Aus der ehemaligen jetzt-Community: Du liest einen Nutzertext aus unserem Archiv.
Durch ein Loch in der Wand
Meine Stimme beruhigt ihn, Chris, der sich fürchtet wenn er mich nicht sehen kann. Er hat Angst, dass ich ihn in der Dunkelheit allein gelassen habe. Er kann ja nicht wissen, dass ich bloß seine Wickeltasche aus dem Kofferraum hole. Also rede ich, drauf los, alte Geheimnisse und eilte Gedanken.
Das war ein besonderer Ort für mich, als die drei Schwestern noch bei ihren Eltern gewohnt haben. Magisch. Vielleicht wärst du blond geboren, wenn ich mehr gewagt hätte als nächtelang vor ihrem Haus zu warten. Jahrelang. Blond, statt schwarz wie deine Mami
Ich schloss die Heckklappe, schlang die Tasche um und nahm den Tragekorb in die Hand.
Und du müsstest die halbe Zeit ohne Papa auskommen, weil ich immer nebenan rumhinge, in der WG.
Das Licht in der Küche brannte, durch das Fenster konnte ich erkennen, dass auch der Rest der Wohnung hell erleuchtet war. Auf dem Kühlschrank stand ein Aschenbecher, halb vol. Zu sehen war niemand.
Hoffentlich macht uns wenigstens wer auf, dachte ich mir und läutete. Der Öffner summte, ich trat in den Flur und sah Einz aus der Wohnung lugen.
Grüß Dich, meinte er und verschwand, bevor ich antworten konnte. Im Hintergrund hörte ich die Geräuschkulisse der Session. Half Life oder UT oder was auch immer im Netz gerade gespielt wurde.
Ich legte ab und ließ Jacke, Schuhe und Wickeltasche an der Garderobe. Den Flur hinunter sah ich Murat im Wohnzimmer. Er hatte seinen Rechner am üblichen Platz aufgebaut und spielte. Seine Miene war ungerührt, die Augen bewegten sich wenig. Die Finger der Linken bearbeiteten immer die gleichen vier Tasten auf dem Keyboard, die Rechte bewegte sich mit der Maus hin und her.
Ich ging den Gang hinunter zu Arndts Zimmer. Als ich ihn begrüßte, stand er sofort auf und wandte sich mir zu.
Hallo, schön dass du da bist. Setz Dich. Er wies mir einen Platz. Das ist also der lang erwartete Nachwuchs, meinte er und beugte sich zu Chris, den ich in seinem Korb auf dem Couchtisch abstellte. Arndt hielt ihm einen Finger hin und wartete, ob der Säugling danach fassen würde. Wie alt ist er jetzt?, fragte er.
Drei Monate, sieben Tage. Heilig Drei Könige geboren.
Wie viel hat er gewogen?
Fünf Pfund. Ich sah mich auf Arndts Schreibtisch um. Das übliche Durcheinander von Papier, Stiften, Büromaterialien, ein oder zwei CDs und alten Musikkassetten. Das Photo von Marlies, unberührt und verstaubt.
Arndt hatte sein Spiel in den Pausenmodus geschaltet, der Monitor lag fast reglos. Kein Ton drang aus den Lautsprechern. Ein rotes Symbol blinkte in einem Eck vor sich hin. Eine Nachricht von einem der anderen wartete darauf, dass er wieder einstieg.
Wie lang seid ihr heute schon zugange?
Noch nicht lang. Der Murat hat wieder mal lang gebraucht.
Ja? Hat er arbeiten müssen?
Keine Ahnung. Musst ihn selber fragen.
Ich bin noch gar nicht hinter gekommen. Du hast übrigens eine Nachricht.
Wo? - Da, am PC. - Ach ja. Er erweckte das Spiel mit einem Tastendruck zum Leben und rief mit einem weiteren die Botschaft auf.
Der Peter! Dass es den noch gibt!, freute er sich.
Ist der auch da?
