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Schneewittchen-Syndrom

Text: franziska-linkerhand
Auf dem Weg zur Bushaltestelle liegt ein roter Apfel auf der Straße. Ein geradezu absurd roter Apfel, wie verrückt glänzend, poliert.

Er scheint die Farbigkeit der gesamten Umgebung in sich aufgesaugt zu haben. Die Straße, die Häuser, der Himmel nämlich sind grau. Das Kopfschmerzwetter hält vorerst an. An der Bushaltestelle staune ich noch immer, mit welch disziplinierter Geduld die Menschen auf den Bus warten, der hier nie pünktlich fährt. Meist kommt er einige Minuten zu früh, man sieht ihn dann vorbeifahren, kurz bevor man die entscheidende Straßenecke erreicht hat, von der aus man sich dem Fahrer bemerkbar machen könnte. Trotzdem, Geduld. Dieser Stadtteil liegt in einem anderen Land. Ein Babylon mit vielen Nischen.

Der S-Bahnhof, Endstation. Wie ein einziger Körper schiebt sich die Menschenmasse aus dem Bus heraus, hinauf auf den Bahnsteig. Die S-Bahn steht, wie immer, zum Abfahren bereit. Mit sicherem Instinkt entscheidet der Massenkörper in Sekunden, ob sich ein Sprint lohnt oder nicht. Meist lohnt er nicht.

Das Büro ist leer, auch nach Stunden noch, ich scheine heute die einzige zu sein, die hier arbeitet. Wenn man stundenlanges, gequältes Auf-den-Bildschirm-Starren so bezeichnen möchte. Es gelingt mir nicht, die abstrakte Masse an Arbeit, die sich von Minute zu Minute noch mehr aufbläht, in irgendetwas Konkretes, etwas Tu-bares, zu zerschneiden. Kleine Häppchen an Arbeit, die ich auch mit Kopfschmerzen konsumieren könnte. Die Fenster weit geöffnet, die Luft jedoch eine zähe Masse, von meiner Lunge als Fremdkörper klassifiziert und nur widerwilig weiterverarbeitet. Drohende Atemverweigerung. Dann ein winziger Lufthauch, der sich mächtig aufspielt, die Tür knallen lässt und einen Stapel Papier auf dem Boden verteilt. Endlich etwas zu tun.

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