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The Last Rockstars

Text: schlupu
Vor kurzem war ich auf meiner Uniparty. Und wurde das Gefühl nicht los, eines der letzten Exemplare einer aussterbenden Art zu sein.



Komm, das eine Mal noch, wahrscheinlich das letzte Mal, denke ich mir, als ich mich entschied, für 1,50 Euro einen kleinen Papierschnipsel zu erwerben. Auf den Eintrittskarten hatte sich die Fachschaft wie immer kreativ ausgetobt, diesmal an einer Persiflage der Bildzeitungswerbung: „Jede Wahrheit braucht einen Mutigen, der sie ausspricht.“ Darunter Angela Merkels Mundwinkel und die Sprechblase: „Das Bier hat nur 1,50 gekostet und ich hab keine Ahnung mehr, wie ich nach Hause kam.“



Meine Wahrheit ist: Ich bin seit 13 Semestern Studentin und - wenn alles gut geht - noch genau 19 Tage. Die Publiparty war die ganzen Jahre ein Pflichttermin für mich. Umso mehr als ich auf einer Party vor ein paar Semestern besoffen genug war, um mich hemmungslos an den Kommilitonen ranzuschmeißen, der seitdem mein Herzallerliebster ist – wir haben also quasi Jubiläum. Außerdem habe ich auf den Publipartys zum ersten Mal beim Rauchen inhaliert, angeschickert mit meinem Professor über seine Kollegen gelästert und mich immer wieder darüber gefreut, dass das Fach Publizistik schnittige Typen anzieht.



Mehr als genug Gründe also, um auch dieses Mal wieder ins verranzte Studihaus zu pilgern. Der Rauch brannte mir in den Augen, sobald ich den Raum betrat. Deichkind schrieen ihr „Yippieh Yippieh Yeah“ aus den Boxen. Und zum Trinken gab es immer noch nichts Vernünftiges. Also bestellte ich Sekt im Plastikbecher bei der aufgeschneckten Barfrau und versuchte, mit meinem Blick nicht ihrem goldenen Kettenanhänger in ihr monströses Dekollete zu folgen. Früher waren die Typen an der Bar verasselte Bartträger im 24. Semester gewesen. Aber die waren nicht mehr da, irgendwie.



Auch die schnittigen Typen nicht mehr. Stattdessen füllte sich die Tanzfläche mit Mädchen, die doch gerade erst aufs Gymnasium gekommen sind, als ich Abi gemacht habe und Bübchen, die noch nicht mal Stoppeln im Gesicht haben. Ich und die paar übrig gebliebenen Kommilitonen, mit denen ich dort war, wir standen eine Weile fassungslos am Tanzflächenrand. Früher, da kannten wir hier jeden, und oft besser, als uns lieb war. Heute? Höchstens vereinzelte Nasen hatte ich schon mal irgendwo gesehen.



Na gut, das ist der Lauf der Zeit. Time to say goodbye. Los, ein letztes Mal das Studihaus rocken! Dachte ich mir, und holte mir bei der goldigen Busenlady einen zweiten Becher Sekt. Während ich mir das gruselige Rotkäppchen-Gebräu durch die Kehle rinnen ließ, ließ ich meinen Blick nach oben zum DJ-Pult schweifen, in der Hoffnung, wenigstens dort einen der üblichen Verdächtigen zu sehen. Doch auch da stand statt der alten Garde ein putziger kleiner Snowboarder, den ich sogar schon mal gesehen hatte, als ich im achten Semester einen verbummelten Grundstudiumsschein nachgeholt habe.



Nach Deichkind legte er die Red Hot Chilli Peppers auf, dann Mando Diao, irgendwann die Killers. Zumindest die Musik hat sich nicht geändert, dachte ich, als ich glücklich durch die zertretenen Plastikbecher hüpfte und … erschrocken starrte ich der Gruppe Milchbubis neben mir auf die Füße. Weiße Slipper! Jeans in den Socken! Bleistiftdünne Koteletten! Solche Prolls haben doch früher nicht Publizistik studiert. Dieses Urteil verschärfte sich, als ich einen sah, dem fast der Arsch aus der Hose fiel und mehrere Schicksen, die sichtlich Probleme hatten, mit ihren spitzen Pumps unfallfrei durch die Bierlachen zu kommen. Kurz danach passte sich die Musik dem Publikum an. Latin Grooves und HipHop, Shake-Your-Ass und NtzNtzNtz.



Überhaupt keine Lust mehr zu tanzen und zu trinken. Wir analysierten das Geschehen wie ein sozialwissenschaftliches Experiment. Wo sind sie hin, all diese, meine Leute, Leute, die diverse Dinge auf Magister studiert haben, die über ihren Tellerrand geguckt haben, meistens Journalisten werden wollten und neugierig auf die Welt waren. Was hier zu Shakira und Beyonce über die Tanzfläche gurkte, sah mehr aus wie eine ausgerissene Horde angepasster BWLer im Grundstudium.



Aber nein. Es waren “Bachelor of Arts Candidates”. Bemitleidenswerte Studenten, die Credit Points sammeln müssen, Studiengebühren zahlen müssen und exmatrikuliert werden, wenn sie Grundstudiumsscheine verbummeln. Eine karrierebewusste Gruppe, die von der Uni im Schnellverfahren Employability verpasst kriegt, ohne die Chance, mal ein Jahr lang das Falsche zu studieren, mal freiwillige Vorlesungen zu besuchen und ohne genügend Zeit, bei Campus TV, Studentenzeitung oder Online-Communities die eigene Begabung zu testen. Das 13. Semester darf und wird diese Spezies nicht erleben, denn Regelstudienzeit sind sechs Semester, nach neun sind sie raus. Ab 2010 darf es nur noch Bachelor und Master geben, die meisten Unis haben jetzt schon umgestellt. Ich werde (so Gott will) in 19 Tagen meinen Magister Artium haben. Damit bin ich eine der letzten meiner Art – doch Gott sei Dank in hervorragender Gesellschaft. Magisterstudenten – The Last Rockstars.



Die Publi-Party haben wir schon um zwei Uhr verlassen. Ich war nüchtern genug, um mit dem Auto nach Hause zu fahren, habe an dem Abend weder Zigaretten geraucht, noch die falschen Männer geküsst, noch mich vor meinem Professor blamiert. Die Zeiten ändern sich. Time to say goodbye.

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