Nein, bei sich drüben. Der Josef hat extra ein Loch in die Wand gebohrt, damit sie ein Kabel verlegen können. Mal sehen, was schreibt er denn... Bin grad aus der Arbeit zurück gekommen... na das kann ich mir auch denken. Er gab rasch zwei Zeilen Antwort über die Tastatur ein und schickte sie ab. Ich hab ihm gesagt, dass du da bist, samt Sohn, und er muss natürlich gleich schauen kommen, meinte er.
Was ist mit den anderen, seid ihr mit dem Level bald fertig?
Die werden ihre Zigarettenpause schon bald wollen. Willst du mal?
Klar, warum nicht?
Er machte seinen Platz frei, und ich setzte mich auf den Bürostuhl, suchte mir die Tasten zusammen, ließ mir zeigen wie ich Waffen wechselte, duckte, kroch, bankte, slidete und sprang. Dann verbrachte ich ein paar Minuten damit, in der simulierten Arena dumme Bots zu erschießen und von den nicht so dummen menschlichen Mitspielern erschossen zu werden.
Nach einer Weile wechselten die menschlichen Spieler alle zum gleichen Team, bis sie gemeinsam den selbsternannten Computerintelligenzen gegenüber standen. Nach drei Minuten hatten wir die Missionsziele erfüllt, und während der Server die nächste Ebene lud und das Spielfeld vorbereitete, versammelten sich die Sieger in der Küche. Sie steckten sich Zigaretten an, ich konnte das Reiben des Feuerzeugs hören.
Ich habe aufgehört. Also wartete ich zusammen mit Arndt und ließ mir seine Basteleien für Liverollenspiele zeigen.
Sieht richtig gut aus, lobte ich.
Ist die Replik eines keltischen Kurzschwerts. Dazu braucht man noch einen Rundschild, der steht unten im Keller.
Es klingelte. Ich wollte schon aufstehen und öffnen, aber Arndt kam mir zuvor. Einz war allerdings wieder als erster an der Tür. Ich konnte hören, wie er Peter kurz begrüßte.
Servus Einzi. Ich hab gehört Ihr habt hohen Besuch?
Eh?
Der Stefan mit seinem Sohn ist da, oder?
Was? Der.. ja, ja kann sein. Der ist hinten, beim Arndt.
Dacht ich mir schon, meinte Peter. Ich ging ihn zu begrüßen. Er trug wie üblich eine seiner Wollwesten, dazu Jeans und ein weißes Hemd. Sein Haarschnitt schien nicht älter zu sein als eine Woche, und er war frisch rasiert. Ich hielt ihm die Hand hin, die er mit dünnen Fingern schüttelte.
Na wo ist denn der Stammhalter?
Gleich hier. Ich führte ihn stolz zu Chris, der in seinem Korb inzwischen eingeschlafen war. Peter betrachtete ihn ein paar Sekunden und flüsterte Jetzt wirst du alt. Als nächstes kriegst du graue Haare.
Ich nehme eh schon eine Tönung.
Kann ich Euch was anbieten? Mögt ihr was trinken, unterbrach unser Gastgeber. Er war auf halbem Weg in die Küche.
Wir lehnten ab, aber er ging trotzdem. Er lästerte kurz über die dicke Luft und den Stau vor dem Kühlschrank.
Weil du auch jetzt unbedingt was zu trinken brauchst, konterte Josef.
Wenn ich Besuch hab! Ihr habt euch den Stammhalter noch gar nicht angeschaut.
Ja gleich. Erst noch in Ruhe fertig rauchen, hörte ich Murat antworten, und Einz fügt hinzu: Immer diese Hektik.
Was macht denn die Christine heute Abend?, fragte mich Peter.
Die? Ich zögerte einen Augenblick. Sie ist bei Yoga. Ich war in Gedanken überall, nur nicht bei ihren Terminen. Weil ich bei meinem Vater war, habe ich Arndt angerufen, ob er Zeit hat. War ja klar, dass heute alle da sind.
