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Das kleine blaue Fahrrad

Text: lapetitekuechenfee
Jeden Morgen, wenn ich mit hängendem Kopf zur Uni laufe, weil der Stress des Tages und die graue Stadt schwer auf meinem entzückenden Haupte lasten, komme ich an einem Hauseinang vorbei, in dem ein kleines blaues BMX-Rad angekettet ist. Ganz alleine steht es jeden Morgen da, wenn die ersten Autos erste Abgase in die jungfräuliche Morgenluft pusten und diejenigen, die sich einen schönen Morgen und ein Zeitungsabo gönnen, die Zeitung aus dem Briefkasten holen.

Ich hatte nie Zeit, um es ausführlich unter die Lupe zu nehmen, aber wie das nun mal so ist, wenn man schnell an etwas vorbeigeht und dieses Etwas einem ins Auge springt, sind es die Details die kleben bleiben. Und nun, BMX-Räder bleiben nun mal kleben, denn einer der Boys of LPK‘s Boys Ivy League fuhr eines und diese Szene, als er an mir vorbeiraste, ist nun mal auch kleben geblieben. Seitdem habe ich eine Affinität für entzückende BMX-Bikes.

Und jetzt dieses blaue Radl. Semesteranfang. Die Quixote-vs-Windmühlen-Versuche, die gute Laune zu halten. Schlaf aus den Augen reiben. Ans warme Bett decken. Mit nichts Bösem rechnen. Erstmal den Motor warmlaufen lassen. BMX-RAD! Keine drei Häuser von meiner Behausung entfernt. Blau, wie bereits erwähnt, die Farbe ein wenig abgeblättert, keins von diesen silberglänzenden Hi-Tek-Teilen, sondern ein roughes Bike, bei dem man so überlegt, ob der Besitzer es sich wohl in einem Anfall von kindischer Neugierde zur Kommunion gewünscht hat und nun ist es eine Leidenschaft, die ihn nicht mehr loslässt und gehört so sehr zu seiner Persönlichkeit, dass man erwartet, dass er es mindestens auf dem Bettvorleger schlafen lässt (und nachts, wenn die Mutti nicht guckt, ins Bettchen winkt).

Obwohl sehr klein, passte das Fahrrad nie ganz in den Hauseingang. Das hintere Rad linste immer kokett auf den Gehweg, so als ob es selbst im Schlaf immer ein Auge offen hat wie Leon, der Profi, um zu sehen, was vor sich geht. Nun, dann sieht es mich wohl am frühen Morgen, wie ich wie immer in Eile zur Uni stürze. Mintgrüne Nikes, tighte Jeans, schwarze Jacke, das Mädchen mit den bunten Kreolen und dem obligatorischen Schal, zumeist eine Verlegenheitsfrisur, weil die Zeit nicht gereicht hat und dazu diese Stupsnase. Gestresster Gesichtsausdruck, den Ordner schon wieder in der Hand, weil es nicht mehr gereicht hat, um ihn in den Rucksack zu stopfen.

Das blaue Rad sieht mich und freut sich und ich sehe das Rad und freue mich, denn ich bin ein Gewohnheitstier, das morgendliche Rituale liebt. Und ich liebe es, eine bestimmte Route zu laufen und dort auf Gegenstände, Menschen, whatever zu stoßen, die mich dort tagtäglich erwarten, die mir die Gewohnheit geben, die ich brauche. Deshalb liebe ich den schwarzen Hund, der im Sommer immer im geöffneten Fenster gethront und gelangweilt auf die Straße geschaut hat und ich liebe die Polizeiautos, die hier überall herumfahren, und die stinkenden Mülltonnen und den Bernhadiner namens Aladin und ja, irgendwie wäre ich traurig, wenn ich nicht ständig hässliche Penner sehen würde. Und jetzt also das blaue Fahrrad, das in seinem Hauseingang kauert und mir frech zugrinst, wenn ich angestürzt komme.

