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Das Labyrinth der Straßen
Kalt ist der Abendhauch (Teil 2.)
Das Taxi schnell wie ein Fluchtwagen - schwärmt vorbei an Buschwerk und Passanten, die unter Tüten schillernder Warenhäuser versteckt über den Bordstein flanieren. Eine Minderheit agiler Senioren tummelt sich im Strudel der nie stillstehenden Städter. Das grau toupierte Haar der Damen sticht heraus. Sie führen ihre Enkelkinder aus, oder ihren Hund. Und ihre Schatten ziehen schnellen Schrittes nach.
Dem unruhig atmenden Oskar Braun missfällt das Getöse aus dem Radio des Taxis, doch würde er nicht einen Gedanken daran verschwenden, das Bild eines nörgelnden und weltfremden Kauzes ohne Anstand abzugeben. Er hält einen finsteren Blick aus dem Fenster für angemessen. Reklametafeln stehen außen. Die Schaufenster preisen Frühlingsware an und reflektieren flüchtig das Gelb des fliegenden Taxis. Oskar fragt sich, ob irgendein Zebrastreifen der Stadt mächtig genug sei, das Automobil zur Kapitulation zu zwingen, wie es so ungeduldig zwischen Brückenpfeilern hindurch nach Süden rollt.
Der Wagen rastet vor einem Fischladen. Die Fassade ist mit blauen Mosaiksteinen garniert, davor steht ein unnatürlich großer Hummer und winkt mit seinen Scheren. Oskar verlässt das Gefährt, etwas schwach und schwer ums Herz. Der Taxifahrer wird von Oskar entlohnt - kein Trinkgeld. Man muss seinen Prinzipien doch treu bleiben, denkt Oskar und schmunzelt unmerklich. Schönen Tag noch, meint der junge Taxifahrer, ohne seinen Fahrgast anzusehen. Schönen Tag, entgegnet Oskar, dessen Worte tiefer als gewöhnlich klingen, wenn sein Gegenüber ein Fremder ist.
Die Sonne am Himmel hat ihren Zenit bereits überschritten, doch hat Oskar noch etwas Zeit um Ruhe zu finden. Der Friedhof ist nicht weit. Ein imposanter Backsteinturm überragt die kleine Siedlung. Die Tauben nutzen ihn als Rastplatz im Himmel. Es ist der Schlot des Krematoriums, dessen Schatten verschluckt wird von den metallischen Schluchten des Industriegebietes dahinter. Leipzig, denkt Oskar und folgt mit seinen grünen Augen dem Verlauf der breiten Straße. Aus der Luft, da muss sie aussehen wie ein unendliches Kreuzworträtsel, diese Stadt. Die Windungen der Straßen, das Ende jeder Sackgasse, die rostigen Spitzen der Kirchen, die Dächer der Bauten aus Glas. Doch lässt sich in keiner Sprache der Welt eine Lösung finden für ihre rätselhaften Wege, es existieren keine Spielregeln und kein Gewinn. Alles folgt nur seinem eigenen Ziel. Leipzig, murmelt Oskar, wie lange halte ich mich schon fest an dir.
Manchmal -und eigentlich immer, wenn Oskar alleine ist- führt er seinen Monolog. Still und ganz für sich. Eine kleine Unterhaltung in Gedanken, das hat nichts mit diesen Selbstgespräche haltenden Spinnern gemein, die verwahrlost auf Parkbänken schlafen, sagt Oskar in Gedanken. Oskar ist Beobachter. Ein ausgefuchster Jäger und ein achtsames Reh. Er analysiert die Menschen. Das Alter spielt keine Rolle. In der Fußgängerzone. Und im Stadtpark, der gerade an warmen Sonntagen von Spaziergängern frequentiert wird. Nur glücklich macht ihn seine Leidenschaft nicht, denn Oskar fühlt, dass er zu lange schon alleine ist. Und Osmose, Oskars wohlgenährte Katze, ersetzt ohne Zweifel auch keine menschliche Bezugsperson. Eine amüsant frisierte Dame mit Perlenkette schwebt süßlich duftend an Oskar vorbei. Sie betritt den Fischladen - ohne Beachtung für den winkenden Hummer aus Kunststoff. Oskar setzt seinen Spazierstock auf dem Asphalt ab. Ein gutes Holz von Qualität und ein Handknauf in Form eines Vogelkopfes. Der Asphalt ist warm. Grashalme grünen vereinzelt aus Rissen empor. Oskar macht sich auf den Weg.
Die Vorstadtsiedlung grenzt nördlich an den alten Leipziger Friedhof. Und weiter dahinter die Schrebergärten des halben Hügels. Eine Mauer aus verwitterndem Gestein umzäunt die Friedhofsanlage, wo Gießkannen wild verstreut auf der Erde liegen und die Blütenpakete der Fliedersträuche weiß und lila leuchten. Das wild wuchernde Aufleben der Botanik übersieht keine Ecke des Schattens, breitet sich ohne Zurückhaltung aus und vergisst nach dem ausgedehnten Winterschlaf, dass es sich hier um die letzte Ruhestätte der Toten handelt.
Oskar folgt dem Verlauf des funkelnden Kiesweges. Er entdeckt schon bald eine Gruppe schwarz gekleideter Trauergäste, die sich immer wieder in die Arme fallen, sobald ein neuer Gast hinzu stößt. Ein kleiner Junge und sein Stofftier stehen am Rande. Wahrscheinlich trägt er heute zum ersten Mal Krawatte. Oskar fragt sich, ob es nicht noch zu früh sei, sich unter die Fremden zu mischen. Sei kein Deserteur, sagt sich der alte Oskar Braun in Gedanken und schmunzelt zum zweiten Mal der warmen Luft dieses Tages entgegen.