Ich setz mich Samstags lieber mit einem guten Buch vor den Plattenspieler, meinte Peter. Aber die Gelegenheit konnte ich mir nicht entgehen lassen.
In diesem Augenblick hörte ich, wie die Jungs in der Küche ihre Flaschen in die Hand nahmen und Arndt in seine Leseecke folgten. Sie bauten sich um Chris herum auf, und ich drehte den Korb in ihre Richtung, so dass alle einen Blick auf ihn werfen konnten. Er nahm die Menagerie sehr gelassen auf, Arndt mit Pferdeschwanz und Kinnbart, Einz, der sein Zwilling hätte sein können, wäre das Gesicht nicht hager und die Haut bleich wie eine Wand. Die Totenkopffratze auf seinem schwarzen T-Shirt schreckte meinen Sohn nicht, auch die Mangas auf Josefs Kimono interessierten ihn wenig. Ich glaube er weiß noch gar nicht, was ein Bild ist.
Die beiden hatten ihre Zigaretten zuvorkommenderweise in der Küche gelassen, Murat stand qualmend in der hinteren Reihe und grinste. Er drängelte ein wenig, denn neben ihm nahm der Wanst des Marschalls fast den ganzen freien Platz weg. Er wirkte wie ein Karpfen in der Auslage der der Feinkostabteilung, stumm mit großen Augen, runden Backen und vollen Lippen. Immer wenn er sich mit Arndt stritt, übertönten die beiden sogar die quadrophonischen Lautsprecherboxen, die im Wohnzimmer unter Decke hingen. Ein Choleriker und ein Sanguiniker wie Arndt, der jede Woche eine andere Idee mit Eifer verfolgte. Er produziert abwechselnd fantastische Sachen und ewig unvollendete.
Sauberes Stück Arbeit, brach der Marschall das Schweigen.
Bei dem von meiner Schwester hat es nicht so viele Haare gehabt, ergänzte Josef.
Bei dir auch nicht, feixte Peter.
Du musst reden.
Murat beugte sich zu Chris hinter und versuchte seine Aufmerksamkeit zu erregen. Hallo. Hallo, alberte er und winkte. Einz musste einen Schritt nach hinten nehmen, um Platz zu machen. Er wandte sich ab und ging, wortlos. Der Marschall sah ihm hinterher.
Machst du jetzt schon weiter? He!
Lass ihn halt, meinte Arndt.
Kuturbolschewist, kommentierte Peter.
Bleibst du noch eine Weile?, fragte der Marschall, mit einem Bein schon wieder auf dem Flur.
Eine Viertelstunde. Er muss ins Bett, antwortete ich. Aber ich komm vorher noch mal rüber.
Alles klar. Dann bis gleich.
Du bist jetzt wahrscheinlich ganz schön eingespannt, meinte Murat. Meinst du, wir schaffen es mal ein Bierchen zusammen zu trinken?
Wenn es halt bei mir geht. Das kann ich nie so genau sagen.
Wenn die Christl Yoga machen darf, dann darfst du auch...,
Yoga in der Kneipe?, schlug Peter vor.
Meditieren am Tresen. Ein Zen-Bier, ergänzte Arndt.
Vielleicht sollten wir einen spirituellen Stammtisch aufmachen, schlug ich vor. Auf dem Flur begann der Soundtrack des Spiels, rasche Schritte, schließlich die ersten Schüsse. Josef wedelte mit seinem Zigarettenrest, drückte ihn am Rand seiner leeren Flasche aus und warf die Kippe hinein. Machen wir blaues oder rotes Team?
Was sind denn die anderen?, fragte Arndt.
Ich schau mal. Er ging in sein Zimmer.
Willst du auch noch mal?, bot mir Arndt an.
Vielleicht sollten wir uns besser auf den Weg machen. Um acht sollte er normalerweise schon im Bett sein.
Dann ist er heute ja schon ganz schön lange unterwegs.
Die erste durchzechte Nacht mit Kumpels, fiel Peter ein.
