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Rote Pullis, weiße Masken: Wer sind "die Überflüssigen"?

Diese Woche tauchten sie vor dem Prozess gegen Peter Hartz auf: die Aktivisten, die sich die Bezeichnung "Die Überflüssigen" gegeben haben. Sie protestierten stumm gegen Peter Hartz, weil er ihrer Meinung nach für ein "soziales Entrechtungsprogramm" steht. Was ist das für eine Gruppe, die immer wieder in den Medien auftaucht und auf die auch der Berliner Verfassungsschutz schon ein Auge geworfen hat?
Text: simon-poelchau
Am Mittwoch stand Peter Hartz vor Gericht. Der ehemalige VW-Personalvorstand und Namensgeber der Arbeitsmarktreformen musste sich wegen der Veruntreuung von 2,6 Millionen Euro und der Bestechung des Betriebsrats rechtfertigen. Begleitet wurde sein Auftritt mit Protest. Eine Gruppe von Demonstranten schaffte es, besonders oft in das Blickfeld der Kameras zu kommen. Etwa acht bis zehn Menschen trugen weiße Masken und rote Kapuzenpullis. Auf ihren Rücken konnte man „die Überflüssigen“ lesen.



Bunter Haufen



„Wir treten gegen soziales Unrecht und die herrschende Ordnung auf“ erzählt ein 34-Jähriger Überflüssigen-Aktivist aus Braunschweig im Gespräch mit jetzt.de. Die Aktivisten, sagt er, sind „ein bunter Haufen von Menschen, die aus Sozialprotestinitiativen oder autonomen Zusammenhängen kommt.“







Die Überflüssigen und Peter Hartz.



Der Name wurde gewählt, weil die Aktivisten für die Menschen stehen wollen, die durch das kapitalistische Wirtschaftssystem überflüssig gemacht werden. Weil die Opfer des Kapitalismus namenlos bleiben, wollen auch die Personen, die hinter den Überflüssigen stehen anonym bleiben, erzählt unser Gesprächspartner. Aus diesem Grund tragen sie auch die weißen Masken.



Jeder Mensch kann ein Überflüssiger sein



Mit ihren Aktionen, so der Braunschweiger, soll gezeigt werden, „dass es auch für sozial Benachteiligte möglich ist, seine Stimme zu erheben und die ganzen Ungerechtigkeiten anzuprangern", ergänzt er. Als Vorbild für die Aktionen diene den Überflüssigen die soziale Bewegung der „Tutti Bianci“ aus Italien, die Ende der Neunziger Jahre mit weißen Overalls und kreativen Aktionen auf Demonstrationen aufgetreten sind. Dabei verstehen sich die Überflüssigen aber nicht als feste Gruppe. „Jeder Mensch kann ein Überflüssiger sein“, sagt der 34-Jährige. Zum Mitmachen genüge es, sich weiße Masken zu besorgen und mit kreativen Aktionen in die Öffentlichkeit zu treten.



Das erste Mal traten die Überflüssigen in Berlin auf. Im Oktober 2004 besetzten sie die Bundeszentrale der Arbeiterwohlfahrt (AWO), um gegen die damals noch bevorstehende Einführung von Ein-Euro-Jobs zu protestieren. Die AWO hatten sie dafür ausgesucht, weil der Verband bei sich Ein-Euro-Jobs schaffen wollte. Für die Überflüssigen sind diese Jobs eine moderne Form der Zwangsarbeit. Seitdem haben sie viele andere Aktionen gemacht, um Missstände in der Gesellschaft und Politik anzuprangern. Schwerpunkt: der Sozialprotest, mit dem auf die Kluft zwischen Arm und Reich aufmerksam gemacht werden soll. So haben Überflüssige in Berlin und Hamburg auch schon mal Nobelrestaurants besucht und sich an den Buffets und den Tellern der regulären Gäste bedient.



Sie verleihen Preise



„Mit solchen Aktionen wollen wir zeigen, dass auch wir Hunger haben. Wir können uns aber von unseren 345 Euro Hartz IV so ein nobles Abendessen von 120 Euro nicht leisten“, kommentiert der Braunschweiger.



Eine weitere Spezialität der Überflüssigen ist die "Verleihung von Preisen". Im November 2005 platzten die Überflüssigen in die Preisverleihung des „Reformer des Jahres“ von der „Initiative neue soziale Marktwirtschaft“. Ihrerseits verliehen sie der INSM vor laufender Kamera den Preis für die „teuerste, dreisteste und dümmste Propaganda des Jahres“. In einem Konfettiregen übereichten sie den Anwesenden zwei Plastiktüten von Aldi und Lidl, die mit Berliner Herbstlaub und Sand gefüllt waren. Ein Sprecher der Überflüssigen sagte dazu, dass der Sand dazu genützt werden könne, der Bevölkerung "Sand in die Augen" zu streuen.



Einen weiteren Preis der Überflüssigen erhielt der Unternehmensberater Roland Berger. Die Überflüssigen veranstalteten am 14. Dezember 2006 eine Party in Roland Bergers Zentrale in Düsseldorf. Sie kürten ihn zum „Ausbeuter des Jahres.“



Im Auge des Verfassungsschutzes



Die Aktivitäten der Überflüssigen klingen nach harmlosem Witzprotest, dabei hat sie der Berliner Verfassungsschutz im Auge. Für die Berliner Behörde sind die Überflüssigen eine Kampagne des Netzwerkes „Act!“.



„Act!“ setzt sich aus den autonomen Polit-Gruppen „Antifaschistische Linke Berlin“ (ALB), „Für eine linke Strömung“(Fels), „Autopool“ und „Subversion International“ (SI), die der Verfassungsschutz als linksextremistisch einschätzt. Nach der ersten Überflüssigen-Aktion, der Besetzung der AWO-Zentrale, erhielten rund 25 Personen eine Anzeige wegen Hausfriedenbruch.



Fotos: dpa, ap

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