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Replikationsblase

Text: die_libelle
Manchmal wiederholt sich das Große im Kleinen. So wie Menschen und Zellen. Irgendwie sind sie alle gleich, stehen alle miteinander in Verbindung und haben doch verschiedene Aufgaben. Je verschiedener die Aufgaben, desto unähnlicher werden sie sich.



Als ich Dich damals getroffen habe, dachte ich, wir wären so gleich, dass wir uns nicht mehr voneinander unterscheiden können. So wie zwei Zellen, die zu einer verschmelzen. Und danach kann man nicht mehr rausfinden, was darin von der einen und was von der anderen ursprünglichen Zelle kam. Wir sind aber keine Zellen.



Wir haben uns damals verknotet wie zwei Fäden oder wie DNA.

DNA besteht aus zwei komplementären Strängen. Grundverschieden und doch aus den gleichen Strukturen aufgebaut. Sie können nur aneinander binden, wenn ihre Codierungen genau gegensätzlich zueinander verlaufen. Es gibt auch Enzyme, die diese Stränge voneinander trennen können. Das heißt, eigentlich trennen sie sich von alleine. Enzyme sind nur Katalysatoren. Sie haben keine ursprüngliche Wirkung. Sie beschleunigen nur Reaktionen.



Wir haben uns damals auch getrennt. Ich weiß nicht, ob wir Enzyme dafür gebraucht haben. Einige Jahre lang haben wir uns sogar so weit voneinander getrennt, dass der eine Faden den anderen gar nicht mehr sehen konnte. Aber der Knoten, den wir geknüpft haben, bleibt. Er ist so fest, dass man ihn nicht mehr aufknüpfen kann. Aber er ist auch irgendwo ganz am Fadenanfang, so dass man ihn vom Fadenende her nur noch als kleinen, verschwommenen Punkt sehen kann.



Es kam, wie es kommen musste. Zwei verknotete Fäden finden irgendwann wieder zusammen, weil sie sich nicht weit genug voneinander entfernen können. Unsere Leben haben sich wieder verwirlt, wieder verdrillt. Die Fäden haben sich umeinander gewickelt, so als hätte sie jemand zwischen Daumen und Zeigefinger gedreht.



Das erinnert mich wieder an die DNA. Die Stränge trennen sich voneinander, um eine so genannte Replikationsblase zu bilden. In dieser Blase verbinden sie sich mit anderen, kurzen Strangstücken. Hinter dieser Blase sind die beiden ursprünglichen Stränge noch miteinander verknüpft. Nicht nur das. Sie sind sogar verdrillt zu einer Helix und um Proteine gewickelt, verdreht zu einer Superhelix.



Habt ihr schon mal versucht, in ineinander verwickelte Fäden einen Knoten zu machen? Nein? Das ist gar nicht so einfach. Wir haben’s nicht versucht. Wir haben uns wieder trennen lassen von Enzymen, von uns selbst. Und das muss auch so sein. DNA kann sich nur als Einzelstrang replizieren, kann nur als Einzelstrang abgelesen werden und Proteine produzieren, die für die Zelle wichtig sind. Die Replikationsblase ist angekommen an unseren Fäden. Und wir haben losgelassen.



Neue Stränge werden geknüpft, neue Replikationsblasen werden gebildet und es wiederholt sich endlos. Ein endloses Fadengewirr und endlos viele, neue Zellen. Und doch sind sie alle gleich.











04.04.2007

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