Hmm. Damit warten wir besser noch eine Weile. Ich griff nach dem Sicherheitsgurt, um Chris wieder tragefertig zu machen, und fischte seinen Schnuller unter seinem Hintern heraus. Er akzeptierte ihn sofort.
Was ist mit dir, fragte Arndt Peter. Bleibst du noch, magst du mitspielen?
Lieber von meinem eigenen Rechner aus, dann können wir beide.
Blöd, dass der bei dir drüben steht. Ich ratsch so gern. Willst du ihn nicht herholen? Platz gibt es genug.
Zu viel Arbeit. Ich hab ihn frisch mit dem Video und der Anlage verkabelt.
Und zu dir rüber kann ich nicht mit meiner Kiste, weil der Josef nur ein einzelnes Kabel verlegt hat.
Na dann, bedauerte Peter. Ich ließ sie alleine, um mich von den anderen zu verabschieden, steckte den Kopf in Josefs cartoonverhangenes Zimmer und warf einen Blick in Einz staubige Höhle. Das Licht des Monitors gab seinem Gesicht ein wenig Farbe, vom Aschenbecher stieg eine dünne Rauchsäule auf und tanze im Windhauch des Lüfters. Er sah nicht hoch, als ich ihm viel Spaß wünschte.
Ich grüßte einmal kollektiv ins Wohnzimmer, wo die grauen Quader der Rechner reihum auf dem Tisch standen wie ein silikonenes Stonehenge, Murat und der Marschall die digitalen Druiden.
Chris meckerte und ich eilte zurück. Peter schlüpfte gerade in seine Schuhe, und Arndt begleitete mich mit dem Korb zur Tür, um uns alle drei zu verabschieden.
Spielt noch schön, wünschte ich ihnen zum Abschied.
Lass dich mal wieder blicken.
Ich gab Arndt die Hand, dann hielt Peter die Haustür auf und trug mir die Wickeltasche zum Auto.
Du verpasst nichts, meinte er mit einem Blick in mein Gesicht und drückte mich zum Abschied.
Als ich den Wagen anließ und wendete, strich das Scheinwerferlicht über das Haus der drei Schwestern, alle Fenster dunkel und leer. Ob man ein Kabel unter der Straße verlegen könnte, wenn mein Sohn blonde Haare hätte?

Das war ein besonderer Ort für mich, als die drei Schwestern noch bei ihren Eltern gewohnt haben. Magisch. Vielleicht wärst du blond geboren, wenn ich mehr gewagt hätte als nächtelang vor ihrem Haus zu warten. Jahrelang. Blond, statt schwarz wie deine Mami
Ich schloss die Heckklappe, schlang die Tasche um und nahm den Tragekorb in die Hand.
Und du müsstest die halbe Zeit ohne Papa auskommen, weil ich immer nebenan rumhinge, in der WG.
Das Licht in der Küche brannte, durch das Fenster konnte ich erkennen, dass auch der Rest der Wohnung hell erleuchtet war. Auf dem Kühlschrank stand ein Aschenbecher, halb vol. Zu sehen war niemand.
Hoffentlich macht uns wenigstens wer auf, dachte ich mir und läutete. Der Öffner summte, ich trat in den Flur und sah Einz aus der Wohnung lugen.
Grüß Dich, meinte er und verschwand, bevor ich antworten konnte. Im Hintergrund hörte ich die Geräuschkulisse der Session. Half Life oder UT oder was auch immer im Netz gerade gespielt wurde.
Ich legte ab und ließ Jacke, Schuhe und Wickeltasche an der Garderobe. Den Flur hinunter sah ich Murat im Wohnzimmer. Er hatte seinen Rechner am üblichen Platz aufgebaut und spielte. Seine Miene war ungerührt, die Augen bewegten sich wenig. Die Finger der Linken bearbeiteten immer die gleichen vier Tasten auf dem Keyboard, die Rechte bewegte sich mit der Maus hin und her.
Ich ging den Gang hinunter zu Arndts Zimmer. Als ich ihn begrüßte, stand er sofort auf und wandte sich mir zu.