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Das Taxi schnell wie ein Fluchtwagen - schwärmt vorbei an Buschwerk und Passanten, die unter Tüten schillernder Warenhäuser versteckt über den Bordstein flanieren. Eine Minderheit agiler Senioren tummelt sich im Strudel der nie stillstehenden Städter. Das grau toupierte Haar der Damen sticht heraus. Sie führen ihre Enkelkinder aus, oder ihren Hund. Und ihre Schatten ziehen schnellen Schrittes nach.
Dem unruhig atmenden Oskar Braun missfällt das Getöse aus dem Radio des Taxis, doch würde er nicht einen Gedanken daran verschwenden, das Bild eines nörgelnden und weltfremden Kauzes ohne Anstand abzugeben. Er hält einen finsteren Blick aus dem Fenster für angemessen. Reklametafeln stehen außen. Die Schaufenster preisen Frühlingsware an und reflektieren flüchtig das Gelb des fliegenden Taxis. Oskar fragt sich, ob irgendein Zebrastreifen der Stadt mächtig genug sei, das Automobil zur Kapitulation zu zwingen, wie es so ungeduldig zwischen Brückenpfeilern hindurch nach Süden rollt.
Der Wagen rastet vor einem Fischladen. Die Fassade ist mit blauen Mosaiksteinen garniert, davor steht ein unnatürlich großer Hummer und winkt mit seinen Scheren. Oskar verlässt das Gefährt, etwas schwach und schwer ums Herz. Der Taxifahrer wird von Oskar entlohnt - kein Trinkgeld. Man muss seinen Prinzipien doch treu bleiben, denkt Oskar und schmunzelt unmerklich. Schönen Tag noch, meint der junge Taxifahrer, ohne seinen Fahrgast anzusehen. Schönen Tag, entgegnet Oskar, dessen Worte tiefer als gewöhnlich klingen, wenn sein Gegenüber ein Fremder ist.
Die Sonne am Himmel hat ihren Zenit bereits überschritten, doch hat Oskar noch etwas Zeit um Ruhe zu finden. Der Friedhof ist nicht weit. Ein imposanter Backsteinturm überragt die kleine Siedlung. Die Tauben nutzen ihn als Rastplatz im Himmel. Es ist der Schlot des Krematoriums, dessen Schatten verschluckt wird von den metallischen Schluchten des Industriegebietes dahinter. Leipzig, denkt Oskar und folgt mit seinen grünen Augen dem Verlauf der breiten Straße. Aus der Luft, da muss sie aussehen wie ein unendliches Kreuzworträtsel, diese Stadt. Die Windungen der Straßen, das Ende jeder Sackgasse, die rostigen Spitzen der Kirchen, die Dächer der Bauten aus Glas. Doch lässt sich in keiner Sprache der Welt eine Lösung finden für ihre rätselhaften Wege, es existieren keine Spielregeln und kein Gewinn. Alles folgt nur seinem eigenen Ziel. Leipzig, murmelt Oskar, wie lange halte ich mich schon fest an dir.
Manchmal -und eigentlich immer, wenn Oskar alleine ist- führt er seinen Monolog. Still und ganz für sich. Eine kleine Unterhaltung in Gedanken, das hat nichts mit diesen Selbstgespräche haltenden Spinnern gemein, die verwahrlost auf Parkbänken schlafen, sagt Oskar in Gedanken. Oskar ist Beobachter. Ein ausgefuchster Jäger und ein achtsames Reh. Er analysiert die Menschen. Das Alter spielt keine Rolle. In der Fußgängerzone. Und im Stadtpark, der gerade an warmen Sonntagen von Spaziergängern frequentiert wird. Nur glücklich macht ihn seine Leidenschaft nicht, denn Oskar fühlt, dass er zu lange schon alleine ist. Und Osmose, Oskars wohlgenährte Katze, ersetzt ohne Zweifel auch keine menschliche Bezugsperson. Eine amüsant frisierte Dame mit Perlenkette schwebt süßlich duftend an Oskar vorbei. Sie betritt den Fischladen - ohne Beachtung für den winkenden Hummer aus Kunststoff. Oskar setzt seinen Spazierstock auf dem Asphalt ab. Ein gutes Holz von Qualität und ein Handknauf in Form eines Vogelkopfes. Der Asphalt ist warm. Grashalme grünen vereinzelt aus Rissen empor. Oskar macht sich auf den Weg.
Die Vorstadtsiedlung grenzt nördlich an den alten Leipziger Friedhof. Und weiter dahinter die Schrebergärten des halben Hügels. Eine Mauer aus verwitterndem Gestein umzäunt die Friedhofsanlage, wo Gießkannen wild verstreut auf der Erde liegen und die Blütenpakete der Fliedersträuche weiß und lila leuchten. Das wild wuchernde Aufleben der Botanik übersieht keine Ecke des Schattens, breitet sich ohne Zurückhaltung aus und vergisst nach dem ausgedehnten Winterschlaf, dass es sich hier um die letzte Ruhestätte der Toten handelt.
Oskar folgt dem Verlauf des funkelnden Kiesweges. Er entdeckt schon bald eine Gruppe schwarz gekleideter Trauergäste, die sich immer wieder in die Arme fallen, sobald ein neuer Gast hinzu stößt. Ein kleiner Junge und sein Stofftier stehen am Rande. Wahrscheinlich trägt er heute zum ersten Mal Krawatte. Oskar fragt sich, ob es nicht noch zu früh sei, sich unter die Fremden zu mischen. Sei kein Deserteur, sagt sich der alte Oskar Braun in Gedanken und schmunzelt zum zweiten Mal der warmen Luft dieses Tages entgegen.
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