen Spruch, kennst mich, zu gut mittlerweile. Du haelst mich in deinen Armen, laesst nicht los, als wir reden. Irgendwann doch, man kann ja nicht den halben Tag auf einer Treppe so rumstehen.

Ich schaue an dir vorbei, ich muss dich fragen, nur so aus Neugier. "Ist doch auch besser so, oder?"

Du seufzt theatralisch, ist es gespielt? War es alles gespielt? "Das hoffe ich."

Irgendwann habe ich den Fehler gemacht, nachzudenken. Über die Dinge, die du sagst, warum du sie sagst. Ich habe vergessen, dass du viel sagst, wenn der Tag lang ist. Aber ich habe nicht vergessen, klar zu denken, so sehr hattest du mich nicht, noch nicht.

"Was willst du von mir?"

"Gar nichts. Was willst du von mir?"

"Weiss ich nicht."

Wir haben es besprochen, entschieden, beschlossen. Dass ich nicht der Typ bin für sowas, für ihn, kurz mal so und dann vorbei, du wusstest das. Es war gut, ich war wieder frei und wir waren Freunde. Freunde, die sich oft in den Arm nehmen, ich hatte mich schon daran gewöhnt, deinen Arm zu stoppen, sobald er, dir nichts, mir nichts, an Stellen glitt, wodie Arme, Haende, von Freunden nunmal nicht hingehören. Ich fand das nicht schlimm, so bist du eben, jeder hat so seine Eigenarten.

Vielleicht wolltest du mich deshalb. Weil ich dich durchschaut hab und dir nicht erlegen bin wie die anderen, mehr oder weniger. Ich wollte dich nicht, wollte bloss deine Freundschaft. Du hast wohl so ein Talent, das kaputtzumachen. Aber es ist nicht deine Schuld, nicht bei mir. Dir schieben schon genug Leute, Maedchen, die Schuld für Dinge zu, die sie genauso getan haben.

Du warst betrunken und hast mich aus dem Tiefschlaf geweckt, mit Geschrei, aber vielleicht war das auch dein Freund. Mir war das egal, ich war müde, wollte schlafen, dann kamst du, deine Hand auf meiner Wange, dein Kopf auf meiner Matratze und mein schlaftrunkenes Gemurmel. "Was willst denn du?"

"Hm?"

"Weil du mich aufweckst."

"Nen Kuss."

Es waren zwei Küsse, mehr nicht, es hat nichts geaendert, nicht für mich oder dich, nicht für uns. Aber plötzlich warst du immer da, hast auf mich gewartet, bist neben mir gegangen. Ich mag es, wie du meinen Namen sagst, "Nóri", ich könnte das auf Kassette aufnehmen und abspielen, immer wieder.

"Nach hinten, Kleiner, sie sitzt neben mir." Ja, ich glaube das war der Tag, Tag X. Der Tag, an dem es mir plötzlich egal war, dass es nur noch fünf Tage sind und dass du bist wie du bist, ich wollte dich, wollte dich bei mir haben, an meiner Hand, neben mir, Arm an Arm, dein Kopf auf meinem Schoss, dein leuchtender Blick, der sich in mich bohrt. Die Wahrheit ist naemlich, dass nicht nur ich das kann, 380 Mal.

Irgendwie hab ich jetzt Angst, total Schiss, dass ich so jemanden nie wieder finde, jemanden mit so nem Blick, der mich so anschauen kann, sodass ich es überall spüre, im ganzen Körper. Ob das nun was bedeutet hat oder nicht, dieses Gefühl war echt und gut und haettest du dich genauso verknallt wie ich mich, dann würde ich dich nie mehr loslassen. Aber so bist du nicht, du suchst nicht die Eine, die grosse Liebe, nicht wie ich. Und das macht auch nichts, mir haettest du auch so gereicht, so als Freund, aber nein, das wird nichts, fertig. 100km sind in deinem Fall sogar für eine Freundschaft zu weit.

"Nóri, schreibst du mir mal noch deine Adresse und so auf?"

"Was willst du denn alles?"

"Na, alles. Postadresse, Telefonnummer, Handy, Email, ICQ, was du eben hast."

Ich hab gedacht, das wird schon, wenigstens ein bischen. Man sieht sich im ICQ, man redet. Man redet nicht. Anscheinend ist da nichts zu reden. Meinst du. Was mich betrifft, ich haette dir unheimlich viel zu sagen.

"Du musst dich nicht wundern, wenn ich dich gleich küsse." Das war auch davor, wir standen so rum, auf der Baustelle, haben unsere leuchtenden Blicken ausgetauscht, wie so oft. Du hast mich schliesslich nicht geküsst, obwohl ich dich nicht daran gehindert haette. Ich kam oft zu dir her, um dich anzustarren, mit meiner Schulter deine zu berühren. Du hast dann den Arm um mich gelegt, um meine Taille und wir haben uns angeschaut, minutenlang.

"Ist Erik dein boyfriend?" Einer der Franzosen hat mich das mal gefragt, die anderen dachten es sich. Als ich darauf antworten musste, tat ich es ohne Bedauern oder Trauer.

"Non, on est des amis."

Ich hab mich nie an dich geklammert, die meiste Zeit über warst du es, der zu mir kam, ich wollte dich nicht einengen, das haette mehr kaputt gemacht als es gebracht haette. Deine Worte.

"Weisst du noch, was du gestern zu mir gesagt hast?"

"Was meinst du?"

"Dass ich dir noch richtig wehtun werde. Ich glaube, das hab ich geschafft."

Du sagtest all diese Dinge erst, als es bereits zu spaet war, als es keinen Unterschied mehr machte, eine Stunde laenger oder weniger, was geschehen ist, ist ohnehin geschehen.

Du hast mich einmal gefragt, ob ich Gedanken lesen kann und ich frage mich immer noch, wie du darauf kamst. Vielleicht dachtest du, du kannst meine lesen. Konntest du nicht. Wir sind auf dem Gebiet wohl beide gleich schlecht.

"Nóri, du bereust du morgen." Nein, ich hab es nicht bereut, nie. Bereut habe ich etwas ganz Anderes, naemlich meine Unfaehigkeit, jemanden zurückzuweisen, der etwas von mir will, das ich ihm nicht geben will. Drei Naechte spaeter. Wusstest du, dass ich es war, da draussen mit Louis, als du die Flasche aus dem Fenster warfst, weil dir der Krach zu enorm war? Und wenn du wüsstest, warum wir dort waren, waere dir das egal?

Ein anderer Franzose sagt mir spaeter, dass er Louis beneide, um diese Nacht mit mir, ich sei so wunderschön. Wenn der nur wüsste, wenn er wüsste, wie mich das fertig gemacht hat, er würde das nicht sagen. Dieses Gefühl, etwas vollkommen Falsches zu tun, falsche Zeit, falscher Ort, falscher Typ. Das will ich nie mehr erleben.

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