Hallo, schön dass du da bist. Setz Dich. Er wies mir einen Platz. Das ist also der lang erwartete Nachwuchs, meinte er und beugte sich zu Chris, den ich in seinem Korb auf dem Couchtisch abstellte. Arndt hielt ihm einen Finger hin und wartete, ob der Säugling danach fassen würde. Wie alt ist er jetzt?, fragte er.
Drei Monate, sieben Tage. Heilig Drei Könige geboren.
Wie viel hat er gewogen?
Fünf Pfund. Ich sah mich auf Arndts Schreibtisch um. Das übliche Durcheinander von Papier, Stiften, Büromaterialien, ein oder zwei CDs und alten Musikkassetten. Das Photo von Marlies, unberührt und verstaubt.
Arndt hatte sein Spiel in den Pausenmodus geschaltet, der Monitor lag fast reglos. Kein Ton drang aus den Lautsprechern. Ein rotes Symbol blinkte in einem Eck vor sich hin. Eine Nachricht von einem der anderen wartete darauf, dass er wieder einstieg.
Wie lang seid ihr heute schon zugange?
Noch nicht lang. Der Murat hat wieder mal lang gebraucht.
Ja? Hat er arbeiten müssen?
Keine Ahnung. Musst ihn selber fragen.
Ich bin noch gar nicht hinter gekommen. Du hast übrigens eine Nachricht.
Wo? - Da, am PC. - Ach ja. Er erweckte das Spiel mit einem Tastendruck zum Leben und rief mit einem weiteren die Botschaft auf.
Der Peter! Dass es den noch gibt!, freute er sich.
Ist der auch da?
Nein, bei sich drüben. Der Josef hat extra ein Loch in die Wand gebohrt, damit sie ein Kabel verlegen können. Mal sehen, was schreibt er denn... Bin grad aus der Arbeit zurück gekommen... na das kann ich mir auch denken. Er gab rasch zwei Zeilen Antwort über die Tastatur ein und schickte sie ab. Ich hab ihm gesagt, dass du da bist, samt Sohn, und er muss natürlich gleich schauen kommen, meinte er.
Was ist mit den anderen, seid ihr mit dem Level bald fertig?
Die werden ihre Zigarettenpause schon bald wollen. Willst du mal?
Klar, warum nicht?
Er machte seinen Platz frei, und ich setzte mich auf den Bürostuhl, suchte mir die Tasten zusammen, ließ mir zeigen wie ich Waffen wechselte, duckte, kroch, bankte, slidete und sprang. Dann verbrachte ich ein paar Minuten damit, in der simulierten Arena dumme Bots zu erschießen und von den nicht so dummen menschlichen Mitspielern erschossen zu werden.
Nach einer Weile wechselten die menschlichen Spieler alle zum gleichen Team, bis sie gemeinsam den selbsternannten Computerintelligenzen gegenüber standen. Nach drei Minuten hatten wir die Missionsziele erfüllt, und während der Server die nächste Ebene lud und das Spielfeld vorbereitete, versammelten sich die Sieger in der Küche. Sie steckten sich Zigaretten an, ich konnte das Reiben des Feuerzeugs hören.
Ich habe aufgehört. Also wartete ich zusammen mit Arndt und ließ mir seine Basteleien für Liverollenspiele zeigen.
Sieht richtig gut aus, lobte ich.
Ist die Replik eines keltischen Kurzschwerts. Dazu braucht man noch einen Rundschild, der steht unten im Keller.
Es klingelte. Ich wollte schon aufstehen und öffnen, aber Arndt kam mir zuvor. Einz war allerdings wieder als erster an der Tür. Ich konnte hören, wie er Peter kurz begrüßte.
Servus Einzi. Ich hab gehört Ihr habt hohen Besuch?
Eh?
Der Stefan mit seinem Sohn ist da, oder?
Was? Der.. ja, ja kann sein. Der ist hinten, beim Arndt.