Jeden Tag rätsle ich ein bisschen weiter, wie wohl der Besitzer dieses Rads aussieht. Ob er genauso très chic wie der Boy of LPK‘s Boys Ivy League ist? Wobei der nicht wirklich hübsch war, aber er hatte das Charisma und weiße Turnschuhe istgleich er sah aus wie einer der bis in die kurzgeschorenen Haarspitzen mit Hiphop infiziert war. Er spielt nicht umsonst in der Boys Ivy League.

War der Besitzer des blauen Rads ähnlich? Hiphop from head to toes in entzückend ausgewaschenen, gut sitzenden Baggy Jeans, weiten, aber nicht zu weiten Pullovern, bemerkenswert weißen Turnschuhen und einer Ausstrahlung, die die ganze Stadt erhellen könnte?

In mir machte sich Begeisterung breit. Wie hatte ich es vermisst, dass mir in dieser Stadt endlich mal so ein Stern vor die Linse kommt! Ich plante im Kopf bereits die verrücktesten Sachen, um herauszufinden, zu wem das kleine Fahrrad gehörte („Eine wichtige Durchsage: Das kleine blaue Fahrrad möchte gerne von seinem Besitzer aus dem Kinderparadis abgeholt werden!“). Da es nur eine Querstraße weiter zu wohnen schien, blätterte ich durch meine mentalen gelben Seiten auf der Suche nach einem Teleskop, um den Hauseingang vom Dach aus beobachten zu können, herauszufinden, wann der Besitzer wohin ging und ob sich da Regelmäßigkeiten erkennen ließen. Ich würde diese Regelmäßigkeiten mit rosafarbener Dufttinte in eine Tabelle schreiben und mich an den erfassten Zeiten orientieren, um gaaaanz zufällig zu diesen Zeitpunkt noch gaaaanz dringend was vom Lidl holen zu müssen (und dabei in kurzem Röckchen, hohen Stiefeln, Kaugummi und silbernen Prollkreolen auf dem Gehsteig zwischen den Mülltonnen herumstöckeln, haha).



Nun ereignete sich, dass mir eines Tages, nachdem ich morgens wieder ein wenig mit dem blauen Bike geflirtet hatte, erschrocken eingefallen war, dass ich mal wieder zu optimistisch war, weil auch ein biertrinkender, langhaariger, semifreaky Skater mit wenig Style dahinterstecken könnte. Durch diese Erkenntnis, die meine weibliche Neugierde sehr durcheinanderbrachte, durchgeschwurbelt, wanderte ich nach einer erfrischenden Psychologievorlesung von Phil I zu Phil II mit einer Würde und Eleganz, die einer ganzen Gnuherde zu Ehre gereichte. Mein Blick klebte am Boden, um nicht aus Versehen in eine Pfütze zu fallen und weil das Gewicht der ermattenden Gedanken schwer um mein Genick hing. Plötzlich brauste eine Fahrrad an mir vorbei und aus reiner Gewohnheit hob ich den Kopf, um zu gucken, welche Kackbratze meine gnu-eske Ruhe störte.

Und Donnerlittchen! Es war das blaue BMX-Bike! Sofort schaltete ich auf Röntgenblick um und siehe da! Auch wenn alles viel zu schnell ging, um sich ein umfassendes Gesamtbild anzueignen, folgende Dinge blieben kleben: Weiße Turnschuhe, eine Camouflagenhose, weiße Ohrstöpsel, kurze, sandfarbene Haare. Definitiv nicht genug, um sich innerhalb der Uni, wo es schließlich keine Räder gibt, auf die Suche zu machen, aber genug, um zu wissen, dass die Hoffnung zuletzt stirbt. Ein erster Ansatz guten Materials in dieser Fuckstadt. Ein erster Hoffnungsschimmer - und wenn auch nur zum Amusement der Autorin, die sich wie ein Schnitzel freut, dass sie so gut darin ist, die Besitzer von Fahrrädern herauszubekommen.



Da unten seht ihr ein blaues BMX-Bike, aber ihr müsst euch das Original ein wenig verschlissener vorstellen. Schließlich hat der Boys Ivy League-Anwärter es schon seit seiner Kommunion! (Geklaut bei: http://www.profirad.de/felt-revolt-race-bike-blau-p-5783.html)


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