Dacht ich mir schon, meinte Peter. Ich ging ihn zu begrüßen. Er trug wie üblich eine seiner Wollwesten, dazu Jeans und ein weißes Hemd. Sein Haarschnitt schien nicht älter zu sein als eine Woche, und er war frisch rasiert. Ich hielt ihm die Hand hin, die er mit dünnen Fingern schüttelte.
Na wo ist denn der Stammhalter?
Gleich hier. Ich führte ihn stolz zu Chris, der in seinem Korb inzwischen eingeschlafen war. Peter betrachtete ihn ein paar Sekunden und flüsterte Jetzt wirst du alt. Als nächstes kriegst du graue Haare.
Ich nehme eh schon eine Tönung.
Kann ich Euch was anbieten? Mögt ihr was trinken, unterbrach unser Gastgeber. Er war auf halbem Weg in die Küche.
Wir lehnten ab, aber er ging trotzdem. Er lästerte kurz über die dicke Luft und den Stau vor dem Kühlschrank.
Weil du auch jetzt unbedingt was zu trinken brauchst, konterte Josef.
Wenn ich Besuch hab! Ihr habt euch den Stammhalter noch gar nicht angeschaut.
Ja gleich. Erst noch in Ruhe fertig rauchen, hörte ich Murat antworten, und Einz fügt hinzu: Immer diese Hektik.
Was macht denn die Christine heute Abend?, fragte mich Peter.
Die? Ich zögerte einen Augenblick. Sie ist bei Yoga. Ich war in Gedanken überall, nur nicht bei ihren Terminen. Weil ich bei meinem Vater war, habe ich Arndt angerufen, ob er Zeit hat. War ja klar, dass heute alle da sind.
Ich setz mich Samstags lieber mit einem guten Buch vor den Plattenspieler, meinte Peter. Aber die Gelegenheit konnte ich mir nicht entgehen lassen.
In diesem Augenblick hörte ich, wie die Jungs in der Küche ihre Flaschen in die Hand nahmen und Arndt in seine Leseecke folgten. Sie bauten sich um Chris herum auf, und ich drehte den Korb in ihre Richtung, so dass alle einen Blick auf ihn werfen konnten. Er nahm die Menagerie sehr gelassen auf, Arndt mit Pferdeschwanz und Kinnbart, Einz, der sein Zwilling hätte sein können, wäre das Gesicht nicht hager und die Haut bleich wie eine Wand. Die Totenkopffratze auf seinem schwarzen T-Shirt schreckte meinen Sohn nicht, auch die Mangas auf Josefs Kimono interessierten ihn wenig. Ich glaube er weiß noch gar nicht, was ein Bild ist.
Die beiden hatten ihre Zigaretten zuvorkommenderweise in der Küche gelassen, Murat stand qualmend in der hinteren Reihe und grinste. Er drängelte ein wenig, denn neben ihm nahm der Wanst des Marschalls fast den ganzen freien Platz weg. Er wirkte wie ein Karpfen in der Auslage der der Feinkostabteilung, stumm mit großen Augen, runden Backen und vollen Lippen. Immer wenn er sich mit Arndt stritt, übertönten die beiden sogar die quadrophonischen Lautsprecherboxen, die im Wohnzimmer unter Decke hingen. Ein Choleriker und ein Sanguiniker wie Arndt, der jede Woche eine andere Idee mit Eifer verfolgte. Er produziert abwechselnd fantastische Sachen und ewig unvollendete.
Sauberes Stück Arbeit, brach der Marschall das Schweigen.
Bei dem von meiner Schwester hat es nicht so viele Haare gehabt, ergänzte Josef.
Bei dir auch nicht, feixte Peter.
Du musst reden.
Murat beugte sich zu Chris hinter und versuchte seine Aufmerksamkeit zu erregen. Hallo. Hallo, alberte er und winkte. Einz musste einen Schritt nach hinten nehmen, um Platz zu machen. Er wandte sich ab und ging, wortlos. Der Marschall sah ihm hinterher.
Machst du jetzt schon weiter? He!
Lass ihn halt, meinte Arndt.
Kuturbolschewist, kommentierte Peter.
Bleibst du noch eine Weile?, fragte der Marschall, mit einem Bein schon wieder auf dem Flur.
Eine Viertelstunde. Er muss ins Bett, antwortete ich. Aber ich komm vorher noch mal rüber.
Alles klar. Dann bis gleich.
Du bist jetzt wahrscheinlich ganz schön eingespannt, meinte Murat. Meinst du, wir schaffen es mal ein Bierchen zusammen zu trinken?
Wenn es halt bei mir geht. Das kann ich nie so genau sagen.
Wenn die Christl Yoga machen darf, dann darfst du auch...,
Yoga in der Kneipe?, schlug Peter vor.
Meditieren am Tresen. Ein Zen-Bier, ergänzte Arndt.
Vielleicht sollten wir einen spirituellen Stammtisch aufmachen, schlug ich vor. Auf dem Flur begann der Soundtrack des Spiels, rasche Schritte, schließlich die ersten Schüsse. Josef wedelte mit seinem Zigarettenrest, drückte ihn am Rand seiner leeren Flasche aus und warf die Kippe hinein. Machen wir blaues oder rotes Team?
Was sind denn die anderen?, fragte Arndt.
Ich schau mal. Er ging in sein Zimmer.
Willst du auch noch mal?, bot mir Arndt an.
Vielleicht sollten wir uns besser auf den Weg machen. Um acht sollte er normalerweise schon im Bett sein.
Dann ist er heute ja schon ganz schön lange unterwegs.
Die erste durchzechte Nacht mit Kumpels, fiel Peter ein.
Hmm. Damit warten wir besser noch eine Weile. Ich griff nach dem Sicherheitsgurt, um Chris wieder tragefertig zu machen, und fischte seinen Schnuller unter seinem Hintern heraus. Er akzeptierte ihn sofort.
Was ist mit dir, fragte Arndt Peter. Bleibst du noch, magst du mitspielen?
Lieber von meinem eigenen Rechner aus, dann können wir beide.
Blöd, dass der bei dir drüben steht. Ich ratsch so gern. Willst du ihn nicht herholen? Platz gibt es genug.
Zu viel Arbeit. Ich hab ihn frisch mit dem Video und der Anlage verkabelt.
Und zu dir rüber kann ich nicht mit meiner Kiste, weil der Josef nur ein einzelnes Kabel verlegt hat.
Na dann, bedauerte Peter. Ich ließ sie alleine, um mich von den anderen zu verabschieden, steckte den Kopf in Josefs cartoonverhangenes Zimmer und warf einen Blick in Einz staubige Höhle. Das Licht des Monitors gab seinem Gesicht ein wenig Farbe, vom Aschenbecher stieg eine dünne Rauchsäule auf und tanze im Windhauch des Lüfters. Er sah nicht hoch, als ich ihm viel Spaß wünschte.
Ich grüßte einmal kollektiv ins Wohnzimmer, wo die grauen Quader der Rechner reihum auf dem Tisch standen wie ein silikonenes Stonehenge, Murat und der Marschall die digitalen Druiden.
Chris meckerte und ich eilte zurück. Peter schlüpfte gerade in seine Schuhe, und Arndt begleitete mich mit dem Korb zur Tür, um uns alle drei zu verabschieden.
Spielt noch schön, wünschte ich ihnen zum Abschied.
Lass dich mal wieder blicken.
Ich gab Arndt die Hand, dann hielt Peter die Haustür auf und trug mir die Wickeltasche zum Auto.
Du verpasst nichts, meinte er mit einem Blick in mein Gesicht und drückte mich zum Abschied.
Als ich den Wagen anließ und wendete, strich das Scheinwerferlicht über das Haus der drei Schwestern, alle Fenster dunkel und leer. Ob man ein Kabel unter der Straße verlegen könnte, wenn mein Sohn blonde Haare hätte?
